Gerade noch musste er bei Dreharbeiten in Hamburg einen Mordfall lösen, als Kommissar Georg König in der ZDF-/Arte-Serie »Katharina Tempel«. Jetzt ist Stephan Szász wieder in Berlin – um bald schon nach Ostwestfalen weiter zu reisen. Denn seit September ist er der neue künstlerische Leiter des Festivals »Wege durch das Land«, das Literatur und Musik an ungewöhnliche Orte bringt. Was hat er geplant, was will er verändern? Ein Gespräch über Texte auf Wanderschaft, Heimat und Entwurzelung als Schwerpunkte im diesjährigen Programm und die Frage, warum er Tango in eine Möbelfabrik bringt.
kultur.west: Herr Szász, Sie sind ein vielgefragter Schauspieler. Wie kamen Sie dazu, jetzt auch ein Literaturfestival in Ostwestfalen zu leiten?
SZÁSZ: Aus ökonomischer Sicht gab es keinen Grund, ich habe sehr gut und viel zu tun gehabt. Als die Anfrage kam, habe ich erstmal auch gedacht, dass ich ablehnen werde. Ich hatte mich ja schon vor einiger Zeit mit einer Kollegin beworben. Allerdings hat es sich für mich bewährt, auf meinen ersten Impuls erstmal nicht zu vertrauen (lacht). Auch, um mich aus der eigenen Komfortzone herauszulocken und am Ende doch etwas zu tun, das mich persönlich weiterbringt.
kultur.west: Sie leben in Berlin. Wie gut kannten Sie »Wege durch das Land«?
SZÁSZ: Ich bin selbst dreimal in den vergangenen Jahren als Sprecher bei Lesungen dort aufgetreten. Und ich finde, dass es das schönste Festival dieser Art in Deutschland ist. Ich kenne jedenfalls kein vergleichbares, das diese Strukturen hat, diese Herangehensweise, diese Verbindung aus Theater, Musik, Literatur an besonderen Orten.
kultur.west: Der Nachteil allerdings ist der enorme Aufwand, den Sie und ihr Team betreiben – an vielen Orten gibt es kaum Infrastruktur, alles muss herbeigeschafft, auf- und wieder abgebaut werden.
SZÁSZ: Das stimmt und das Team besteht nur aus sieben Leuten. Aber gerade, dass die Veranstaltungen eigentlich alle aus sich heraus entwickelt und nicht einfach irgendwo eingekauft werden, dass sie in dieser Form immer nur ein einziges Mal stattfinden, reizt mich sehr.
kultur.west: Ostwestfalen ist reichlich mit Adelssitzen gesegnet. Warum gehen Sie dann an Orte wie in eine Möbelfabrik nach Langenberg?
SZÁSZ: Das macht eben den Charakter des Festivals aus. Auf Möbelteile Krampe sind wir gekommen, weil wir einen Abend über den Tango machen wollten, der angeblich – so beschreibt es jedenfalls der Regisseur Aki Kaurismäki – aus Finnland kommt. So haben wir also im Team überlegt, was wir alles sonst mit dem Land verbinden. Und sind auf Wodka und Holz gekommen (lacht). In die Region zu gehen, bedeutet ja auch, nicht nur die pittoresken Seiten zu zeigen – so werden bei Krampe das Ensemble Tango Finlandés spielen und Dietrich Hollinderbäumer aus seinem Roman »Das Jahr des Hasen« lesen, in dem er einen Roadtrip durch die Wildnis Finnlands beschreibt.
kultur.west: Sie sind erst im September gestartet, haben aber viele namhafte Schauspieler*innen und Autor*innen wie Dietmar Bär, Fritzi Haberlandt, Fabian Busch, Volker Kutscher, Michael Lentz oder Ulrich Matthes im Programm, die nicht immer leicht zu buchen sind. Wie ist Ihnen das in so kurzer Zeit gelungen?
SZÁSZ: Ich ruf die einfach an (lacht). Meine Grundprämisse war, dass ich nur Menschen einladen will, die ich künstlerisch bewundere und von denen ich menschlich eine Menge halte. Viele kenne ich persönlich, mit einigen habe ich schon zusammengearbeitet.
kultur.west: Gleichwohl ist einiges am bisherigen Konzept geblieben. Was wollen Sie noch verändern?
SZÁSZ: Wie viele Festivals stehen auch wir vor der Herausforderung, dass das ältere Publikum weniger wird. Wie schaffe ich es, junge Leute zu gewinnen? In der Wandelhalle in Bad Oeynhausen wird Meike Rötzer die Geschichte vom Zauberberg nicht vorlesen, sondern auf ihre Art, in verschiedenen Rollen, erzählen. Wir wollen versuchen, durch solche Formate Schwellenängste abzubauen, Klassiker in unsere Zeit zu holen und zu zeigen, dass viele ihrer Stoffe zeitlos aktuell sind. Wir könnten uns auch vorstellen, 2025 damit an Schulen zu gehen – um dort die Lust an Literatur zu wecken.
kultur.west: Von der Rossmühle in Hüllhorst aus gehen Sie mit ihren Zuhörern auf Wanderschaft, um Texte am Wegesrand vorzutragen – warum? Hört und erzählt es sich im Laufen besser?
SZÁSZ: Während des Gehens etwas zu erzählen, das ist eine literarische Form, die wir wieder aufleben lassen. Bei diesem Format stehen die Texte und Musik in Korrespondenz zur Natur. Man geht raus aus den Räumen, das ist in Ostwestfalen natürlich immer ein Risiko, mit Blick auf das Wetter (lacht). Aber wir planen, rund um die Rossmühle an drei Stationen Halt zu machen, um das Verhältnis von Mensch und Tier zu umkreisen – literarisch und musikalisch.
kultur.west: Sophie von Stockhausen hat ein Buch darüber geschrieben, wie es ist, das Augenlicht zu verlieren. Dem gegenüber stellen Sie Max Frischs »Mein Name sei Gantenbein«, in dem ein Sehender nur so tut, als sei er blind. Das klingt nach einer Gratwanderung, zumal sie danach Sophie von Stockhausen auf die Bühne holen, die ja tatsächlich mit Blindheit zu kämpfen hat…
SZASZ: Ich war von ihrem Sachbuch »Mit einem lachendem Auge« begeistert, in dem sie ihre Krankheit und ihren Umgang damit beschreibt. Der Abend wird also Realität und Fiktion – in Kombination mit Frischs Text – gegenüberstellen. Dazu spielt das Duo Oxygen, das sich Sophie von Stockhausen ausgesucht hat, weil es mit Tönen zunehmende Dunkelheit musikalisch erleuchten will.
kultur.west: Das Festival hat das Motto »Das Heim ist fort, das Weh, es bleibt«; angelehnt an ein Gedicht von Mascha Kaléko. Welche Rolle spielen die Themen Entwurzelung und Verlust im Programm?
SZÁSZ: Mein Vater ist 1956 aus Ungarn nach Deutschland gekommen, meine Mutter 1945 als Sudetendeutsche. Beide haben versucht, sich in einem für sie fremden Land neu zu verwurzeln. Meiner Mutter ist das sehr gut gelungen, meinem Vater nie. In diesem Spagat hat sich mein Familienleben bewegt. Vielleicht auch deshalb habe ich mich schon früh für die Literatur, Kunst und Musik der 20er Jahre interessiert, weil sie so viel verkörpert, was mich beschäftigt. Heute sind geschätzt weltweit weit über 100 Millionen Menschen auf der Flucht, vor Hunger, Klima und Kriegen.
kultur.west: Was kann ein Kulturprogramm da leisten?
SZÁSZ: Wir planen etwa einen Iran-Abend, an dem wir an den Mut der Frauen im Land erinnern und zeigen wollen, was an Kultur, was an Schönheit zerstört wird. Es geht insofern also auch um Verluste, ähnlich wie bei Sophie von Stockhausen. Oder wir gehen in die Zionskirche, an einen Ort der Bethel-Stiftung, die Menschen aufnimmt, die vielleicht ihr Zuhause aufgrund einer Krankheit oder Behinderung verlassen haben, ihr ursprüngliches soziales Umfeld. Wenn auch nur zwei Menschen nach einem Abend bei uns über solche Themen ins Gespräch kommen, bin ich glücklich. Und freue mich natürlich über mehr (lacht).
kultur.west: Wenn es um verbindende Elemente in unserer Gesellschaft geht, kommt man am Fußball nicht vorbei. Schon gar nicht mit Blick auf die EM. Sie selbst werden ein Gespräch mit dem legendären Trainer Ewald Lienen führen. Wie kam es dazu?
SZÁSZ: Zum einen bin ich ein großer Fußball-Fan. Aber ich wollte Lienen nicht zu den üblichen Themen befragen, etwa zu St. Pauli. Er wird davon erzählen, dass ein Sportverein auch so etwas wie ein Stück Heimat sein kann – er selbst hat seine Mutter mit 14 verloren. So soll alles am Ende einen Bogen ergeben: Angefangen mit der Eröffnung, die am 4. Mai mit Nino Haratischwili im Detmolder Hangar 21, also an einem Ort des Ankommens und Weiterziehens, stattfinden wird. Bis zu Veranstaltungen, die sich mit Verlusten, aber auch mit neuen Heimaten beschäftigen.
Zur Person
Stephan Szász kam 1966 in Witzenhausen bei Kassel zur Welt und wuchs im hessischen Großalmerode auf. Er studierte an der Hochschule für Musik und Theater in Hannover Schauspiel. Im Anschluss folgten Engagements an den Theatern in Köln, Zürich und Mannheim, ehe er sein Filmdebüt in »Das Experiment« gab. Seitdem war er in unzähligen deutschen und internationalen Filmen und Serien zu sehen, etwa im »Tatort«, »Polizeiruf 110«, im BBC-Dreiteiler »37 Days« und im Kinofilm »Albträumer«. Szász folgt als künstlerischer Leiter auf Traudl Bünger und Tilman Strasser, die »Wege durch das Land« nur eine Saison verantwortet hatten.
4. Mai bis 12. Juli 2024
an verschiedenen Orten in OWL