TEXT UND INTERVIEW: CHRISTOPH VRATZ
Die junge Pianisten-Generation sucht ihren Platz. Die einen setzen auf so genannte Konzeptalben, andere auf den Zyklus. Am besten man macht beides, denn einen Königsweg gibt es nicht. Die Wahl-Kölnerin Olga Scheps lässt sich ohnehin nicht vorschreiben, womit und wie sie ihre Programme bestückt.
Auf dem Klingelschild steht lapidar »Studio«. Eine Wohnhausfassade im Zentrum Kölns, schmucklos, von Verkehr umrauscht, graufarben. Auf der Rückfront ein typischer Innenhof, zugebaut, ausgewaschener Beton und Backstein im Wechsel. Inmitten ein kleines Gebäude. Olga Scheps schließt die Tür auf, geht vor und macht Licht. Durch die Neonröhre zucken Blitze. An der Wand ein Flügel. »Wo sind wir hier? In einer Dependance der Hochschule?« Nein, lacht sie. Den Raum habe sie gemietet, für sich allein. Der Raum ist eher kahl. Ein Sofa, zwei Stühle, Wasserkocher. Ein paar Bücher, eine Kiste mit Noten, ein Teppich als Dämpfer. »Für mich der perfekte Raum, weil mich nichts ablenkt. Hier bin ich vollkommen unabhängig. Niemand kann mich hören, niemand stören.«
K.WEST: Üben Sie wie manche ihrer Kollegen vor allem nachts?
SCHEPS: Ich bin völlig tageszeit- und wetterunabhängig, da es hier keine Fenster gibt. Ich empfinde das als meine kleine Welt, meinen Raum, in dem ich Sachen ausprobieren und mich zwischendurch ein bisschen hinlegen kann.
K.WEST: Vergessen Sie beim Üben die Zeit und lassen sich treiben, oder sind Sie mehr streng methodisch mit Blick auf die Uhr?
SCHEPS: Ich bin grundsätzlich eher der Nachmittags-, allenfalls der frühe Nachtmensch. Anders gesagt, verbringe ich den Morgen meist mit außermusikalischen Dingen, die halt gemacht werden müssen. Mit dem Üben fange ich um zwei oder drei Uhr an. Es ist ein großes Glück, dass ich hier auch nachts am Klavier sitzen kann. Allerdings versuche ich nicht krampfhaft, bis ein oder zwei Uhr durchzuhalten, dann bekommt man chronischen Jetlag. Ich orientiere mich an den üblichen Konzertzeiten, um möglichst meinen Bio-Rhythmus beizubehalten. Also, um acht Uhr abends sitze ich schon an sechs Tagen in der Woche am Flügel, entweder hier oder im Konzertsaal
1986 in Moskau geboren, kam Olga Scheps mit sechs Jahren nach Deutschland. Als Jungstudentin fand sie zunächst in die Klavierklasse von Vassily Lobanov, 2006 in die Meisterklasse von Pavel Gililov an der Musikhochschule Köln. Weitere Impulsgeber waren der begehrte Pianisten-Lehrmeister Dmitri Bashkirow – und Alfred Brendel. Die Eltern sind Musiker, der Vater unterrichtet an der Hochschule in Aachen. Kaum verwunderlich, dass sich bei Scheps Veranlagung und zähe Arbeit miteinander verbinden, eine Mischung, die Früchte trägt, zumal sie am Beginn ihrer Karriere nicht reich mit Vorschusslorbeeren von den Medien geschmückt wurde, sondern sie sich möglichst frei und natürlich entwickeln konnte. Für sie beginnt die alltägliche Arbeit bereits auf dem Weg ins Studio. »Früher hatte ich den Flügel in meiner Wohnung stehen. Das war, gerade was die Konzentration angeht, bedeutend schwieriger.« Den Yamaha-Flügel hat sie vor mehr als zehn Jahren mit ihren Eltern ausgesucht: »oder sie für mich, ich weiß nicht mehr genau, wie viel damals meine Meinung wert war«.
K.WEST: Was ist Ihnen bei einem Flügel besonders wichtig?
SCHEPS: Ich schätze es, wenn mir ein Instrument all das zurückgibt, was ich hineingebe. Ich kenne meinen Flügel natürlich sehr gut, er ist wie ein Spiegel. Er verschönert nichts, versteckt auch nichts. Es ist ein unheimlich feiner Flügel. Genau, was ich für wichtig erachte. Ich würde in einen Raum wie diesen hier keinen Steinway stellen. Mir würde das Trommelfell rausfliegen.
K.WEST: Das Entscheidende ist letztlich der Klang. Wie sollte der sein?
SCHEPS: Mir ist besonders wichtig, dass ein Klang nicht zu früh aufhört, dass die Saite so lange schwingt, wie sie möchte, dass das Gesangliche dadurch nicht unterbrochen wird. Außerdem lege ich Wert darauf, dass innerhalb der Klaviatur die Töne sehr gleichmäßig sind, dass die Feinmotorik ausgeglichen ist.
K.WEST: Und wie arbeiten Sie auf Ihren idealen Klang hin?
SCHEPS: Langsam spielen ist eine sehr unterschätzte Art des Übens, die ich aber entschieden befürworte. Ich bin eher ein Gegner von Tonleitern. Wenn man eine Tonleiter übt, kann man am Ende diese Tonleiter gut spielen. Doch ließe sich dieselbe Zeit auch dazu nutzen, Phrasen und Ausschnitte aus den jeweiligen Stücken zu studieren. Ich weiß jedoch, dass es Pianisten gibt, denen Tonleitern sehr viel bedeuten. Jeder muss einen individuellen Zugang suchen und finden, da Üben immer auch körperabhängig ist. Manche brauchen mehr Training, um eine bestimmte Kondition zu erlangen. Musik ist manchmal wie Leistungssport: Tageszeit, Training, Ernährung – viele Faktoren kommen zusammen.
Ihre bisherigen Aufnahmen zeigen, dass sich Olga Scheps in der Romantik besonders wohl fühlt: Chopin, Russisches um Tschaikowsky, Medtner, Rachmaninow, dann Schubert und zuletzt wieder Chopin. Dessen zwei Klavierkonzerte hat sie in der Fassung mit Kammerbesetzung aufgenommen, ohne Holzblasinstrumente, nur mit Streichern. In dieser Version kann man nicht mogeln, sich nicht mit dem Pedal durchretten, hier klingt das Klavier noch unmittelbarer, direkter als mit großem Orchester. Also, Vorsicht bei zu viel Attacke? Scheps findet einen gelungenen Mittelweg. Sie liebt die gesangliche Formung, verzichtet auf Raubtier-Getue, was diesen Werken gelegentlich angetragen wird. Vieles hat man so bislang selten oder gar nicht gehört. Der eigene Wille wird hörbar, aber kein Hang zum Manierierten. Bei den subtilen chopinesken Verzögerungen beweist sie Sinn für genaues Timing.
K.WEST: Chopin schätzte den Belcanto, die Kunst des Gesangs. Was können Sie davon aufs Klavier hinüberretten?
SCHEPS: Gesang ist das A und O beim Klavierspiel. Zwar zählt das Klavier eher zur Spezies der Schlaginstrumente, doch wichtig ist nun mal, dass ich aus dem schwarzen Kasten etwas Lebendiges heraushole. Das geht nur, indem ich vorher überlege, wie der Klang sein soll und wie es mir gelingen kann, dass das Instrument wie eine menschliche Stimme klingt. Das ist mit ein Grund, weshalb ich den Beruf gewählt habe. Ich übe ausgesprochen gern, ich möchte viel ausprobieren. Wenn ich allerdings mit dem Kopf woanders bin, bleibt der Deckel zu.
K.WEST: In Ihrem Übungsraum findet man keine professionelle Anlage zum Musikhören. Mit Absicht?
SCHEPS: Ich kann Musik schlecht nebenbei hören, nur ganz konzentriert. Ich gehöre auch nicht zu denen, die morgens als erstes das Radio einschalten. Wenn ich eine Geräuschkulisse brauche, lege ich mir einen Film ein. Aber Musik nebenbei – das ist nicht meins.
Olga Scheps weiß, dass der Beruf des Pianisten mitunter einsam sein kann. Ihren Spiel-Raum empfindet sie aber nicht als Isolationszelle. Sie fühle sich »zwar fernab der Welt, aber nicht einsam. Für mich steht die Möglichkeit im Vordergrund, mir die Musik zu erarbeiten. Das Gefühl von Einsamkeit stellt sich eher auf Reisen ein. Dann ist es wichtig, sich heimatliche Atmosphäre zu schaffen. Etwa indem man versucht, in einer Stadt immer dasselbe Hotel und dasselbe Zimmer zu bekommen.«
Am Ende, wieder im Freien, ist auch der Himmel grau geworden; es hatte geregnet. In Olga Scheps’ Studio bekommt man davon nichts mit. Man vergisst Zeit und Raum.
Olga Scheps auf CD: Chopin, Klavierwerke (2009); RCA/Sony CD 88697577612; Russian Album: Werke von Tschaikowsky, Rachmaninow, Arensky u.a. (2010); RCA/Sony 2 CD 88697801582; Schubert, Klavierwerke (2012); RCA/Sony CD 88691963182; Chopin, Klavierkonzerte (2013); Sony CD 88843011702
Konzert-Termine: 2. März 2014, Solingen-Gräfrath, Kunstmuseum Solingen; 4. April: Bonn, Beethoven-Haus.