Bilder, wie in Trance gemalt auf Befehl jenseitiger Stimmen, mediumistische Kunst also – es sei nicht einfach gewesen, ein Haus für eine solche Ausstellung zu finden, das räumen die drei Kuratoren ein: Viele Museen hätten den Vorwurf der Esoterik gescheut. Nun ist die Schau unter dem Titel »The Message« im Kunstmuseum Bochum zu sehen. »Schön, dass Sie so zahlreich zum Gruseln gekommen sind«, scherzt Museumschef Hans-Günter Golinski bei der Presse-Präsentation, »wir werden Sie positiv enttäuschen.« Das gelingt allerdings nur zum Teil. Das Unbehagen der Journalisten ist wie mit Händen zu greifen. Der Eindruck bleibt zwiespältig – und man kann wohl verstehen, warum andere Museen diese Ausstellung eben nicht zeigen wollten.
Es geht, wohlgemerkt, nicht um Künstler, die sich irgendwann in unterschiedlichem Maß dem Okkultismus zugewandt und diesen Einfluss in einigen ihrer Arbeiten wiedergegeben hätten. »The Message« präsentiert nur Kunstwerke, die vollständig und wie unter Zwang auf Befehl innerer Stimmen entstanden sein sollen, ausgeführt von »Medien«. Die wiederum waren und sind größtenteils Menschen, die nie zuvor künstlerisch gearbeitet haben und über den Hinweis auf die Geister hinaus nicht sagen können, warum sie so und nicht anders malten: Laienkunst, art brut, roh und unverfälscht durch akademische Einflüsse. Bei der Auswahl, sagen die Kuratoren, sei nicht die mehr oder minder bizarre persönliche Geschichte der »Medien« entscheidend gewesen, sondern ausschließlich die künstlerische Qualität der Arbeiten. In der Frage, ob tatsächlich Übersinnliches hinter den inneren Stimmen stecke oder nicht, sei die Schau ganz neutral.
An dieser Stelle liegt der Haken. Wenn man Spiritismus und okkulten Praktiken nämlich nichts abgewinnen kann, wenn man zu der Ansicht neigt, dass niemand unter dem Einfluss innerer Stimmen zwanghaft Bilder produziert, der nicht in irgendeiner Weise psychotisch oder mindestens neurotisch ist – dann ergibt die Kategorie »mediumistische Kunst« wenig Sinn. Dann könnte man die in Bochum gezeigten Bilder fast durchweg ebenso gut bei der bereits etablierten Kategorie »Kunst der Geisteskranken« einordnen, ganz gleich, ob die Autoren nun tatsächlich in einer Anstalt saßen oder nicht. Nun führt allerdings die Definition des Verrücktseins in der Kunst in eine sehr graue Zone. Noch besser wäre es daher, »mediumistische Kunst« im größeren Rahmen von art brut zu zeigen – wenn sie denn dem breiteren Vergleich standhält.
Natürlich kann man spannende Ausstellungen machen mit Kunst, die unter einem bestimmten extremen Einfluss entstanden ist. Doch »mediumistische Kunst« klingt nicht nur so, es ist als Thema reichlich eng gefasst. Mit gleichen Recht könnte man Bilder nur von solchen Leuten zeigen, die sich für Jesus halten. Oder Werke, die dem Einfluss von Drogen zuzuschreiben sind. Die Frage ist, wie groß unter der jeweiligen Themenstellung die Schnittmenge an guter Kunst noch sein kann; ob man dabei wirklich etwas über Kunst erfährt, oder doch nicht eher über Drogenwirkung und psychische Befindlichkeiten. In Bochum lernt man sicher einiges über Spiritismus als breite Modeerscheinung des 19. Jahrhunderts; mehr noch über Wahnwelten und Obsessionen – wobei man sich als Betrachter zuweilen wie ein indiskreter Eindringling fühlt.
Eher grotesk, zuweilen komisch ist die Präsentation der »Geisterbilder«: alte Fotografien, in denen vorgeblich dokumentiert wurde, wie bei Séancen Geister von Verstorbenen auftauchten oder wie aus den Mündern von »Medien« seltsame weißliche Substanzen hervorquellen. Das illustriert zweifellos den Zeitgeist jener Jahre, einschließlich des verzweifelt schizophrenen Versuchs der Spiritisten, das angeblich Übersinnliche mit den neuen wissenschaftlich-technischen Methoden sichtbar zu machen und zu beweisen. Die Fotos mit dem Katalog als »faszinierende Versuche« zu sehen, »dem nicht Greifbaren ästhetischen Ausdruck zu verleihen«, ist angesichts ihrer überwiegend bescheidenen Qualität denn doch sehr übertrieben.
Weit eindrucksvoller sind dagegen die gemalten, gezeichneten Bilder der Be-Geisterten – wiewohl auch dort ein Gefühl der Beklemmung überwiegt. Beherrschend ist nämlich die typisch kleinteilige, oft florale, überbordende und formatfüllende Kombination aus Figuren und Ornamenten, deren obsessivem und oft sinistrem Charakter man sich schwer entziehen kann. So etwa die Werke des gelernten Bergarbeiters Auguste Lesage (1876–1954), der mit 35 Jahren, in der Grube, zum ersten Mal Stimmen hörte, die bald darauf begannen, ihm Zeichnungen und Gemälde zu diktieren. Er pflegte dabei links unten zu beginnen und rechts oben zu enden, ohne Plan und Konzept. Am Ende waren die Leinwände eng bedeckt mit Figuren, Tieren, Fabelwesen, Menschen, Göttern und schier endlosen Reihen von Ornamenten. Von ferne wirkt das wie ein Mosaikfußboden. Es sieht aus, als habe Lesage zahllose Illustrationen aus populärwissenschaftlichen Büchern einschließlich der damals typischen Seitenverzierungen aufgesogen und dann konzentriert wieder von sich gegeben. Eine erstaunliche Fleißarbeit von unglaublicher Akkuratesse, aber doch ohne Idee, ohne eine originelle Ausdrucksform – letztlich bleibt diese Art geisterhafter Inspiration steril und tot.
Ganz anders ist es mit den farbigen Porträts von Margarethe Held (1894–1981); ihre Götter, Gnomen und Menschen kommen ohne detailversessene Kleinteiligkeit und Dekoration aus, sie verraten einen sehr eigenen Stil, könnten aber durchaus im Kontext zu Arbeiten der mittlerweile »klassischen« Moderne gesehen werden. Dass es für sie wirklich keine Vorbilder gab, wie Kuratorin Claudia Dichter sagt, mag man nicht recht glauben. Überhaupt fehlt der Ausstellung eine Möglichkeit zum Vergleich, der illustrieren könnte, wie brut und unbeeinflusst diese Kunst wirklich war, ob sie nicht doch künstlerische Zeitströmungen widerspiegelt – und inwieweit sie umgekehrt die Kunst im allgemeinen begeistert hat; beim Surrealismus ist das ja eindeutig.
Die Frage nach dem Einfluss stellt sich bei Marguerite Burnat-Provins (1872–1952) nicht. Sie hatte Kunst studiert, gemalt und Werbeplakate produziert, ehe 1914 ihre Halluzinationen einsetzten. Ihre pastellenen Frauenporträts aus der folgenden Zeit bleiben ganz eindeutig dem Jugendstil verhaftet, mit dem Burnat-Provins gleichsam aufgewachsen war. Die Besessenheit äußert sich in der schieren Menge: »Namen, Namen, hunderte von Namen« überfluteten ihr Gehirn, und sie gab ihnen Gesichter. 2.400 Menschen malte sie zwischen 1914 und 1951 und versammelte sie unter dem Titel »Ma Ville« (Meine Stadt). Man kann das mit staunender Anerkennung zur Kenntnis nehmen, man kann sich aber auch, und darin liegt vielleicht das größte Verdienst dieser Ausstellung, Spekulationen darüber hingeben, wie abnorm solch obsessive Produktivität wirklich ist – oder umgekehrt, wie verrückt womöglich jeder Künstler sein muss, der sich seiner Arbeit ganz verschreibt.
In dieser Hinsicht am verstörendsten ist die in Bochum gezeigte Arbeit von Vanda-Vieira-Schmidt (geb. 1949). Die Installation aus über 500.000 kleinformatigen Zeichnungen, aufgestapelt in mehreren Türmen über einem Stuhl und einem mittlerweile ganz überdeckten Tisch, bewegt sich augenscheinlich ganz im Rahmen einer Raumkunst, wie man sie seit etwa den 70er Jahren zu sehen gewohnt ist; auch der Umstand, dass diese Installation seit 1995 durch immer neue Zeichenblätter immer weiter wächst, ist nicht ungewöhnlich. Doch Vieira-Schmidt ist ein Medium, ein »Über-Medium« sogar. In ihrem Fall ist das gewiss eine schwere Bürde.
Vanda Vieira-Schmidt glaubt, dass Abgesandte des Teufels auf der ganzen Welt unschuldige Menschen mit Urangeräten und Stromschlägen foltern und töten. Sie selbst aber kann als »Über-Medium«, als »Gott« mit ihren magischen Zeichnungen gegen dieses Böse ankämpfen und Frieden auf der Welt schaffen – wenn nur die Blätter in bestimmter Anordnung gestapelt werden und wenn Einzelblätter daraus zur rechten Zeit an die richtigen Adressaten geschickt werden. Dass sie krank sei, daran zweifelt außer ihr selbst wohl kaum jemand; sie ist deshalb auch in Behandlung und lebt in einer beschützten Wohngemeinschaft. Wenn man bedenkt, wie normal und verrückt ihre Installation »Weltrettungsprojekt« ist, wenn man überlegt, ich welchen Abgrund die Frau wohl fallen würde, sollte sie jemals geheilt werden – dann steht man plötzlich auf sehr schwankendem Boden. Aber das hat mit Geist zu tun, nicht mit Geistern.
Museum Bochum bis 13. April 2008. Tel.: 0234/51600-30. www.bochum.de/museum