TEXT: STEFANIE STADEL
Eine junge Frau, allein in der neon-kalten Küchenzelle. Sie hat sich nur schnell ihr Badetuch umgewickelt, die Haare sind noch nass. Vielleicht kommt sie gerade aus der Dusche und hatte es mit dem Essen so eilig, dass keine Zeit mehr zum Anziehen war. Nun steht sie da, die gelbe Plastikschüssel vor der Brust, und schaufelt wie in Trance mit voller Gabel die Spaghetti in sich hinein. Ist sie einsam, traurig? Oder krank? Eine Bulimikerin vielleicht, die wir bei einer ihrer Ess-Attacken ertappen? Plötzlich fühlt man sich fast als Voyeur, als ungebetener Zuschauer einer bloßstellenden Situation. Aber das ungute Gefühl trügt – alles ist nur Theater.
Die Protagonistin des Schauspiels heißt Aino Kannisto, sie ist Fotografin. Und in ihren intensiven, penibel inszenierten Stimmungsbildern lichtet sie ausschließlich sich selbst ab – ohne dabei aber jemals ein Selbstporträt zu schaffen. Seit den späten 90ern betreibt die 37-jährige Finnin dieses aufregende Rollenspiel. Im MARTa steht sie damit als Jüngste am Ende einer kleinen Reihe fotografierender Kollegen, die sich während der vergangenen fünf Jahrzehnte höchstselbst und zum Teil ziemlich ungeniert vor der Kamera in Pose gebracht haben.
Valie Export, Elke Krystufek und Jürgen Klauke sind dabei, Martin Liebscher und Christopher Makos, Rudolf Schwarzkogler und natürlich Cindy Sherman. Insgesamt etwa 100 ihrer Fotos fügen sich in Herford zu einer Galerie, die ohne großen theoretischen Unterbau, erkennbare Argumentation oder irgendeinen Anspruch auf Vollständigkeit Schlaglichter auf diverse Formen der fotografischen Selbstinszenierung wirft. Die Möglichkeiten sind vielfältig, eines aber haben Kannisto und ihre Kollegen gemeinsam: Keiner legt es darauf an, ein festes, irgendwie fassbares Bild von sich selbst abzugeben; im Gegenteil.
Nehmen wir etwa Schwarzkogler, den sehr früh verstorbenen Sonderling aus dem Kreis des Wiener Aktionismus. In einer Folge von Aktionsfotos aus den 60er Jahren neutralisiert er sozusagen die eigene Person, indem er sich von Kopf bis Fuß in Mullbinden einwickelt. Als groteske Mumie hantiert Schwarzkogler mal mit medizinischem Gerät, mal mit einem toten Huhn herum.
Oder Valie Export, die sich nicht als Individuum, sondern eher als kämpferisches Sinnbild ihrer Zeit in Szene setzt. Breitbeinig auf dem Stuhl, die Jeans vor der Scham großflächig aufgeschnitten, mit abgebrühtem Blick, in den Armen eine Maschinenpistole. »Aktionshose: Genitalpanik« ist das berühmte fotografische Relikt der gleichnamigen Skandal-Performance, die Valie Export 1969 in einem Münchner Pornokino zur Aufführung brachte. Da schlängelte sich die Künstlerin in ihrer provokativ präparierten »Aktionshose« durch die engen Zuschauerreihen – mit klarer Zielrichtung. Der weibliche Körper als Werkzeug ist ihr Thema. Valie Export hebt ab auf den Zusammenhang von Freizügigkeit und Verfügbarkeit und setzt mit der MP auf dem Schoß zur Selbstverteidigung an.
Im Rückblick scheinen die Jahre um 1970 als Startpunkt und zugleich als Hochzeit dieser Art fotografischer Selbstinszenierung. Immer wieder wurden damals Feminismus und Gender-Diskussion als Kernthemen der Zeit per Kamera verhandelt und dabei ohne Angst vor Tabus extrem zugespitzt. Musterbeispiele bieten hier auch Jürgen Klaukes Auftritte als »Transformer«, der sich bald männlich, bald weiblich oder als merkwürdiger Mix kostümiert. Geschmückt mit diversen Geschlechtsteil-Attrappen, die er an allen möglichen Ecken und Enden seines Körpers befestigt. Während die Gesellschaft noch über Fragen der Emanzipation diskutierte, spielten Künstler wie Klauke bereits mit der Auflösung von männlicher und weiblicher Identität.
Die Gewissheit schwindet – nicht nur, was Klaukes Geschlecht angeht. Grenzen zwischen Wirklichkeit und Fiktion beginnen sich damals auf breiter Front zu verschieben. In einer Flut von Fotos und Filmen zersplittert das vermeintlich feste Bild der eigenen Person, die sich beim Versuch der Selbstfindung noch dazu in den zunehmend massenmedial verbreiteten Klischees zu verlieren droht.
Wesentlich scheinen solche Überlegungen rund um Identität, Rolle und Projektion vor allem für Cindy Sherman. Die1954 geborene Spezialistin auf dem Gebiet des fotografischen Rollenspiels ist in der Ausstellung mit einem größeren Konvolut überwiegend früher Arbeiten vertreten, allesamt Leihgaben der belgischen Vanmoerkerke Collection. Darunter sind etwa Beispiele aus der ersten großen Serie der »Untitled Film Stills«, wo sich die Künstlerin in Situationen präsentiert, die alten Hollywoodfilmen nachgestellt scheinen.
Lange zuvor, bereits als Teenager hatte Sherman das Thema offenbar umgetrieben, als sie Familienschnappschüsse sammelte, um sie dann unter der Überschrift: »That’s me« öffentlich zu machen. Auf einer Hochzeit, in den Ferien, beim Abschlussball: »Das bin ich«. Es klingt nach dem Versuch einer Selbstvergewisserung. Doch schien schon damals Zweifel mitzuschwingen: »Bin ich das wirklich?«
»That’s me«, so titelt nun auch die Ausstellung in Herford. Obwohl eigentlich klar ist, dass die Feststellung auf kaum eines der rund hundert Bilder dieser Ausstellung zutrifft. Wie ein ironisches Resümee des Ganzen wirkt da Martin Liebscher mit seinem »Ensemble«. Auf den ersten Blick zeigt das Foto ein ganz normales Symphonieorchester. Auf den zweiten erkennt man, dass alle Musiker gleich aussehen. Liebscher hat das eigene Gesicht zigfach geklont.
That‘s me. Fotografische Selbst-Bilder, 8.3. – 8.5.2011. www.marta-herford.de