TEXT: ANDREAS WILINK
Es ist eine große Metapher. Dabei nahezu unerheblich, wofür sie steht. Für den Menschen im Allgemeinen, der sich der Natur entfremdet hat und ihre elementare Kraft wieder – schmerzlich – lernt; für den weiblichen Menschen, der sich männlichem Zugriff entzieht; für eine psychische Blockade; für die Existenz schlechthin, die sich ihrer Einsamkeit und Vergänglichkeit bewusst wird. Marlen Haushofers Roman »Die Wand« aus den 1960er Jahren ist in Berichtform verfasst. Eine Frau (in der Verfilmung von Julian Roman Pölsler um ihre individuelle Vorgeschichte gebracht und damit noch stärker zur Chiffre erklärt) fährt mit einem verwandten Ehepaar ins oberösterreichische Gebirge. Am Waldhaus eingetroffen, wollen die beiden anderen noch ins Dorf, sie bleibt mit dem Hund Luchs zurück. Am nächsten Morgen stellt sie fest, dass Hugo und Luise nicht heimgekehrt sind. Sie macht sich auf den Weg – doch der ist an einem bestimmten Punkt blockiert. Eine gläserne Wand tut sich auf. Unsichtbar, schallschluckend, überall. Kein Ausweg. Die Welt dahinter scheint abgestorben, wie der alte Bauer mit seiner Frau, eingefroren in einer letzten Bewegung. Die Natur steht und schweigt, gleichgültig gegenüber jedwedem Schicksal.
Die Frau (Martina Gedeck, in der Zeit der Niederschrift mit kurz geschorenem Haar wie ein Häftling) muss sich der Wirklichkeit stellen, Ordnung halten, ein System entwickeln, ihren betäubten Willen überwinden. Muss Mensch bleiben – oder es wieder werden, was auch die Wahl beinhaltet, sich für Recht oder Unrecht zu entscheiden. Im Zweifelsfall: auch zu töten. In ihrer Isolation, die nur der Hund, zwei Katzen und eine kalbende Kuh mit ihr teilen, beginnt sie nach zwei Sommern und Wintern ihre Aufzeichnungen, um nicht den Verstand zu verlieren, um sich nicht selbst abhanden zu kommen. Im Lauf der Zeit schärfen sich – nicht ohne Phasen der Verzweiflung, Mutlosigkeit und Lethargie – ihre Sinne für den kreatürlichen Ablauf des Jahres, übt sie sich in der schweren Landarbeit, fügt sich ein in das große Ganze unter freiem Himmel und erlebt sogar Momente eines Idylls in ihrer Behausung zwischen geernteten Früchten und Kräutern. Sie beobachtet einen Schwarm Krähen, die einen der Vögel mit weißem Gefieder als Außenseiter behandeln. In dieser Laune der Natur erkennt sie etwas Wesenverwandtes.
Diese andere Robinsonade, sehr behutsam, stimmungsreich und respektvoll inszeniert, endet bedrückender als das Buch, das immerhin eine vage optimistische Ergebenheit ahnen lässt.
»Die Wand«; Regie: Julian Roman Pölsler; Darsteller: Martina Gedeck; Österreich/Deutschland 2012, 108 Min.; Start: 11. Oktober 2012.