Abkühlen, ausnüchtern, aufhellen und erhellen – scheint die Methode der Lisa Nielebock. Die junge Regisseurin arbeitet formal wirkungsvoll und in starker Setzung. Dennoch, spürbar bleibt eine gewisse Unbeholfenheit gegenüber dem, was sie erzählen will. Nach »Penthesilea« in der vorigen Bochumer Schauspiel-Saison bestand die Gefahr, dass sie überschätzt werden würde. Ihr Kleist besaß einen rigorosen ästhetischen Ansatz, Furor und Vitalität, aber es mangelte an der Durchdringung der Figuren und ihrer Antriebe. Das wird nun in einem bürgerlichen, psychologischen Drama wie »Gespenster« erst recht deutlich. Da ist mehr Formwille vorhanden, als die Befähigung zu schlüssiger inhaltlicher Entwicklung.
Nielebock verlegt Ibsens tief in den Neurosen, Konflikten und sexuellen Tabus des 19. Jahrhunderts verankertes Stück, in dem die Gespenster der Vergangenheit die Lebenden nicht loslassen, die Sünden der Väter die Söhne einholen, Schuld sich fortpflanzt, in die Gegenwart. Eine lichte, schattenlose Gegenwart. Kathrin Schlecht hat in die Kammerspiele einen Raum gebaut mit weißem Interieur und Glasscheiben zur Veranda mit Seepanorama, das einmal signalhaft blutrot aufleuchtet. Das blendende Weiß löscht gewissermaßen alles aus – die Bücher im Regal haben keine Titel, sind nur leere Buchrükken, wie säurebehandelt oder ausradiert. Alles ist nur mehr Rahmen einer aseptischen Welt. Solch radikale Vergegenwärtigung ist statthaft; Thomas Ostermeier hat es an der Berliner Schaubühne mit »Nora« und »Hedda Gabler« bewiesen und in Ibsens Frauen und Männern unsere Zeitgenossen gefunden, genau sozial verortet und gekennzeichnet. Ähnliches gelang, um in der näheren Umgebung zu bleiben, Klaus Weise in Bonn, dessen Nora in den Sechzigern eine Widergängerin der Bardot oder Nancy Sinatra war, und Philipp Preuss, der in Dortmund Hedda Gabler ins 21. Jahrhundert überführte. Bei Nielebock funktioniert das nur bedingt, und am wenigsten in Gestalt des Pastor Manders. Markus Boysen schwadroniert als sturer Überzeugungstäter, der seinen naiven Idealismus und sein lebensfernes, lebenskaltes Recht- und Ordnung-Empfinden in eiserner Rhetorik vorträgt, demonstrativ überakzentuiert. Die Figur ist stehen geblieben, die Zeit über sie hinweg geschritten.
Auch stilistisch bricht die Linie. Neoklassik wäre ein Stichwort. Neben dem realistischen Konzept schleichen sich jedoch seltsame Symbolismen und Automatismen ein, die irritieren und artifizielle Atmosphäre erzeugen sollen, aber eher wie missglückte Zaubertricks wirken. Die Figur der Regine wird eingeführt mit einem französischen Chanson und einer Art mechanischer Spieluhr-Musik, die ihrer Anlage entspricht: eine fühllose Puppe, erotisch direkt, zugleich wesenlos künstlich. Wenn sie am Ende alle Bücher aus dem Regal wirft und einen leeren Lebens-Rahmen entzwei schlägt, ist das nur eine Geste von geradezu lachhafter Plakativität. Gebaut ist die Inszenierung um ein Zentrum: Helene Alving. Sommerlich leicht gewandet, luftig wie ihr freisinniger Geist, schaut Ulli Maier gelassen, kühl und mokant aus ihrer überlegenen Klarsicht und Erfahrung auf die Fatalität der Lebenslüge. Sie befindet sich jenseits aller Illusion, muss aber andererseits so tun, als sei sie befangen in zwanghaften Ersatz-Handlungen: wischt unbewusst ein Stäubchen von den Polstern, richtet nervös ihr Haar, spielt an ihren Armreifen, fingert an den Büchern im Regal. Und benutzt zwei Lilien wie Krücken. Auch Bochums »Gespenster« laufen an Prothesen. AWI