Die turbokapitalistische Mutante des Millerschen Handlungsreisenden muss nicht mehr fürchten, dass der Job die Familie zerstört. Sie hat keine mehr. Der heutige Megaverkäufer befindet sich unablässig im Verkaufsgespräch. Oder er kämpft mit seinen Verkäuferkollegen, die seine Verkäuferfeinde sind, um den ersten Platz auf der Firmenerfolgstabelle, um Provision und Gratifikation. So hat der amerikanische Dramatiker David Mamet ihn in »Hanglage Meerblick« (1983) gezeichnet: Als Mann unter Beweisstrom, aber auch als Akrobat auf Angeberstelzen, der ständig in Bewegung sein muss, um nicht herunterzufallen. Grundstücksmakler Shelly Levene wankt bereits, seine Abschlüsse werden seltener, schon ist er herabgestuft, jetzt versucht er mit allen Verkäufertricks, den Büroleiter auf seine Seite zu ziehen. Diese erste Szene spielt auf der Neusser Bühne in einem China-Restaurant, einer aufgehübschten Abfütterungsanstalt, wo Shelly unter den Deko-Lampions versucht, nicht länger die rote Laterne zu tragen. Die Spannung und Anspannung von Jahren liegt in dem Salesman, so wie ihn Raik Singer als protohysterischen und zugleich tief erschöpften Borderliner gibt, als Mann, der gelernt hat, sich in ständige Kommunikationsaggression zu versetzen, in Agitation, Überrennen des Gegners, des Kunden. Abschluss ist alles. Doch John Williamson, der Büroleiter mit Miniplie (Peter Neutzling), ist zu glatt, um erwischt zu werden. Diese Szene birgt das ganze Stück, und sie zeigt das Vermögen des Regisseurs Jörn-Udo Kortmann und der Schauspieler des Landestheaters. Mamets Sprache ist hart am Alltagsidiom mit seinen Halbsätzen, Andeutungen, Auslassungen, Interjektionen; die Dialoge sind regelrecht verhakelt, nicht nur verzahnt. Dies zu spielen gelingt auf deutschen Bühnen selten – hier jedoch glänzend: Die Spieler finden das Tempo, den Bogen, die Genauigkeit; Plot und Sprache, die hart zwischen Tragik und Satire changieren, bekommen die genau richtige Form.
Allerdings sinkt dieser Wirbel aus dramatischer Gemeinheit und spielerischem Glanz, der durch den wunderbar unerträglichen Richard Roma Mark Weigels noch erhöht wird, nach der Pause in sich zusammen – so als hätten alle Beteiligten die Kraft verloren. Vielleicht nur eine Schwäche der Premierenaufführung, die durch ein paar Striche am Ende noch leichter zu beheben sein dürfte. UDE