TEXT: ALEXANDRA WACH
Der Aufstieg zum Locus amoenus führt über steile Serpentinen, die einem toskanischen Bergstädtchen à la Montepulciano Konkurrenz machen könnten. Genug Zeit, um den Autolärm des unansehnlich zerdehnten Wuppertaler Stadtzentrums hinter sich zu lassen und die ersten Plastiken, die wie wachende Riesen am Wegesrand platziert sind, in Augenschein zu nehmen. Die biomorphe Formensprache ihres Erschaffers fügt sich nahtlos ins Naturumfeld. Der erste Kontakt mit Bronze und Stahl erweist sich als unaufdringlich und einladend. Ist der Toreingang einmal durchschritten, stimmt das ehemalige Gärtnerhaus mit kulinarischen Verschnaufpausen auf den »Waldfrieden« ein.
Ein Name ganz nach dem Geschmack des britischen Bildhauers Tony Cragg, der wegen seiner deutschen Frau, einer Wuppertalerin, 1977 nach Deutschland gezogen war und zuletzt als Rektor der Düsseldorfer Kunstakademie Bewegung in die unter Markus Lüpertz einseitig der Malerei huldigende Institution brachte. 2006 kaufte der vom Markt mit sechsstelligen Summen umworbene Turner-Preisträger und mehrfacher documenta-Teilnehmer das 15 Hektar große Waldgrundstück, das sich nur wenige Kilometer von seinem Atelier und Wohnhaus befand. Zwei Jahre später übergab er es seiner Bestimmung eines Begegnungsrefugiums zwischen Natur und Kunst. »Es ist überall Wald, aber es ist etwas hier, das von den Energien lebt«, stellte Cragg einmal in einem Interview fest. »Man merkt, dass die Stadt nicht weit weg ist. Man kommt aus einer urbanen Situation, und plötzlich ist da eine Stille und natürliche Qualität.«
Wem beim Anblick des weitläufigen Areals nicht nur Meditation, sondern auch Wagners Villa Wahnfried einfällt, liegt nur bedingt falsch. Den Aufgang zum Anwesen säumt eine Stützmauer, die man auch für einen kriegerischen Wall halten könnte. Das seit 1992 denkmalgeschützte Haus, das sich der frühere Besitzer Kurt Herberts zwischen 1946 und 1949 erbauen ließ, schöpft wiederum reichlich aus dem Fundus esoterischer Weltverbesserungsentwürfe. Dem Lackfabrikanten und Kunstmäzen, der in der Nazi-Zeit verfolgten Künstlern wie Oskar Schlemmer oder Willi Baumeister ein Auskommen in seiner Fabrik sicherte, schwebte ein Musterexemplar der anthroposophischen Bauweise vor.
HAUS UND PARK VERFIELEN – BIS CRAGG KAM
Und tatsächlich, die Wände, die der Architekt Franz Krause aufstellte, fließen ineinander über wie bei Antoni Gaudí, rechte Winkel und eckige Kanten sind unerwünscht. Die rund 30 Räume auf drei Geschossen scheinen sich den Bewegungen der Bewohner anzupassen und das Gebäude selbst ähnelt von außen eher einem extraterrestrischen Organismus als einer Wohnmaschine – zum Trotz der überraschend funktionalen Ausstattung mit Klimaanlage, versenkbaren Panoramafenstern und indirekter Beleuchtung. Eigentlich ein unheimliches Heim, das den Besucher einzusaugen scheint, weswegen Regisseur Oskar Roehler es vor einigen Jahren wohl auch als Schauplatz seiner Familiendystopie »Agnes und seine Brüder« wählte.
1989 starb der spirituell zum Höheren berufene Hausherr. Der zerstrittenen Familie fiel nichts anderes ein, als das Erbe verfallen zu lassen. Es vergingen Jahre, die Zäune bekamen Risse, die Wände fingen Wasser und die alten Buchen wucherten märchenhaft, bis die gemeinnützige Tony Cragg Foundation das Grundstück gerade noch rechtzeitig erwarb und die kuriose Ruine wieder in Stand setzte – samt der eingebauten Möbel und der Stahlbehälter, die an jeder Parksitzbank befestigt sind. Herberts, der als Geschäftsmann überall erreichbar sein wollte, verließ sich nicht auf unsichtbare Schwingungen. Er verlegte ein privates Netz aus Kabeln durchs Gestrüpp und stattete die Kästen mit wetterfesten Telefonapparaten aus. Kaum vorstellbar das surreale Schauspiel, wenn das Klingeln nachts zwischen den Laternen und Baumwipfeln erklang.
Das riesige Schwimmbad hatte weniger Glück. Auf seinen Fundamenten errichtete Cragg einen lichtdurchfluteten Glaspavillon, der auch ohne Wechselausstellungen mit seiner freien Sicht auf den Mischwald beeindruckt. Neben Kammerkonzerten und Lesungen bespielte mit Mario Merz 2008 zum ersten Mal ein Kollege den großen Saal. Es folgten Chillida, Dubuffet, Carl Andre oder Richard Long. Der letzte Gast in der Reihe war der Brite William Tucker mit seinen naturnahen Steinsformationen. Die Grünanlage selbst animiert zur Ostereisuche. Vom magischen Pfad abkommen muss der Flaneur deshalb keineswegs. Die meisten Skulpturen gehen auf das Konto des Meisters. Sie stammen aus unterschiedlichen Schaffensphasen und umfassen mehr als zwei Dutzend Werke. Auf einer großen Lichtung kommunizieren drei mächtige Bronzesäulen miteinander. Verdrehte Hohlkörper wechseln sich ab mit hochgetürmten Sandstein-Säulen oder lochsiebartig zerstochenen Membranen. Wenn sie nicht nah am Parkweg Position bezogen haben, bleiben seine »Mixed Feelings«, »Distant Cousins« und »Wild Relatives« stets im Blickfeld klug ausgewählter Sichtachsen. Dazwischen sorgen Dauerleihgaben befreundeter Bildhauer für Abwechslung.
DIE NEUZUGÄNGE ZWISCHEN DEN NEUEN BÄUMEN
Nicht, dass Craggs tonnenschweres Spektrum überschaubar wäre. Die Formen und Materialien swingen schwerelos, Polyester trifft auf Holz und Bronze, Geschichtetes auf organisch Gewachsenes. Dennoch möchte man den an eine karibische Riesenmuschel erinnernden »Trashstone« von Wilhelm Mundt, oder den die Villa Waldfrieden bedrängenden »Vater Staat« von Thomas Schütte nicht missen. Genauso wenig wie Jaume Plensas hypnotisch die Besucher anziehenden Frauenmarmorkopf »Mariana W’s World«, der es, den unzähligen Handyknipsereien nach zu urteilen, bald zum begehrtesten Postkartenmotiv der Anlage bringen könnte. Ein Neuzugang auf dem Parcours ist auch Bogomir Eckers »Odolop«, eine wacklige Konstruktion aus roten Eimerzylindern, die sich dem Turmbau zu Babel gleich dem Himmel entgegenstreckt.
Pünktlich zum Jubiläum ist der Park um acht Hektar gewachsen. 30.000 Besucher empfängt er inzwischen pro Jahr. Höchste Zeit also, für mehr Auslauf zu sorgen. Cragg tauschte den südlichen Teil des Geländes gegen ein östlich angrenzendes städtisches Waldstück. Der bisher eingrenzende Zaun ist an zwei engen Durchgängen geöffnet. Die vielen Gruppen drücken sich abenteuerlustig durch und halten Ausschau nach dem nächsten verwunschenen Sockel. Manch eine Skulptur, etwa Craggs atelierfrisches, 6,5 Tonnen schweres Urzeitgestein »Caldera«, schüchtert mit seinen Dimensionen regelrecht ein. Ein Blick in das mit Menschenameisen wimmelnde Tal und der besänftigende Bergwind schaffen Abhilfe.
Der dazu gewonnene Raum auf einem mächtigen Waldhügel erfreut durch veritable Wanderwege und schattige Plätzchen. Die neue Präsentationsfläche dürfte schnell wieder ausgeschöpft sein, zumal Cragg nach Beendigung seines Akademie-Rektorats jetzt erst richtig mit der Planung seiner Privatsammlung durchstarten kann. Die Eröffnung einer weiteren Ausstellungshalle für Grafiken und Maquetten ist bereits für den 20. September an der Buschstraße angekündigt, unterhalb des Cafés am äußersten Rand des Parks. Es werden Werke von Richard Long, John McCracken, Ian McKeever und Andreas Schmitten zu sehen sein. Die dritte Halle soll bis 2015 im oberen neuen Parkteil auf einer Plattform angesiedelt werden. Ein Kunsttempel mit Aussicht auf Elberfeld. Nur ein Fernglas sollte man zum Einzug selbst mitbringen.
Skulpturenpark Waldfrieden, Tel.: 0202/47898120. www.skulpturenpark-waldfrieden.de