Text und Interview: Ulrich Deuter
Seit ihrem Debüt 1992 hat Christiane Paul, geboren 1974 in Ost-Berlin, in mehr als 30 Kino- und Fernsehfilmen mitgespielt, darunter »Das Leben ist eine Baustelle« von Wolfgang Becker und »Im Juli« von Fatih Akin; sie hat den Max-Ophüls- und den Bayerischen Filmpreis bekommen. Der Typ der gleichermaßen geheimnisvollen wie offenen, bezaubernden und zugleich fernen Frau wurde ihr Markenzeichen; gleichzeitig absolvierte sie ein Medizinstudium samt Promotion und engagierte sich vielfach in Sachen Aids-Bekämpfung und vor allem Umweltschutz. Derzeit dreht Paul neben Harvey Keitel, Willem Dafoe und Bruno Ganz »Dust Of Time« von Theo Angelopoulos – und spielt, zum zweiten Mal in ihrem Leben, Theater: Tschechows »Iwanow« am Düsseldorfer Schauspielhaus.
Die Inszenierung ist sehenswert. Die Regie Amélie Niermeyers zeigt das Personal des 1887 uraufgeführten Stücks als Menschen von heute; doch nur durch Figurenzeichnung, nicht durch Aktualisierungsmätzchen. Vor allem aber: Sie trifft auf ihre Weise das Geheimnis aller Tschechow-Stücke, jenes Etwas zwischen Tragischem und Komischem, genau. Hier sehen wir eine Aufbaugesellschaft (die der 50er Jahre, die von heute), also eine, die die innere Leere besonders tüchtig mit Betriebsamkeit kaschiert. Götz Schulte als Iwanow könnte statt eines verarmten Gutsherrn auch ein Manager sein, dem Megabusiness die Fähigkeit zu Empathie, Freundschaft, Freude, Liebe ausgelöscht hat. Nirgendwo ist Raum, Weite, Entwicklungsmöglichkeit, dafür umso mehr Geschwindigkeit; der große Lebens-Vorhang, der auf der allseits offenen Bühne (Stefanie Seitz) hängt, wird hin- und her-, vor und zurückgeschoben, aber geht nie auf. Christiane Paul spielt Iwanows todkranke und betrogene Gattin Anna als eine einstmals, ja im Grunde immer noch autarke Frau, die sich erstaunt dagegen wehrt, überflüssig werden zu sollen, körperlos. Aber welche Mittel hat sie schon? Bloß das leuchtende Lächeln, das sie probiert und probiert.
Wir treffen die Besitzerin dieses wohlbekannten Lächelns wenige Tage vor der Premiere in einem Düsseldorfer Starbucks-Café, sie kommt von der Betreuung ihres kleinen (zweiten) Kindes, muss eine Stunde später pünktlich zur Probe. Sie entschuldigt sich für die wenige Zeit (»Ich renne nur zwischen Zuhause und Theater hin und her«). Holt den Kaffee. Ist freundlich, offen, vollkommen frei von StarAllüren.
K.WEST: Frau Paul, Sie sind eine beliebte und bekannte Filmschauspielerin. Warum dieser Schritt vom Glamour des Films in die Niederungen des Stadttheaters? Warum tun Sie sich das an?
PAUL (lacht): Das habe ich mich zwischendurch auch manchmal gefragt! Nein, der Grund ist die Herausforderung. Heiner Müllers »Auftrag« 2004 in der Regie von Ulrich Mühe, das war für mich eine wunderbare Erfahrung! Also habe ich gehofft, bald wieder die Chance zum Theaterspielen zu kriegen. Als dann Amélie Niermeyer mich fragte – wir kennen uns aus Los Angeles (unterbricht sich, lacht diebisch): Klingt doch toll, nicht: Wir kennen uns aus Los Angeles! Also, da war ich so angetan, da habe ich zugesagt. Für einen Schauspieler ist es sehr wichtig, sich weiter zu entwickeln, finde ich.
K.WEST: Was ist denn der Reiz des Theaterspielens gegenüber dem Film?
PAUL: Dass du eine andere Sprache sprichst, dass du anders körperlich arbeiten musst, dass du einen direkten Kontakt mit dem Zuschauer hast, dass du eine lange Probenzeit hast – diese formalen Dinge. Es ist einfach toll, seine Grenzen auszuloten und auch zu überschreiten. Sicher war es anfangs nicht so einfach, in ein festes Ensemble zu kommen. Aber jetzt ist das alles wunderbar. Ich freue mich jeden Tag, zur Probe zu gehen. Wegen meiner Rolle, der Figur der Anna Petrowna, habe ich meine Auseinandersetzungen primär mit Männern. Und die Jungs sind alle – gut! (Es folgt das berühmte Christiane Paul-Glucksen.)
K.WEST: Gibt es für Sie einen Unterschied zwischen Kunst und Unterhaltung? Denn letztere scheint doch Ihr bevorzugtes Genre zu sein.
PAUL: Komisch! Diese Filme werden immer nachhaltiger wahrgenommen als die anderen, sozusagen ernsteren wie »Die Tote vom Deich«. Jedenfalls – das Theater bietet von seinem Dramenkanon her die Plattform, mehr als nur Unterhaltung zu geben. Sich mit dem auseinanderzusetzen, was uns ideell oder philosophisch beschäftigt. Mehr als in Film und Fernsehen, wo der Druck der Einschaltquoten zu groß geworden ist.
K.WEST: Gibt es also bei Ihnen eine Sehnsucht nach mehr Ernsthaftigkeit, intensiveren Rollen?
PAUL: Ja. Ja. Auf jeden Fall. Natürlich, aber ich mag auch Komödie, mag leichte Stoffe. Aber Film und Theater haben doch eine Verantwortung, die Dinge aufzuzeigen, die in der Gesellschaft quer liegen. Deshalb sucht man lieber nach solchen Rollen als nach seichter Unterhaltung.
K.WEST: Das Publikum im Theater kann sehr direkt sein – es hustet, es murrt, es bleibt einfach weg. Und die Theaterkritik ist ebenfalls gemeiner als die Filmkritik.
PAUL: Meinen Sie, die ist böser?
K.WEST: Bestimmt. Man wird ganz besonders auf Sie schauen. Sind Sie gewappnet?
PAUL: Es wird mich, wenn es kommt, treffen. Dann muss ich damit leben. Wichtiger ist, dass die Regisseurin mit meiner Arbeit zufrieden ist. Daran halte ich mich. Sonst würde ich mich verrückt machen.
K.WEST: Tschechows Figuren sind Klippengänger, hoch gefährdet. Sie hingegen sind eine Frau, der Seriosität wichtiger ist als Glamour. Die nicht nur unterhalten, sondern auch politisch handeln will. Man könnte den Eindruck haben, dass Tschechow Ihnen denkbar fremd sein muss.
PAUL: Ist es wirklich so, dass Figuren, die auf der Klippe stehen, mit einem nichts zu tun haben, solange man keine eigene Drogenkarriere hinter sich hat oder manisch-depressiv ist? Diese Auffassung begegnet mir komischerweise oft. Das Leben bietet doch viele Grenzsituationen, ohne dass man die der Öffentlichkeit mitteilen wollte. Ich bin jemand, der nicht dadurch intensiver lebt, indem die Sachen öffentlich passieren. Ich habe das Gefühl, deutsche Feuilletonisten hätten am liebsten die ganze Zeit bloß abgerockten Punk. Darin liegt doch nicht die Tiefe begraben, dass ich mir dreckige Klamotten anziehe und mir die Haare rot färbe.
K.WEST: Wir wollen halt jemanden wie Sie aus der Reserve locken.
PAUL (lacht): Okay! Ich nehme täglich Beruhigungstabletten, ich trinke auch mal mehr als drei Gläser Wein, dann werde ich von irgend jemandem heimlich ins Taxi gesetzt, damit es niemand sieht. Alles nur, damit ich auch glaubwürdig gebrochene Figuren spielen kann.
K.WEST: Sie vermitteln eben diesen gesunden Eindruck!
PAUL (lacht): Ja, ich weiß, ich bin so wahnsinnig gesund!
K.WEST: Und spielen die Anna, die todkranke Frau der Hauptfigur Iwanow. Diese Anna hat alles für ihre Ehe gegeben und verloren. Sie haben bisher eigentlich mehr diese anderen Frauen gespielt, die starken, Typ Große Schwester. Wie finden Sie nun diese Anna in sich? Gibt es die heimliche Sehnsucht nach Untergang?
PAUL: Es gibt schon eine Sehnsucht danach und eine Verwandtschaft dazu. Absolut. Das sind Dinge, die ich nachvollziehen kann. Ob es Ängste sind, ob es Erlebtes ist. Ob das dann auf der Bühne funktioniert, ist eine andere Sache.
K.WEST: Es gibt eine Faustregel im Theater, die besagt: Ein Stück, das sich leicht lesen lässt, lässt sich schwer spielen. Tschechow lässt sich leicht lesen. Wie schwer spielt er sich?
PAUL: Schwer. Man liest schnell über eine Szene weg. Und gerade diese Stellen sind dann besonders diffizil. Weil so viel dahinter liegt, das man füllen und sich die Psychologie sehr genau ausarbeiten muss. Das ist übrigens der Grund, warum mich Tschechow sehr an Film erinnert, an Drehbücher, obwohl es natürlich keine sind. Man hat eine Figur, die nicht genau gekennzeichnet ist, man muss sich darum herum alles aufbauen.
K.WEST: Hat die Auseinandersetzung mit Tschechow Ihre Grundeinstellung zum Leben in die dunklere Richtung verschoben? Vielleicht hat, sich anzustrengen, ja wirklich keinen Sinn.
PAUL: Wenn das so wäre, könnten wir uns auch gleich erschießen. (Stutzt, lacht.) Tja, und das
tut Iwanow am Ende ja auch. Und die anderen Figuren in den anderen Tschechow-Stücken. Natürlich habe auch ich Phasen, in denen ich denke, was man tut, nützt gar nichts. Wir werden die Klimaveränderung nicht aufhalten. Das Interessante aber ist doch der Kampf darum und nicht aufzugeben. Außerdem, wenn ich den Kopf in den Sand stecke, was dann?
K.WEST: Die Einsicht in die Sinnlosigkeit könnte erleichtern.
PAUL: Wer will es denn leicht? Ich nicht. Interessiert mich nicht. Ich könnte ja sagen: Ich drehe Filme, kaufe mir schöne Sachen, setze mich ins Kabrio und fahre herum. Aber das ist doch nicht Sinn und Zweck des Lebens. Ich möchte mich schon einbringen, Dinge verändern, gucken, was man machen kann, das Leben in die Hand nehmen. Gucken, was wirklich wichtig ist.
K.WEST: »Iwanow« ist 120 Jahre alt, was hat das Stück mit uns zu tun?
PAUL: Das hat total mit uns zu tun. Dieser Iwa-now, der keine Kraft mehr hat, bei dem alles
totgelaufen ist, den nichts mehr interessiert – das hat stark mit unserer Gesellschaft zu tun. Mit der Beziehungslosigkeit, der Trostlosigkeit, der Leere, der Übersättigung. Die Ideologien funktionieren nicht mehr, es gibt keine Religiosität, nur noch Pseudo-Spiritualität. Unsere Welt ist übermedialisiert, alles wird ständig
wiederaufgekocht, keiner redet mehr wirklich mit dem andern. Da ist Tschechows Stück ein
ziemlich gutes Spiegelbild unserer heutigen Gesellschaft.
K.WEST: Auch in Sachen Handlungsarmut und kurzfristigem Aktionismus? Könnten Sie dem Gedanken etwas abgewinnen, dass selbst die gut gemeinte Aktivität, zum Beispiel die Ihre für den Umweltschutz, nur die allgemeine Ratlosigkeit verschleiert?
PAUL: Ich glaube ganz sicher daran, dass man Menschen erreichen muss und auch kann. Gerade weil Politiker dies immer weniger können. Ich will mich nicht vergleichen, aber wenn Angelina Jolie und Brad Pitt sich für den Umweltschutz engagieren, hat das möglicherweise Einfluss auf viele Menschen. Und das kann wichtig sein, denn die Politik hat ja ihren Einfluss auf die Wirtschaft verloren. Das Nokia-Werk wird geschlossen, die Politiker rufen: Hallo, das geht nicht. Der Konzern lacht. Wenn ich aber als öffentliche Person auf dem Boulevard, zu dem ja ohnehin alles immer mehr wird, die Möglichkeit habe, davor zu warnen, dass zu Beispiel die Arten aussterben, anzuregen, mal ein T-Shirt weniger zu kaufen, um damit CO2 zu sparen – warum sollte ich mich dem verweigern? Das wäre keine Haltung.
K.WEST: Glauben Sie, dass es in der Welt eine Entwicklung zum Besseren gibt?
PAUL (lacht): Nein. Ich weiß auch nicht so recht, wohin es geht. Die Menschen müssten einfach versuchen, umzudenken. Aber das ganze Gesellschaftssystem beruht ja leider auf Konsum, Profit, Wirtschaftswachstum. Das ist das grundlegende Problem.
Vorstellungen 19., 20., 26. März 2008. www.duesseldorfer-schauspielhaus.de + www.christianepaul.de