Wer wissen will, welche Bedeutung ein bestimmter Komiker für die Republik hat, der konfrontiere einfach ein paar wahllos aus der Menge gegriffene Menschen mit der folgenden Zeile: »Der Wolf, das Lamm, auf der grünen Wiese.« Es wird nur Sekundenbruchteile dauern, und dem Zitat folgt ein in der Regel vielkehlig intonierter Aufschrei: »Hurz!« Es erinnert natürlich an jenen Auftritt, den Achim Hagemann und sein Freund Hans Peter Wilhelm Anna Maria K. dereinst vor einem konsternierten Publikum hingelegten. Hagemann saß am Flügel, und Hans Peter Wilhelm Anna Maria, den die meisten besser als Hape Kerkeling kennen, trug Brille und einen Zauselbart. Gemeinsam täuschten sie Kammermusikkunst vor und verwickelten, obwohl selbst höchst belustig und immer wieder an der Grenze zum Prustanfall, das bildungsbesessene Publikum tatsächlich in eine ernsthafte Diskussion, die inzwischen jedes Kind nachbeten kann.
Die Bekanntheit der »Hurz!«-Nummer belegt, dass Hape Kerkeling inzwischen ohne Probleme auf eine Stufe mit Loriot gestellt werden kann. So zahlreich sind die Beispiele seines komödiantisch gelungenen Schaffens, dass sie in ihrer Reinform quasi so etwas wie komödiantisches Volksgut bilden. Wenn also demnächst mal eine Rakete ins All gesandt wird, mit der man Außerirdische über das Wesen der Deutschen unterrichten möchte, dann gehören unbedingt die wichtigsten Kerkeling-Auftritte da hinein.
Es wäre gewiss spannend zu erleben, wie Bewohner einer fremden Galaxie dann eine DVD in den Rekorder schieben und zusehen, wie ein pummeliger Mann sich als Königin Beatrix ausgibt und zum »lecker Mittagessen« beim Bundespräsidenten vordringt; wie ein etwas dicklicher Komödiant davon singt, dass das ganze Leben letztlich doch nichts anderes als ein Quiz sei; wie ein dicklich schleimiger Herr im schmuddeligen Trenchcoat sich als stellvertretender Chefredakteur des Grevenbroicher Tagblatts ausgibt und als solcher den Prominenten des Landes penetrant auf die Pelle rückt.
Horst Schlämmer heißt Hape Kerkeling in dieser seiner jüngsten Rolle, und als solcher hat er das vergangene Jahr um mehrere Sternstunden der Fernsehunterhaltung bereichert. Zum einen hat er sich bei »Wer wird Millionär?« auf den Kandidatenstuhl geschmuggelt und den Quizmaster Günther Jauch so lange genervt, getäuscht und verwirrt, bis der seinen heiligen Quizmasterstuhl verließ, den Schlämmer flugs okkupierte und fortan nicht mehr freigab. Wie Jauch dann die für Schlämmer reservierten Fragen beantworten musste und dabei von seinem Gegenüber mit den hässlich hervorstehenden Zähnen immer wieder drangsaliert wurde, das war so sehenswert, dass kaum eine Fernsehpreisjury ihre Anerkennung verhehlen mochte und die Nominierung für den diesjährigen Grimme-Preis (in der neu geschaffenen Sparte »Unterhaltung«) nur noch Formsache war.
Außerdem machte eben dieser Horst Schlämmer aus der eigentlich strunzdummen und todlangweiligen Verleihung des deutschen Comedypreises ein Erlebnis der besonderen Art. Wie er dort auf die Bühne stürmte und sich mit der Komikerin Anke Engelke anlegte, bis sie sprachlos war, das hatte eine Klasse, in der sonst gerade keiner spielt.
So etwas gelingt derzeit nur Hape Kerkeling. Was er anfasst, wird zu Gold. Selbst wenn er ein ziemlich belangloses Tagebuch über seine Wanderung auf dem Jakobspilgerpfad veröffentlicht, greifen die Menschen zu. Über eine Million Mal wurde »Ich bin dann mal weg« verkauft, obwohl es auf den 345 Seiten eigentlich immer nur darum geht, dass dem gebürtigen Recklinghäuser irgendetwas wehtut, dass er lieber den Bus nimmt und dass er sich des Öfteren fragt, wer er denn nun eigentlich sei.
So dezent hat er das in seinem Wandertagebuch erledigt, dass man sich am Ende tatsächlich fragt, wie ihm das eigentlich gelingen konnte, so viel von sich zu erzählen und doch so wenig wirklich Intimes preiszugeben. Letztlich ist das wohl Teil seiner kalkulierten Zurückhaltung, die er sich früh auferlegt hat und die immer nur sein jeweiliges Alter Ego an die Öffentlichkeit lässt. Wie Hape Kerkeling privat, wie er »wirklich« ist, was ihn letztlich treibt, was ihn lockt, was ihn quält, bleibt ein Geheimnis, eines, zu dem allenfalls sein Lebenspartner und ein paar ganz enge Freunde Zugang haben. Was abseits der Manege passiert, mag der Clown nicht verraten. Nur seine Maske glänzt im Licht. Was hinter ihr liegt, bleibt im Dunkeln und sieht man nicht. Kerkeling schützt sich konsequent, was in der Regel auch von den Medien respektiert wird.
Möglicherweise kann sein Publikum ohnehin viel besser spekulieren, wer denn nun dieser Mensch sein könnte, der sich in Interviews immer wieder als Zweifelnder gibt. Allerdings wird auch der Chor der Beschreiber vielstimmig intonieren, denn ein einheitlicher Kerkeling existiert auch im öffentlichen Raum schlichtweg nicht. Das mag schon daran liegen, dass es in Kerkelings Leben viele Phasen gab. Der frische Ruhm und der Glorienschein, der ihn momentan umkränzt, können nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch jede Menge düstere Kapitel in seiner Karrieregeschichte vorkamen.
Erst wollte kaum jemand seine Kunstfigur Hannilein sehen. Zu albern, zu blöd, zu einfältig, lauteten die Kommentare, die einen wie Kerkeling indes nicht zum Aufgeben bewegten. Er machte weiter und hatte das Glück, irgendwann bei Radio Bremen zu landen, jener öffentlich-rechtlichen Kaderschmiede, in der früher die Talente entdeckt und groß gemacht wurden. Rudi Carrell hat dort angefangen, und auch die Verantwortung für die wichtigsten Loriot-Sketche lag an der Weser. Dort schaffte man es auch, die sprudelnde Kreativität des jungen Hans Peter in ideale Bahnen zu lenken.
»Total normal« hieß seine Nicht-Show, in der er Kaffeemaschinen und Duschhauben verschenkte, in der nichts klappte, die aber dafür das komplette Reich des gepflegten Unsinns eröffnete. Schon damals entwickelte Kerkeling das Rüstzeug, das ihm später sehr viel nützen sollte. Er wurde charmant. Wenn andere mit dem Mikrofon auf unbedarfte Passanten oder Prominente losgehen, endet das leicht in der Unverschämtheit. Nicht so bei Kerkeling. Der wusste stets, das rechte Maß zu finden zwischen Dreistigkeit und nettem Bubenlächeln. Ihm konnte niemand böse sein, ihm kaufte man alles ab. Notfalls eben auch eine Duschhaube.
Doch nach dem großen Erfolg kam der Absturz. Jahrelang werkelte Kerkeling beim WDR vor sich hin und setzte eine Show nach der anderen in den Sand. »Zappenduster« hießen die Machwerke oder »Warmumsherz«. Heute ruhen sie, zu Recht vergessen, irgendwo tief in den Archiven. Selbst die Flucht zu RTL nützte nichts. Auch dort floppte eine Show. »Cheese« hieß die und trug das Kritikerurteil gleich im Namen. Fast schien es, als könne man das Kapitel Kerkeling endgültig vergessen. Von dem kommt nichts mehr, hieß es. In der Tat kam auch lange nichts mehr. Selbst als er sich bei Sat.1 zumindest quotentechnisch halbwegs etablierte und mit der Sendung »Darüber lacht die Welt« zu bescheidenem Erfolg zurückmoderierte, sah das noch mehr nach Gnadenbrot denn nach einem ordentlichen Comeback-Kuchen aus.
Als 2003 Harald Schmidt den Sender Sat.1 verließ, rätselte die Fernsehnation eine Weile über die Nachfolgefrage. Nur zwei Namen kursierten, der von Anke Engelke und – Hape Kerkeling. Engelke hat die Show dann vergeigt, und Hape Kerkeling darf froh sein, dass er am Ende doch nicht Betracht kam. Das gab ihm Zeit, neue Formate zu entwickeln, es erneut bei RTL zu versuchen und irgendwann die Figur des Horst Schlämmer zu entwickeln. Der sei so etwas wie seine Rache an all den dreisten und dummen Journalisten, die ihm im Leben schon begegnet seien, verriet Kerkeling der »Zeit« und machte damit deutlich, dass Schlämmer in Wahrheit keine wirkliche Parodie ist, sondern allenfalls eine leichte Übertreibung des Wirklichen.
Die Realitätsnähe mag das eine sein, die spontane Kunst des Schauspielers Kerkeling ist das andere. Er weiß, wie man mit dem Wort jongliert, wie man sanft tänzelt zwischen seriösem Ernst und bitterer Ironie. Wie schön er das beherrscht, konnte er zeigen, als RTL ihn abordnete, »Let’s Dance« zu moderieren. Die überaus überflüssige Hoppelparade präsentierte Prominente, die nicht tanzen konnten und mit all ihrer zur Schau getragenen Unzulänglichkeit dem Publikum zum Lachfraß vorgeworfen wurden. Dass es trotzdem keine durchweg schmerzhafte Veranstaltung wurde, lag letztlich am Moderator, der es schaffte, mit kurzen, aber stets spitzen Bemerkungen der ganzen Veranstaltung eine Haut aus Witz überzustreifen.
Am Ende der mehrteiligen Angelegenheit erwischte es aber auch den Könner. Kerkeling musste selbst tanzen, und schnell wurde klar, dass er besser zu moderieren weiß als sich kreativ zu bewegen. Aber er beherrscht eben das Spiel mit seinen körperlichen Unzulänglichkeiten, weil er Charme hat.
Als er vor gut zwei Jahren 40 wurde, hat ihm der NDR eine Geburtstagsgala ausgerichtet, bei der man so allerlei erfuhr von dem scheuen Mann, der am Wohnsitz Düsseldorf (und seit jüngstem auch Berlin) die breite Öffentlichkeit gerne meidet. So war zu erfahren, dass die ARD-Allzweck-Show-Waffe Jörg Pilawa früher mal als Tournee-Chauffeur für den Komiker gearbeitet hat, und dass Schwergewicht Ottfried Fischer sich als Hapes Entdecker feiern lässt, weil er ihn als Jurymitglied früh beurteilen durfte und für gut befand. Heute lobt er ihn freigiebig als »Du Königin Beatrix der Herzen«. Kerkeling spielte zu seinem Jubiläum einen Bauchredner und sang ein herrlich schräges Wienerlied, in dem es um Erbrochenes und geplatzte Katzen ging. »Eigentlich habe ich mich nach oben geküsst«, sagte er, der bei der Gelegenheit gleich noch verriet, dass er in seiner Freizeit gerne Familienwappen bastelt. Natürlich bekam er prompt ein Hape-Wappen verehrt. Das ziert der Wahlspruch »Listig, lustig, niemals lästig.« Kerkeling scheint sich das Gegenteil zu Herzen genommen zu haben, denn seitdem fällt sein Horst Schlämmer (»Weißte Bescheid!«) der Nation im besten Sinne lästig.
Nach einer Umfrage der überregional eher unbekannten Zeitschrift »Look« ist Hape Kerkeling derzeit der Komiker, über den sich die meisten Deutschen vor Lachen ausschütten können. Von 1002 Befragten wählten 42 Prozent den Recklinghäuser Showspieler zum lustigsten Comedian, vor Michael Mittermeier (29 Prozent) und Harald Schmidt (20 Prozent). Dass Kerkeling vor Schmidt landet, ist in diesem Zusammenhang nur logisch, denn während Prinz Harald mit dem konsequenten Abbau seines Rufes als genialer Zyniker beschäftigt ist, grunzt und rotzt sich Kerkeling als Horst Schlämmer in immer neue Höhen seines komödiantischen Könnens. Wer allerdings meint, er würde sich auf dem neuerlichen Schlämmer-Ruhm ausruhen, verkennt den Meister. Während er am 30. März in Marl die »Besondere Ehrung« des Deutschen Volkshochschul-Verbandes »für seine Verdienste um die Unterhaltung im deutschen Fernsehen« entgegennimmt und vielleicht auch noch seinen (nach 1991) zweiten Grimme-Preis, ist er längst auf der Suche nach einer neuen Figur, in die er schlüpfen kann, in der ihn nicht jeder auf den ersten Blick erkennt. Insofern ist die verunstaltete Visage des Horst Schlämmer nur eine Übergangsfigur, eine, die das Publikum ablenken soll von den wahren Gesichtszügen des Hans Peter Wilhelm Anna Maria Kerkeling. Der ist nämlich möglicherweise schon längst wieder unterwegs und bringt unerkannt Menschen zur schönsten aller Verzweiflungen. Hurz! //
Die diesjährigen Grimme-Preisträger werden am 14. März 2007 in Düsseldorf bekannt gegeben. Die Preisverleihung findet am 30. März im Theater der Stadt Marl statt. www.grimme-institut.de