Der Begriff Weltliteratur stammt bekanntlich von Goethe; mehr jedoch als in der an Sprachgrenzen gebundenen ist es der von Klang oder Bild lebenden Kunst seitdem gelungen, die Sehnsucht nach einem alles Nationale transzendierenden Denken und Schaffen zu erfüllen. Während der Weltmusik nach wie vor der Makel des Zusammengerührten anhaftet, existiert Weltkunst, bildende Kunst also, mit globalen Standards auf hohem Niveau.
Und wo bleiben die lieben Unterschiede? Die Sorge um diese findet sich in jedem Nachdenken über alle Formen der Globalisierung; so wie umgekehrt die Angst davor, den Anschluss ans »Weltniveau« nicht zu verpassen. Das, als Folge eines zirkulären Prozesses, irgendwann das kleinste allgemeine Niveau sein könnte. »Nur wiederholen wir, daß nicht die Rede sein könne, die Nationen sollen überein denken, sondern sie sollen nur einander gewahr werden, sich begreifen und, wenn sie sich wechselseitig nicht lieben mögen, sich einander wenigstens dulden lernen«, befand der Weimarer Kosmopolit und benannte damit 1828 alle Chancen und Gefahren, die in der seitdem ungebremst galoppierenden Grenzüberschreitung angelegt sind.
Regionale oder nationale Kunst findet man inzwischen nur noch dort, wo genau so gedacht wird; das nennt man gewöhnlich Laienkunst oder Folklore. Macht es also noch Sinn, zum Zwecke gegenseitigen Kennenlernens Kunst und Künstler international auszutauschen – jenseits der Bildung, die jedes Reisen schenkt? Seit über 20 Jahren lädt unter dem Projektnamen »Transfer« das NRW Kultursekretariat Künstler aus einem anderen Land nach Nordrhein-Westfalen und schickt im Gegenzug solche von hier nach dort: 1990 hieß das Ausland noch DDR, dann Belgien, Italien, Polen, später Israel und die Türkei. Und jetzt Korea.
DIE UNBEKANNTE SZENE
Warum dieses? Wohl weil, meint Jung Me, Projektleiterin des neunten, des aktuellen »Transfer«, wenn es um Kunst aus Asien geht, derzeit alle Welt auf Japan und vor allem China starrt. Weil die Kuratoren des Projekts (die Chefs des Kunstmuseums Bonn, der Kunsthalle Düsseldorf, des Osthaus Museums Hagen, des Kultursekretariats) sich ungern in diesen Mainstream einreihen wollten und in Korea – Süd-Korea selbstverständlich – eine überaus rege, ästhetisch attraktive aber eben noch nicht so ausgeleuchtete Kunstszene vorfanden.
Dabei hat die Moderne in Korea überhaupt erst nach dem Ende des Krieges zwischen Nord und Süd 1953 begonnen; vorher, sagt Jung Me, gab es Idee und Praxis einer Kunst der Jetztzeit, die sich von einer früheren unterscheiden müsse, gar nicht. Jung Me, mit vollem Namen Chai, Jung Me, 1966 in Seoul geboren, ist selbst Video-, Foto-, Installations-Künstlerin; sie studierte Ende der 1990er in der Düsseldorfer Akademie bei Fritz Schwegler, danach in Amsterdam; seitdem lebt und arbeitet sie in Deutschland, auch als Kuratorin. Jemand wie Nam June Paik (1932–2006), der Vater der Videokunst und lange Zeit einziger koreanischer Künstler von Weltrang, beflügelte die Entwicklung einer zeitgenössischen Kunstszene in dem politisch und wirtschaftlich rasant zum »Westen« aufschließenden ostasiatischen Tigerstaat. Wie selbstverständlich orientierte man sich ästhetisch zunächst an Amerika; später auch nach Europa, speziell Deutschland. Wo seitdem nicht nur immer neue Scharen von koreanischen Musikstudenten die Konservatorien bevölkern, sondern auch koreanische Kunststudenten die Akademien. Gibt es denn keine vergleichbare Ausbildung in Ihrer Heimat, Jung Me?
KUNST STUDIEREN ERHÖHT DIE HEIRATSCHANCEN
»Sogar viel zu viel«, lautet die überraschende Antwort, zahlreiche zu allermeist private Universitäten böten das Fach an. Allerdings werde Kunst oft nur belegt, weil, Kunst studiert zu haben, »attraktiv klingt. So kann man vielleicht gut heiraten.« Und Jung Me lächelt spöttisch. Zum Studium nach Deutschland kommen Koreaner gern, »weil ihnen die Kunstszene in Deutschland freier und vielfältiger erscheint.« Die wenigsten bleiben. Zurück in Korea, ist der Weg zum Erfolg genauso steinig wie hier, obwohl der koreanische Staat seit einigen Jahren mit Fördermaßnahmen diverser Art die Karriere stützt. »Es gibt vier, fünf führende Galerien in Korea, die den Kunstmarkt beherrschen und auch gut davon leben. Kleinere und jüngere Galerien gibt es auch. Aber zu wenige, die sich mit experimenteller Kunst auseinandersetzen, junge Künstler fördern und mit ihnen wachsen. So wie das damals Konrad Fischer in Düsseldorf getan hat.«
Ein Stück weit kompensiert wird dieser Mangel offenbar durch die Existenz einiger privater Museen in der Hand großer Firmen oder Mäzene wie etwa das Leeum, Samsung Museum of Art oder das Total Museum of Contemporary Art. Da es darüber hinaus auch staatliche und städtische Museen gibt, stünde die koreanische Kunstszene nicht schlecht da, wäre da nicht das Problem der Kuratoren. Deren Horizont ist meist auf das eigene Land beschränkt, klagt Jung Me, in Venedig oder Kassel findet man sie nicht. Die Museumsdirektoren sind, anders als hier üblich, meistens Manager, die Verträge ihrer Ausstellungs-macher kurzfristig. Oft verschwinden mit einem Kurator auch dessen Pläne, die Profile der Museen blieben aus diesem Grund unscharf bis beliebig. Also hat »Transfer« es sich angelegen sein lassen, neben dem Künstler- auch den Kuratoren-Austausch zu befördern. Zur Erinnerung: Ein »Transfer«-Zyklus erstreckt sich über drei Jahre. Zunächst wählt eine Jury NRW- sowie ausländische Künstler aus, danach folgen zweimonatige Künstleraufenthalte im Partnerland, wo jeweils ortsansässige Künstler und Kulturschaffende die Stipendiaten betreuen. Der Austausch mir Korea fand 2012 statt, jetzt, im dritten Jahr, werden in eigenständigen, doch aufeinander abgestimmten Ausstellungen die Werke der »Transfer«-Künstler in je drei deutschen (den oben genannten) sowie koreanischen Museen gezeigt. Schon allein die zeitliche Gewichtung zeigt: Es geht um den Austausch, nicht ums Produkt.
SEX IN DER KUNST – BESSER NICHT
Das Produkt – die Kunst. Die Frage nach der »Weltliteratur«. Jan Albers; Luka Fineisen; Manuel Graf; Kyungah Ham; Erika Hock; Jung, Seung; Yeondoo Jung; Kira Kim; Seb Koberstädt; Na, Hyun; Sascha Pohle; Juergen Staack; Won, Seoung Won; Yeesookyung heißen die ausgewählten, ausgetauschten, an den Ausstellungen teilnehmenden Künstler. Die deutschen kennt man, fünf der sieben sind bereits in K.WEST porträtiert worden. Die koreanischen kennt man noch nicht; bis auf Yeesookyung haben sie alle im Westen studiert. Jung Me, Wanderin zwischen beiden Welten: Gibt es überhaupt erkennbare Unterschiede, solche, die in der verschiedenen kulturellen Herkunft begründet liegen könnten? Jung Me umkreist den heißen Brei der Antwort mehrmals, betont, dass Künstler überall auf der Welt ähnlich denken, kann am Ende mit sich selbst einig werden, dass grosso modo koreanische Künstler sich immer noch mehr am Handwerk orientieren als europäische. Es ist ihnen wichtig, dass eine Arbeit auch technisch stimmt. Körperliche Mühe muss investiert werden, viele Kunstwerke seien »Fleißarbeiten«. Diesen Unterschied könne man auch bei den »Transfer«-Künstlern erkennen. Und, ja, auch das: Man findet in Korea sicher mehr Künstler als in Deutschland, die an politischen Themen interessiert sind, nach dem Ende der Park-Diktatur Ende der 1980er Jahre gebe es zwar keine so heftigen politischen Auseinandersetzungen mehr, aber beständig Kämpfe gegen Entlassungen und andere wirtschaftliche Probleme; das widerspiegele sich in der Kunst, etwa der von Kim Kira. Außerdem, tja, sei da ja noch der Fall Nordkorea.
Auch in Südkorea ist die Kunst frei. Sie darf alles – machen, vielleicht nicht alles zeigen, meint Jung Me: »Gewalt ist okay, Sex nicht so.« Sie grinst wieder spöttisch. So habe sie vor ein paar Jahren eine Ausstellung in Seoul kuratiert, in der in einem Film von Harun Farocki das Bild einer nackten Frau zu sehen war. Das konnte nur in einer Koje gezeigt werden, vor der ein Wärter das Alter der Besucher kontrollierte.
18. Oktober 2013 bis 9. Februar 2014, Kunstmuseum Bonn / 19. Oktober 2013 bis 5. Januar 2014, Kunsthalle Düsseldorf / 20. Oktober 2013 bis 12. Januar 2014, Osthaus-Museum Hagen / www.transfer-korea-nrw.com