Es ist ein Szenario, das auf den ersten Blick amüsiert – auf den zweiten allerdings empört: Über einem Konferenztisch im Tanzhaus NRW zieht eine Kordel eine Leuchtröhre zur Seite und fixiert sie. Auf dem Tisch steht ein Eimer, der das Wasser auffängt, das die Lampe nicht abbekommen soll. Und nebenan, im engen Büro der Abteilung Public Relations, dann dieser Anblick: Ein Sortiment an Salatschüsseln und Papierkörben verteilt sich über Tische und Boden. Kabelschächte sind abgedeckt. Dunkle Wasserränder durchziehen den schmutzig-blauen Teppich. Tanzhaus-Chefin Ingrida Gerbutavičiūtė sagt dazu ganz trocken: »Das Dach ist undicht. Auch in die Garderoben der Dozent*innen und in ein Studio regnet es hinein. Und im Hinterhof bröckelt eine Wand vor sich hin.«
Die neue Chefin des Tanzhauses NRW ist seit erst einem Jahr im Haus. Und bilanziert nüchtern: »Die Bausubstanz ist marode. Der hintere Trakt des Gebäude müsste zügig abgerissen und durch einen Neubau ersetzt werden.« Ausbesserungsarbeiten durch das Hauspersonal hätten nur kurzfristig geholfen. Gleiches gilt für die Gebäudetechnik wie die Heizungs- und Lüftungsanlage. Die Intendantin ist besorgt und verärgert. Was verständlich ist, denn einige in ihrem Team arbeiten schon seit Jahren unter solchen Arbeitsbedingungen. Eine Zumutung. Sie appelliert an die Stadt Düsseldorf: »Es besteht dringender Handlungsbedarf!« Im Jahr seines 25-jährigen Bestehens sieht das Geburtstagskind Tanzhaus NRW – trotz regen Besucherzuspruchs – ziemlich angeschlagen aus.
Von Hinhalten, Intransparenz und fehlender Wertschätzung ist das Verhalten seitens der Stadt geprägt: Seit anderthalb Jahren ist die Planung für eine Sanierung und einen Neubau im hinteren Trakt des ehemaligen Straßenbahndepots eigentlich schon abgeschlossen. Das Bauamt hat die Baugenehmigung dafür längst erteilt. Passiert ist bis jetzt – nichts. Denn einen Finanzierungs- und Ausführungsbeschluss durch den Stadtrat gab es bisher nicht. Warum verzögert sich die Baumaßnahme immer weiter? Auf Anfrage von kultur.west reagiert die Stadtverwaltung Düsseldorf reserviert mit einer nichtssagenden Auskunft: »Die Sanierung und der Umbau des Tanzhauses NRW bedürfen politischer Beschlüsse. Die Verwaltungsvorlagen hierzu werden momentan intern abgestimmt.«
Dabei wird es höchste Zeit, dass die Verwaltung diese Vorlagen unterbreitet. Denn am 14. Dezember tagt der Stadtrat, um über die Freigabe der finanziellen Mittel für Sanierung und Neubau endlich zu beraten. Warum erst jetzt? Marcus Münter (CDU), stellvertretender Vorsitzender des Kulturausschusses, weiß es auch nicht.
Wir entscheiden über Vorlagen der Verwaltung. Wenn die Stadtverwaltung keine Vorlage einbringt, dann können wir uns nicht zu der Mittelvergabe verhalten.
Marcus Müller (CDU), stellvertretender Vorsitzender des Düsseldorfer Kulturausschusses
Der Ratsherr macht macht dem Team des international renommierten Hauses Hoffnung: »Ich selbst sehe großen Handlungsbedarf. Die Politik in Düsseldorf nehme ich so wahr, dass sie dem Vorhaben große Sympathien entgegenbringt und dem Tanzhaus weiterhelfen will.«
Laut Ingrida Gerbutavičiūtė ist es ein Ding der Unmöglichkeit, unter diesen Umständen einen langfristigen Spielplan auf die Beine zu stellen. Und: Die Verzögerung verursacht Kosten. Die ursprüngliche Planung ging 2020 noch von 18,5 Millionen Euro aus, dabei wurden 5,6 Millionen für die Sanierung und 12,8 Millionen für den Neubau veranschlagt. Das Land hatte bereits erklärt, die Hälfte der Kosten für den Neubau zu übernehmen. Mittlerweile liegen die Schätzungen bei 25 Millionen Euro für Sanierung und Erweiterungsbau.
Der Tanzhaus-Chefin ist bewusst, dass sie das Haus in einer Umbruchphase übernommen hat und als Bau-Intendantin in die Geschichte des Hauses eingehen wird.
Ich mache keine Kunst, ich baue!
Ingrida Gerbutavičiūtė
Der Zustand des Gebäudes und die Sanierung bestimmen natürlich den künstlerischen Spielraum und ihre Programmgestaltung. Die Litauerin: »Zunächst einmal muss die architektonische Qualität gesichert werden, das hat absolute Priorität. Wir werden mit unserem Angebot nach draußen in die Stadt gehen müssen, weil im laufenden Betrieb gebaut werden wird. Da ist es nicht so einfach, neue Akzente zu setzen.« Realistisch ist es ihrer Ansicht nach, dass die Baumaßnahmen im Herbst 2024 beginnen und drei bis vier Jahre dauern werden. Als Tochter einer Bau-Ingenieurin, die das Projekt interessiert mitverfolgt, muss Ingrida Gerbutavičiūtė es wissen.
Sie hat sich auf die Intendanz beworben, weil das Tanzhaus NRW »das größte und erste Haus für den Tanz national und international« ist. »Fragt man Künstler*innen danach, wo sie ihre Projekte realisieren wollen, nennen sie als erstes das Tanzhaus NRW«, ist ihre Erfahrung. Umso mehr habe es sie schockiert, »dass das kulturpolitische Renommée des Hauses bei Stadt und Land gar nicht so stark im Bewusstsein ist«. Sie sei öfters gefragt worden, was sie an dieser Aufgabe gereizt habe und habe Erstaunen für ihre Wahrnehmung von der Bedeutung des Hauses ausgelöst.
Dazu passt die kurzfristige Absage der Düsseldorfer Kulturdezernentin Miriam Koch (Die Grünen) für ein Treffen mit einer schwedischen Delegation Mitte November. Vertreter aus Wirtschaft und Politik, die in einer ehemaligen Papierfabrik bei Göteborg ein Kulturzentrum mit großem Tanzbereich planen, waren zum Informationsaustausch nach Düsseldorf gekommen – nach wie vor ist das Tanzhaus NRW ein internationales Modellprojekt mit seiner Kombination aus Bühne, Produktionsort und Akademie. Doch die Dezernentin entschuldigte sich wenige Stunden vor dem Termin, sie müsse die Ratssitzung am nächsten Tag vorbereiten. Wertschätzung sieht anders aus.