Das Münsterland ist die Speckseite Westfalens, man kann seine uralten kulinarischen Traditionen nur bewundern. Obwohl, wir erinnern uns noch mit Zähneklappern an jenen Moment von Sittenverderbnis, als Dortmunds OB Langemeyer in einer Leitbild-Rede auf einem Software-Kongress das Messer der Moderne zückte: Wer »die Region wirklich nach vorn bringen« wolle, müsse zuerst dafür sorgen, dass Pumpernickel-Herrlichkeit und Westfälischer Schinken-Himmel »endlich als prägendes Bild aus den Köpfen der Menschen verschwinden«. Ja, Himmelherrgott, weiß er denn nicht, dass diese vorzügliche Weichware das Münsterland mit der Welt verbindet? Und was geschrieben steht in den internationalen touristischen Leitbildern? »Historic Highlights of Germany« seien diese Schinken- und Schwarzbrot-Gaben! Nicht auszudenken, wie Münsters Italianità klänge ohne den echten Westfälischen Knochenschinken, dieser Stradivari unter Deutschlands Prosciutti, unser würzigster, ehrwürdigster, weit über 1000 Jahre alt. Gar nicht zu reden von Pumpernickel-Pudding, Schweinskopf-Töttchen, Stielmus, Dicken Bohnen mit Speck, Beerwarmbeer-Suppe und schmalzgebratenem Leber- und Wurstebrot mit Apfelmus: Altmeisterliche Bauchpinseleien, über die weder Uffizien noch Louvre verfügen. Und was ist die Tate Modern gegen die Stil-Innovationen einer Haute Cuisine à la »münsterländischer Country-Style«? Der junge westfälische Wilde hervorbrachte wie den »Warmen Salat von Schweineohren süß-sauer« (Emil Sieckendiek, Alte Schenke, Versmold-Bockhorst) oder Gänsestopfleber- Pralinés, die sich rebellisch in Schale werfen mit Pumpernickel-Mantel und -Mousse.
Nein, verehrter Herr Langemeyer, Münsterland und Pumpernickel gehören zusammen wie Pumpernickel und Westfälischer Schinken. Eine union sacrée, die Geschichte schrieb. Kunstgeschichte, wie das Kirchenfenster »Westfälisches Abendmahl« von 1500 in der Soester Wiesenkirche. Auf dem Jesus und seine Jünger nicht Brot und Wein eint, sondern Pumpernickel, Schinken und Bier. Und worin der verkannte vergeistige Wesenskern des Münsterländers ebenso blitzartig aufscheint wie in seinen historischen Landgasthäusern, wo »Mönch und Nonne« platonisch sich paaren (Pumpernickel-Stuten-Brot) und das »Westfälische Abendmahl« (Blut-, Leberund Mettwurst-Platte) sich gutmütig vereint mit dem »Evangelischen Rosenkranz« (Bratwurstschnecke auf Sauerkraut mit Speckpüree) – zum, nun ja, Westfälischen Frieden.
Womit wir beim Friedenskongress zu Münster wären, wo die Gesandten aus ganz Europa schon vor mehr als 350 Jahren die münsterländische Küche & Lebensart als etwas Besonderes empfanden. Ihr widmete 1648 etwa der Päpstliche Gesandte Fabio Chigi in seinem Bericht nach Rom feinsinnige Betrachtungen: »Hoch liegt der Dreck an den Straßenrändern, häufig sieht man sogar dampfende Misthaufen. Unter einem Dach wohnen Bürger und trächtige Kühe, und mit stinkenden Böcken auch noch die borstige Sau.« Auch sein Herbergs-Aufenthalt wurde dem Fürsten Chigi unvergesslich: »Im Rauchfang des Kamins hängen dicke Schinken und locken mit ihrem Duft. Wir aber saßen praktisch direkt neben dem Ochsen und bekamen zur Stärkung nichts als schlieriges Schwarzbrot vorgesetzt.« Dieses entlockte dem edlen Manne hymnische Pumpernickel-Töne (mittelhochdeutsch »Nickel« = Kobold und »pumpern « = ein Lüftchen fahren lassen): »Ecce panis Westphalorum! Sehet da das gotische Brot der Westfalen, ein unglaublicher Fraß, selbst für Bauer und Bettler kaum genießbar.« Worauf der Diplomat schließlich endet in einem jubelnden Choral auf die Münsteraner Bescheidenheit: »Eitle Kniffe der Kochkunst sind den Leuten verhasst. Gott sei‘s geklagt, es gibt hier kaum anderes als Regen und Pumpernickel.
« Und so sei eingemeißelt ins Gedächtnis der gebildeten Welt »dieser klebrige, schwarze Stein« (Voltaire). Soll auch weiterhin der edle Fleischsaft des Münsterlandes, dem »Vaterland von Wurst und Schinken« (Heine), deutsche Politik- und Wirtschaftsgeschichte schreiben. So wie schon das rheinische Köln mit ihm Diplomatie machte, nachzulesen im Ausgabenbuch der Stadt vom 1. Mai 1510: »Drie Zyntner westpheischen Schyncken an die Keyserliche Maiestet Maximilian zo Ausberg geschickt ind geschenckt, 45 Mark«. Oder die Lufthansa in den 1950er Jahren, in deren Senator-Class die Delikatesse als Markenzeichen mit flog. Auch Ludwig Erhards Lieblingsspeise war Westfälischer Schinken – mit Hirn. Ohne pumpernickelig klingen zu wollen, Herr Langemeyer, aber das gibt zu denken.
Historische Gasthäuser:
Altes Gasthaus Leve Alter Steinweg 37, Münster Tel. 0251/45595, www.gasthaus-leve.de (ältestes Gasthaus der Stadt, seit 1607, historische Einrichtung, regionale Küche); Gasthaus Stevertal Stevern 36, Nottuln, Tel. 0250/294010, www.gasthaus-stevertal.de (regionale Spezialitäten aus eigener Schlachtung, Forellen, frisch gefangen aus der Steve hinterm Haus; selbstgebackene Brote; saisonale Spezialitäten); Tennenrestaurant, Schnitterhof/Maritim-Hotel Salzstr. 5, Bad Sassendorf Tel. 02921/952414 (ambitionierte westfälische Küche).
Weitere Infos: www.schlemmen-im-muensterland.de www.westfaelisch-geniessen.de