Bonn liegt nahe. Damals lag die heutige Bundesstadt allerdings näher, auch wenn sie noch nicht Bundeshauptstadt der Adenauer Republik war. Das kam erst zwei Jahre später. Düsseldorfs »Kleine Literaten-, Maler und Schauspieler-Bühne das Kom(m)ödchen« ist zwei Jahre älter als der Staat, dem sich Kay und Lore Lorentz »posi tiv dagegen« verschrieben. So lautete das erste Programm vor sechzig Jahren, im März 1947. Dann ging es Schlag auf Schlag: Drei weitere Premieren folgten im Laufe desselben Jahres auf die Bühne in der Hunsrückenstraße der Altstadt, wo jenes bauchige Möbel mit den drei Schubladen stand, dem das Brettl seinen Namen dankt. Bert Markus war neben dem Lorentz-Paar der erste Autor; von ihm stammte das rafrainartig eingesetzte »Komm(m)ödchenlied« mit seiner ersten Zeile »Wenn es dem Kom(m)ödchen nicht gefällt…«
Bald war man schon Überbrettl: eine Institution mit Kay Lorentz als kreativem Kopf und Talente-Förderer und Lore als eleganter, kluger Direktrice und Aktrice, die der Freund Hanns Dieter Hüsch bei der Trauerfeier für sie eine »große, politische Menschenkünstle rin« nennen wird. Bereits 1949 befand »Der Spiegel« sie für titelwür dig. Martin Buber, Jean Cocteau und Lotte Lenya hinterließen früh im Gästebuch Danksagungen; Pamela Wedekind und Trude Hesterberg, Werner Fink, Erich Kästner oder Eugen Roth zollten kennerhaft kol legial ihren Respekt. Schon im ersten Jahrzehnt des Bestehens reiste die deutsche Truppe ins Ausland in die Schweiz und Niederlande, nach London und New York: Zeugen und Beförderer demokratischen Bewusstseins, für das es freilich kräftig und kritisch zu ackern galt.
Befremden und Ahnungslosigkeit dem Künstler gegenüber und eine überhebliche Bürokratie haben sich, trotz Kunstakademie, »Kom(m)ödchen« und anderer Anstrengungen, in Düsseldorf immer gehalten. Andererseits kommt das »finnige« Wesen des Düsseldorfers, sein Spaß am Sich-Lustig-Machen der Natur des Kabaretts entgegen. Aus diesem Widerspruch bezogen die »Kom(m)ödchen«-Leute pro duktive Spannung. Und mussten mit dem Widerspruch fertig werden, Repräsentant und Rebell in einem zu sein, nachdem »der Premieren termin zum Partytermin« geworden war, so Dieter Hildebrandt. Auch darin zeigten sich Kay und Lore, die späteren NRW-Staatspreisträger, geschickt, umgingen etwa die offizielle Eröffnung des von Protesten gegen das Establishment begleiteten neuen Schauspielhauses oder erspielten sich zweijähriges Fernsehverbot.
Als »psychische Hygiene« hat Hüsch die Funktion dieses Kabaretts charakterisiert. Es begnügte sich nicht mit Symptombehandlung, sondern betrieb Ursachenforschung und stellte sich Eigen-Diagno sen aus. Die Geschichte des »Kom(m)ödchens« verläuft parallel zum Strukturwandel der Öffentlichkeit, von der konservativen und restau rativen Republik zur sozial-liberalen, von Kaltem Krieg, Nachrüstung, Radikalenerlass und Asyldebatte bis in die gewendete Gegenwart und den Neo-Kapitalismus. Zugleich belegt sie den Formenwechsel des eigenen Genres: von der Nummernfolge zum durchlaufenden The menabend, von der Satire zur Ironisierung der Ironie, vom strengen Stil und dem Chanson bis zum Comedy-Format, vom konstanten Team, einem Autorenkollektiv und dem Solo zum verjüngten En semble, das Erbsohn Kay nach dem Tod der Eltern 1993 und 1994 mit Energie und durch die Krise des nötigen Neubeginns in den Erfolg des dritten Jahrtausends führte. Zu den Entdeckungen, Stars und Autoren gehören Konrad Beikircher, Thomas Freitag, Ernst H. Hilbich, Volker Pispers, Harald Schmidt, Werner Schneyder. Dieter Hildebrandt stellte folgendes Zeugnis aus: »Im Vergleich galt das Kom(m)ödchen immer als Klassenprimus. Es konnte Latein.« Vivat! //