INTERVIEW: BETTINA TROUWBORST
Er hat ihre saphirblauen Augen – und ihre Künstlerhände. Als Projektleiter baut Salomon Bausch, Sohn der berühmten, vor vier Jahren verstorbenen Choreografin Pina Bausch, ein digitales Archiv für ihr Werk auf. Und er hütet als Vorstand der »Pina Bausch Foundation« ihr künstlerisches Erbe. In diesem Jahr feiert das Tanztheater Wuppertal sein 40-jähriges Jubiläum. Gemeinsam mit dem Land NRW, den Städten Wuppertal und Düsseldorf hat die Kompanie dafür ein Jubiläumsprogramm aufgelegt, das an Pina Bausch erinnern soll: mit Wiederaufnahmen ihrer Stücke, Ausstellungen, Filmen, Konzerten und Workshops. Ein Gespräch mit Salomon Bausch über das, was bleibt von Pina Bausch.
K.WEST: Waren Sie in Ihrer Kindheit und Jugend viel im Tanztheater?
BAUSCH: Ja, natürlich. Klar.
K.WEST: Wie groß war das Interesse?
BAUSCH: Mit Interesse hatte das erst mal nicht viel zu tun. Das Tanztheater war einfach Teil meines Lebens. Bevor ich in die Schule kam, bin ich häufig mit der Kompanie gereist.
K.WEST: Sie haben in Bochum Jura studiert – nüchterne Paragrafen statt schöner Künste. Warum Rechtswissenschaften?
BAUSCH: Mein Ziel war, mich im Ausländer- und Asylrecht als Rechtsanwalt zu engagieren. Ich wollte auf diese Weise helfen, etwas gegen diverse Missstände zu unternehmen.
K.WEST: Als Ihre Mutter im Juni 2009 starb, hatten Sie gerade mit einer Promotion in öffentlichem Recht an der Universität Bielefeld begonnen. Sie haben Ihre Lebensplanung umgeworfen und im August 2009 die »Pina Bausch Foundation« gegründet. Sie sind der Vorstand. War das eine schwere Entscheidung?
BAUSCH: Meine Mutter hatte schon einige Jahre intensiv über die Gründung einer Stiftung nachgedacht. Es lag ihr sehr am Herzen, dass es etwas gibt, das über ihr Leben bzw. über ihre aktive Arbeitsphase hinaus ihr Werk lebendig hält. Darüber hatten wir schon gesprochen, aber es ist leider nicht zur Umsetzung gekommen. Nach ihrem Tod war es für mich eine klare und einfache Entscheidung, die Stiftung zu gründen. Und ich hatte das Gefühl, etwas dazu beitragen zu können, die Stiftung richtig aufzustellen.
K.WEST: Auf Ihren Schultern ruhen ein großes Kapitel deutscher Tanzgeschichte und die Zukunft des Tanztheaters Wuppertal. Wie fühlt sich das an?
BAUSCH: Zunächst ist es ein großes Glück, wenn man von einem Menschen, der nicht mehr da ist, noch so viel spüren kann. Das ist nicht vielen vergönnt. Deshalb ist es ein Genuss, die Stücke – mit diesen Tänzern – weiterhin auf der Bühne zu sehen.
K.WEST: Aber ist es nicht auch eine Herausforderung: das Archiv, die Zukunft des Ensembles …
BAUSCH: Das Tanztheater trifft seine eigenen Entscheidungen, das ist nicht die Aufgabe der Stiftung. Das Interesse der Stiftung ist immer dann berührt, wenn es um die Stücke meiner Mutter geht oder um ihren Namen.
K.WEST: Hauptanliegen bleibt das Archiv, Sie sind der Projektleiter von »Pina lädt ein. Ein Archiv als Zukunftswerkstatt«. Eine Herkulesaufgabe.
BAUSCH: Das Archiv ist Mittel zum Zweck. Hauptanliegen ist, dass die Arbeit meiner Mutter noch möglichst lange erfahrbar bleibt. Das geschieht am besten auf der Bühne. Die Stücke sollen möglichst lange überleben können. Aber in 20, 30 Jahren wird das auf diese Weise mit diesen Leuten natürlich nicht mehr möglich sein. Deshalb überlegen wir, wie wir alle Informationen zu den Stücken zusammentragen können. Wir digitalisieren 7500 Videos aus 40 Jahren Tanztheater und aus der Zeit davor; Fotos, Presse, Programmhefte, Poster. Wir fotografieren Kostüme und dokumentieren Bühnenbilder und vieles mehr.
K.WEST: Wie gehen Sie vor?
BAUSCH: Das Gute ist, dass es das Archiv eigentlich schon gibt. Meine Mutter hat es in den vergangenen 40 Jahren selbst angelegt. Sonst hätten die ganzen Stücke gar nicht wieder aufgenommen werden können. Dieses enorme Repertoire ist sehr ungewöhnlich und unterscheidet das Tanztheater Wuppertal von den meisten anderen Kompanien. Wir haben behutsam geguckt, was da ist, wie es sortiert ist und wie es sich beschreiben lässt. Um dann zu sehen, was fehlt noch, was steckt nur in den Köpfen und Körpern der Beteiligten.
K.WEST: Wie überführt man so etwas in ein Archiv?
BAUSCH: Das ist sehr viel detaillierte Arbeit, und wir sind noch lange nicht am Ende. Gerade was das Wissen und die Erfahrung der Tänzer angeht, ist da noch viel zu tun. Das hat mit der Dokumentation von Probenprozessen zu tun, mit »Oral History«-Projekten, also mit Interviews über die Stücke usw.
K.WEST: Ist das Archiv als Forschungsprojekt anerkannt?
BAUSCH: Formal läuft nur ein Teil als Forschungsprojekt, nämlich die Kooperation mit der Hochschule Darmstadt und ihrem sehr breit angelegten, interdisziplinären Fachbereich Media. Dort gibt es etwa Informatiker, Designer, Spiele-Entwickler und Journalisten. Gemeinsam entwickeln wir eine Technologie für eine digitale Datenbasis, in der wir unsere umfangreichen Materialien beschreiben, bewerten und verlinken können.
K.WEST: Ein Beispiel?
BAUSCH: Sehr verkürzt: Ein Stück wird mit dazugehörigen Aufführungen, Regiebüchern, Kostümen etc. verknüpft. Die Aufführungen werden dann mit Programmheften, Videos, Fotos oder etwa Tänzern verlinkt. Und so weiter. Dann werden die Sachen inhaltlich beschrieben, vor allem die Videos bewertet. Dafür ist die enge Zusammenarbeit mit dem Tanztheater Wuppertal enorm wichtig.
K.WEST: Gibt es schon Erfolgserlebnisse?
BAUSCH: Es ist schön zu sehen, wie Informationen zusammenfließen und alles doch nicht so verwirrend ist, wie man manchmal glaubt. Voraussichtlich wird das digitale Pina-Bausch-Archiv einmal 20 Millionen Daten-Verbindungen enthalten. Einen Test mit einer entsprechenden Anzahl simulierter Daten hat die Datenbasis schon erfolgreich bestanden.
K.WEST: 2015 steht ein Tabubruch an: Andere Tanzkompanien sollen weltweit Werke Ihrer Mutter einstudieren dürfen. Ist da angesichts der zu erwartenden Nachfrage nicht eine Bausch-Inflation zu befürchten?
BAUSCH: Ich weiß nicht, warum Sie das als einen Tabubruch ansehen. Das ist etwas, was meine Mutter auch schon gemacht hat.
K.WEST: Aber doch nur in Ausnahmefällen.
BAUSCH: Ja, aber auch, weil sie sehr wenig Zeit gehabt hat. So etwas funktioniert auch nicht mit jeder Kompanie und vielleicht auch nicht mit jedem Stück. Die Partner müssen gut passen. Meine Mutter hat zwei Stücke an das Ballett der Pariser Oper gegeben, »Orpheus und Eurydike« und »Le Sacre du Printemps«, die bis heute gespielt werden. Ich glaube, es gibt keine Alternative zur Weitergabe an andere Kompanien, wenn man will, dass die Stücke langfristig erhalten bleiben.
K.WEST: Die Produktionen könnten doch weiter in Wuppertal zu sehen sein.
BAUSCH: Ja, klar. Es spricht ja auch überhaupt nichts dagegen. Nur: Die Stiftung hat nicht in der Hand, wie lange das Tanztheater Wuppertal – und in welcher Form – noch existiert. Zurzeit steht es außer Frage. Aber ich weiß nicht, was in 20 Jahren ist. Wenn die beteiligten Personen, auch die Theaterleitung, andere sind, gibt es vielleicht andere Schwerpunkte. Man kann sich nicht darauf verlassen, dass es immer so weiter läuft – auch nicht in dieser Qualität.
K.WEST: In der bevorstehenden Jubiläumsspielzeit zum 40-jährigen Bestehen des Tanztheaters Wuppertal sind 120 Veranstaltungen geplant. Dabei fällt die Rekonstruktion des Frühwerks »Wind von West« von 1975 auf – eine internationale Kooperation mit Studenten der Juilliard School in New York, Studierenden der Folkwang Universität und des Folkwang Tanzstudios Essen. Warum New York?
BAUSCH: Es sind die beiden Ausbildungsstationen meiner Mutter. Deshalb ist es sehr schön, diese so unterschiedlichen Schulen einmal zusammenzubringen. Das gab es noch nie.
K.WEST: Die Tänzer stehen alle gemeinsam auf der Bühne?
BAUSCH: Die Studenten werden »Wind von West« unabhängig voneinander in Essen und New York einstudieren. Danach wird es zwei kombinierte Aufführungen geben und in Wuppertal und Essen jeweils eine Vorstellung ausschließlich mit Folkwang-Tänzern. In New York genauso: Dort gibt es zwei kombinierte Vorstellungen und danach drei, die nur Juilliard tanzt. Eine wichtige Erfahrung für die Studenten und eine schöne Bereicherung für das Stück.
K.WEST: Warum eigentlich dieses Stück?
BAUSCH: Es ist eines der wenigen, die das Tanztheater nicht im aktiven Repertoire hat, und es schien uns mit den Beteiligten sehr gut machbar zu sein. Damit ist der dreiteilige Strawinsky-Abend »Frühlingsopfer« – bestehend aus »Wind von West«, »Der Zweite Frühling« und »Le Sacre du Printemps« – erstmals seit den 70er Jahren wieder als Ganzes zu erleben. Wenn wir jetzt nicht die Rekonstruktion angegangen wären, hätten wir viele wichtige Informationen, die nur die Beteiligten von damals hatten, unwiederbringlich verloren. Ich denke, dass war ein wichtiger Aspekt für die Förderung durch den Tanzfonds Erbe.
K.WEST: Haben Sie »Wind von West« schon einmal gesehen?
BAUSCH: Nein, es ist 1979 zum letzten Mal aufgeführt worden. Da gab es mich ja noch nicht – ich bin 1981 geboren.
K.WEST: Haben Sie jemals daran gedacht, selber zu tanzen?
BAUSCH: Nein, das stand nie im Raum.
PINA 40, vom 5. September 2013 bis 25. Mai 2014 in Wuppertal und Essen. www.pina40.de