Sie müssen ein bemerkenswertes Paar gewesen sein, der kleine Kupferkönig und die deutlich größere deutsche Baronin. New York zerriss sich die Mäuler über das ungleiche Paar, von dem niemand so recht wusste, wie weit die Freundschaft denn ging. Schließlich war er verheiratet, lebte aber mit seiner Ehefrau schon seit Jahren in der ersten Etage des Plaza Hotel am Central Park in getrennten Suiten mit separaten Schlafzimmern. Ein ehemaliger Mitarbeiter der beiden erzählte einmal, dass die junge Deutsche dem berühmten reichen Amerikaner in einem Hotel in Paris regelrecht aufgelauert habe, um ihn zu verführen. Unterwäsche habe sie dabei nicht getragen. Den Multimilliardär Salomon R. Guggenheim und die Malerin und Kunsttheoretikerin Hilla Rebay von Ehrenwiesen allerdings kümmerten Klatsch und Tratsch der New Yorker Society herzlich wenig. Sie verband weit mehr, als die meisten der Snobs an Fifth und Lexington und Park Avenue und der gesamten Upper East Side überhaupt zu begreifen im Stande waren.
Guggenheim und Rebay hatten über ihre Liebe zur Kunst zueinander gefunden und gemeinsam ein Kind in die Welt gesetzt, das heute – gut ein halbes Jahrhundert später – die Welt umspannt. Hätten der Milliardär und seine Kunstberaterin nicht allen Widerständen getrotzt, gäbe es heute keine Guggenheim-Museen in New York und Bilbao und Venedig und Berlin. Wie grundlegend und wie mutig der Schritt war, den das ungleiche Paar 1939 wagte, wie subjektiv, wie angreifbar und wie gleichzeitig durch und durch richtig, zeigt ab 21. Juli eine umfassende Ausstellung der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn. Dort werden auf mehr als 6.000 Quadratmetern mit insgesamt 200 Arbeiten aus allen Guggenheim-Filialen in Europa und den USA zum ersten Mal so viele Werke aus der mittlerweile weltumspannenden Sammlung zu sehen sein wie niemals zuvor.
Der Bonner Bilder-Parcours ist dabei nicht in erster Linie ein kunsthistorischer. Susanne Kleine und Kay Heymer, die als Kuratoren für das Projekt verantwortlich zeichnen und eine intellektuell wie sinnlich schlüssige Wahl getroffen haben, folgen in Auswahl und Präsentation vielmehr den ursprünglichen Ideen, die seinerzeit zur Gründung des ersten Guggenheim-Museums in New York geführt haben. Das nämlich trug zu diesem Datum gar nicht den Namen seines Stifters im Titel, sondern ein Programm: »Museum of Non-Objective Painting«. Damit war die Zielrichtung klar vorgegeben: Ausschließlich um Malerei sollte es gehen, und ausschließlich um solche Malerei, die nicht den Anspruch hatte, die Wirklichkeit wiederzugeben. Hilla von Rebay erkannte schon früh die Möglichkeiten der Kunst, ganz eigene assoziative Welten zu erschaffen. Entsprechend arrangierte sie die Werke in den ersten Ausstellungsräumen als Gesamtkunstwerk. Die Bilder hingen vor mit grauem Velours bespannten Wänden über dickem Teppichboden relativ niedrig, weil die Besucher sie auch im Sitzen sehen und in Ruhe auf sich wirken lassen sollten. Die Musik, die dazu in den Schauräumen von Tonband eingespielt wurde, stand in schein James Speyer der beinahe 30 Jahre jüngeren Hilla von Rebay offiziell vorgestellt wird.
Sie wird schnell zu seiner wichtigsten Beraterin und bringt den Millionär auf einen anderen Geschmack. Die damals 38-jährige Tochter eines deutschen Generals hatte in Paris Malerei studiert, und nach Berührung mit der Dada-Bewegung in Zürich und dem »Sturm« in Berlin schließlich als Porträtmalerin in Rom gearbeitet, bevor sie nach New York auswanderte und Guggenheim begegnete. Sie brachte ihm die Künstler nahe, die sie selbst kennen und schätzen gelernt hatte: Marc Chagall, für den sich Herwarth Walden in seiner Galerie »Der Sturm« eingesetzt hatte, Paul Klee und vor allem Wassily Kandinsky. In sein Atelier am Bauhaus in Dessau brachte Hilla Rebay Guggenheim 1930 zu einem Besuch. Der Sammler erwarb spontan mehrere Gemälde und Papierarbeiten; irgendwann sollte er mehr als 150 Arbeiten von ihm besitzen. Ein Drittel davon ließ die Guggenheim Foundation 1964 in einer spektakulären Auktion bei Sotheby’s in New York versteigern. Der Auktionskatalog ist heute noch bei Sammlern gesucht.
Hilla Rebay war es auch, die Solomon R. Guggenheim zur Gründung eines eigenen Museums riet. 1937 wurde sie zunächst Kuratorin der neu gegründeten »Solomon R. Guggenheim Stiftung zur Verbreitung und Förderung der Kunst, zur künstlerischen Erziehung und Bildung der Öffentlichkeit«. Zwei Jahre später – die Welt stand am Beginn des Zweiten Weltkriegs – eröffnet die Stiftung in den angemieteten Räumen eines ehemaligen Autohauses an der 54th Street East erste eigene Ausstellungssäle. Den spektakulären Schritt hin zum eigenen Haus verkündeten barem Widerspruch: Nicht Schönberg oder Strawinsky waren zu hören, vielmehr Johann Sebastian Bach. Nicht aus der Harmonie sollte das Erlebnis entstehen, sondern aus Synergie.
1929 hatte Guggenheim mit dem Aufbau einer eigenen Kunstsammlung begonnen. Der Mann, der als reichster Unternehmer der Vereinigten Staaten und als zweitreichster der Welt galt, hatte Vermögen mit Gold-, Silber-, Diamanten- und vor allem Kupferminen in Alaska, Mexiko, Chile, Bolivien, im Kongo und in Angola gemacht. Bis 1914 kontrollierten Solomon und seine Brüder achtzig Prozent aller globalen Kupfervorkommen. Für ihr Vermögen war die Familie auch über Leichen gegangen, wie die Journalistin Sigrid Faltin in ihrer lesenswerten Rebay- Biografie »Die Baroness und das Guggenheim« beschreibt: »Für ihre größte Kupfermine in Utah warben die Guggenheims in Japan, Ungarn und Griechenland die Ärmsten der Armen an und brachten sie in einer Art ›Konzentrationslager‹ unter, wo die Arbeiter zu Hungerlöhnen das Ihre zu dem sagenumwobenen Reichtum der Guggenheims beitrugen. Als 1912 die sechstausend Minenarbeiter für mehr Lohn streikten, schossen die privaten Sicherheitskräfte der Guggenheims gemeinsam mit der Armee Utahs die Arbeiter nieder.« Gesammelt wurde in der Familienresidenz auf Long Island, was man in jenen Jahren eben so schätzte: duftige Frauenporträts von Renoir und patriotische Geschichtsmotive amerikanischer Realisten.
Das ändert sich schlagartig, als Solomon Guggenheim im September 1928 bei einem Abendessen des Bankiers Rebay und Guggenheim in einer gemeinsamen Pressekonferenz kurz nach Kriegsende, am 9. Mai 1945. Von dieser Pressekonferenz sollte Manhattan noch wochenlang sprechen. Es ist das legendäre Frank Lloyd Wright- Gebäude, das heute noch zwischen 88. und 89. Straße als Solitär der Moderne an der zuckerbäckrigen Fifth Avenue leuchtet, das die beiden an jenem Tag der Weltöffentlichkeit vorstellen.
Sigrid Faltin beschreibt in ihrem Bericht über den historischen Tag zugleich, warum dieses Museum bis heute einzigartig geblieben ist: »Anhand des aufgeschnittenen Modells kann man sehen, wie die Besucher mit einem Aufzug die zehn Stockwerke hochfahren und dann auf einer langsam abfallenden Rampe einen Kilometer lang an kleinen Nischen vorbei hinunterspazieren sollen. Die Nischen, oben durch ein schmales Band von Tageslicht erhellt, sollen den großformatigen Bildern von Kandinsky, Léger, Chagall und – nicht zu vergessen – von Rudolf Bauer eine Bühne bieten. Kein Rahmen, kein Glas soll sich zwischen die Werke und den Besucher schieben. Modernste Filter werden für reine Luft sorgen. Das blütenförmige Kuppeldach wird viel Tageslicht in das Atrium bringen, von Kinosälen, Experimentierstudios und einer Wohnung für die Direktorin ist die Rede. Ein Museum für die unvorstellbare Summe von einer Million Dollar.«
Der Baubeginn verzögerte sich entsprechend oft, zumal die Inflation der Nachkriegsjahre die Baukosten noch einmal in die Höhe trieb. Erst 1956 wurde der Grundstein gelegt. Die Eröffnung des spektakulären Gebäudes mit seiner nicht weniger exzeptionellen Sammlung am 21. Oktober 1959 konnten zwei der drei Initiatoren nicht mehr miterleben. Solomon Guggenheim war schon zehn Jahre vorher in New York gestorben, Frank Lloyd Wright ein halbes Jahr vor der Fertigstellung seines bis heute berühmtesten Gebäudes. Und auch Hilla Rebay wohnte der Eröffnung nicht bei. Nach dem Tod Guggenheims hatte dessen Sohn Harry die Leitung der Guggenheim Foundation übernommen. Von Kunst hatte er keine Ahnung, sie interessierte ihn auch nicht. Als Geschäftsmann begriff er aber sofort, dass sich die Stiftung mit dem unprofessionell organisierten Museumsbau zu übernehmen drohte. Aus beiden Gründen – und wohl auch, weil sie als Geliebte seines Vaters ein familiärer Störenfried war – feuerte er 1952 Hilla Rebay. Die verkaufte den Hinauswurf in der Öffentlichkeit als Rücktritt aus gesundheitlichen Gründen.
Die drei Direktoren, die ihr folgten – James Johnson Sweeney, Thomas Messer und Thomas Krens – weichten die einst verordnete Selbstbeschränkung auf »non-objective art« nach und nach auf, indem sie die Guggenheim- Sammlung mit ungeheurem Gespür für Qualität und Gelegenheiten in Richtung Vergangenheit wie perspektivisch in die Zukunft erweiterten. Nicht selten geschah das durch die Übernahme ganzer zusammenhängender Privatsammlungen. So ermöglichte eine Stiftung des Kunsthändler-Ehepaares Hilde und Justin Thannhauser mit Werken von Monet und Manet, van Gogh und Gauguin, Cézanne und Matisse die Orientierung hin zu den Grundlagen der Moderne. Der Erwerb des Nachlas ses von Karl Nierendorf, eines ebenfalls aus Deutschland emigrierten Galeristen von zentraler Bedeutung, erweiterte die Guggenheim-Sammlung um Meisterwerke des Expressionismus. Solomons Nichte Peggy Guggenheim, die 1939 in London ebenfalls eine Kunstsammlung aufzubauen begann, steuerte surrealistische Arbeiten bei, die bis heute in ihrem Palazzo Venier dei Leoni am Canale Grande in Venedig gezeigt werden. Und schließlich erwarb die Guggenheim Stiftung mit der Sammlung Panza di Biumo auch noch ein beeindruckendes Konvolut minimalistischer Kunst.
Es ist dieser lange Weg von der ursprünglichen Idee des »Museum of Non-Objective Painting« hin zu seiner heutigen Gestalt als Kunstkonzern Guggenheim mit Dependancen in New York, Venedig, Bilbao, Las Vegas und möglicherweise bald sogar in Peking, den die Bonner Ausstellung dokumentiert. Natürlich sind den Hausgöttern Wassily Kandinsky und Pablo Picasso einzelne Räume gewidmet. Natürlich werden auch Irrwege, wie Hilla von Rebays erotische wie ästhetische Hörigkeit gegenüber ihrem Hausgott, dem esoterisch verquasten Kandinsky-Adepten Rudolf Bauer, thematisiert, dessen Bilder bis heute die Guggenheim-Depots füllen. Vor allem aber zeigt der Bilderparcours in Bonn von Brancusi und Delaunay über Pollock und Kline bis zu Rauschenberg und Lichtenstein, Warhol und Barney, dass es nicht das Streben nach enzyklopädischer Vollständigkeit ist, das ein gutes Museum kennzeichnet, sondern das Vertrauen aufs eigene Auge und ein Gespür für Qualität. Und seltsamerweise ergibt sich daraus dann ganz von selbst doch auch wieder ein Parcours durch die Kunstgeschichte des Okzidents. //
»The Guggenheim Collection«, 21. Juli bis 7. Januar 2007; Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland; 0228/9171-0; www.kah-bonn.de
Im benachbarten Kunstmuseum Bonn zeigt die Bundeskunsthalle Werke seit 1990, die das Engagement der Guggenheim Foundation für aktuelle, zeitgenössische Kunst dokumentiert. Mit raumfüllenden Arbeiten u.a. von Kara Walker, Matthew Barney und Rachel Whiteread wird das Ausstellungsprojekt in die unmittelbare Gegenwart weitergeführt.
Parallel ab 25. August bis 12. November »The Guggenheim Architecture« über internationale Museumsarchitektur und innovative Ausstellungs-Konzepte anhand von Projekten der Architekten Wright, Frank O. Gehry, Zaha Hadid, Hans Hollein, Jean Nouvel, Enrique Norten, Rem Koolhaas und anderen.
Weiterführende Literatur: Sigrid Faltin: Die Baroness und das Guggenheim; Libelle Verlag, Lengwil/Schweiz. 312 S. mit 92 Abb., 23,80 Euro.