Mit Lyrik verbindet man zunächst stillen Genuss. Ein Glas Wein, ein bequemer Sessel, ein leinengebundenes Buch. Da ist zunächst nichts zu hören, außer dem Rascheln der Seiten und dem leisen Atmen. Doch Gedichte können Klangkunst werden, eine Stimme bekommen und vergangene Stimmen wieder erklingen lassen. Das Literaturfestival Poetica widmet sich dem Klang von Gedichten und was dieser erzählt. Die Kuratorin, Lyrikerin und Essayistin Uljana Wolf hat in diesem Jahr den Leipziger Buchpreis in der Kategorie Sachbuch/Essayistik für ihr Buch »Etymologischer Gossip« gewonnen. Nun lädt sie neun internationale Autor*Innen nach Köln ein, um mit ihnen über den Klang von Sprache und Lyrik als Erweiterung von Geschichtsschreibung zu sprechen.
Die belarussische Schriftstellerin Swetlana Alexijewitsch hat mit ihrer dokumentarischen Prosa »Der Krieg hat kein weibliches Gesicht« einen Gedächtnisband für all die Frauen geschaffen, die den Russlandfeldzug des Dritten Reiches im Zweiten Weltkrieg miterlebten. Im Rahmen des Festivals wird sie am 3. Mai in der Universität zu Köln mit der Übersetzerin Katharina Narbutovic über ihr Werk sprechen und aus »Secondhand-Zeit. Leben auf den Trümmern des Sozialismus« lesen, für das sie mit Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion über den Zerfall von Idealen und zerbrochenen Lebensentwürfen gesprochen hat.
Doch die Autor*innen der Poetica stellen sich nicht nur ihrem eigenen Schreiben: Mit der Klangkünstlerin und DJane Ain Bailey widmen sich am 5. Mai in der Kunsthochschule für Medien unter anderem Yan Jun, Mihret Kebede, Fiston Mwanza Mujila, Anja Utler und Cecilia Vicuña in einem Workshop ihrer persönlichen »Klang-Autobiografie«. Bailey erforscht mit ihrer Arbeit, wie Identitäten und Biografien aus Klang entstehen können und wie Klang diese Autobiografien prägt. Ihr kollaboratives Projekt hatte sie mit Geflüchteten und Menschen aus der LGBTQIA+-Community zunächst in der Serpentine Gallery in London begonnen – nun führt sie es in Köln fort.
Gerade dieser kollaborative Ansatz macht auch die anderen Events aus. Die Autor*innen tauschen sich mit anderen aus der ganzen Welt aus. Unter dem klangvollen Titel »Hier spricht das Loch im Bagel« sprechen am 5. Mai im Historischen Archiv die amerikanische Schriftstellerin Don Mee Choi, der chilenische Dichter Carlos Soto-Román und die russische Autorin Maria Stepanova über ihre eigenen Zugänge zu Sprache und Erinnerung. Don Mee Chois hat ihre frühe Kindheit in Südkorea verbracht und rekonstruiert mithilfe von Fotografien und Interviews ihres Vaters eine Geschichte von Erinnerung und Identität auf der einen, eine historische Aufarbeitung von Krieg, Besatzung und Kolonialisierung auf der anderen Seite. Maria Stepanova seziert in ihrem Roman »Nach dem Gedächtnis« die Geschichte Osteuropas mit literarischem Werkzeug, während Carlos Soto-Román aus vorgefundenen Dokumenten Konkrete Poesie extrahiert. Sprache formt unsere Geschichte. Wie, das bestimmen auch wir selbst.
poetica – Festival für Weltliteratur
2. bis 7. Mai, verschiedene Orte in Köln, poetica.uni-koeln.de