// Wer die Düsseldorfer Kunstakademie betritt, gerät in die Bannmeile des Markus Lüpertz. Für den Rektor ist jede Rede, jedes Interview ein öffentlicher Auftritt. Extravagant gekleidet und spielend mit dem Silberknauf seines Stocks, hat er überhaupt nichts dagegen, wenn man ihn mit einem »Malerfürsten« vergleicht. Die Außenwirkung seines Hauses ist enorm. Bei den jährlichen Rundgängen im Februar werden die Ateliers der Studenten von rund 30.000 Gästen besucht. Die Akademie als Pilger-Ort und als inoffizielle Messe. Vor allem in den Malerklassen kann es passieren, dass zu diesem Anlass die gesamte Jahresproduktion eines Anfängers verkauft wird.
Dennoch, es gibt Problemzonen. Klagen über nicht besetzte Professorenstellen. Die letzten Mitstreiter unter dem verstorbenen zweiten »Malerfürsten« Jörg Immendorff oder die Kommilitonen aus der Fotoklasse warten auf einen Lehrer. In der ehemaligen Klasse von Thomas Ruff sorgte vor kurzem die Ankündigung des Tutors Christoph Westermeier für Erstaunen, man würde mit eigenem Geld Gastprofessoren bezahlen. Die Klassenkasse füllte sich zum Beispiel dank einer eigens aufgelegten Edition und durch den Erlös aus einer Bar während der Rundgangs-Tage. In der ehemaligen Rissa-Klasse betreut jetzt ein früherer Assistent von Lüpertz 30 Studenten. Lüpertz und seine Kollegenschaft lassen sich recht viel Zeit bei den Berufungen. Studenten müssen sich häufiger denn je selbst unterrichten.
Lüpertz lehnt Kritik an diesen Zuständen ab. Im Gegenteil, bei einem Treffen in der Akademie-Galerie am Burgplatz sagt er: »Ich habe die Idee von einer Akademie, die eben keine Universität ist, keine Schule im Sinne dessen, dass hier Schüler versorgt werden. Unser Student ist ein freiwilliger, unabhängiger Geist, der sich in eine Atmosphäre begibt, ein junger Künstler. Ich biete keine Klippschule. Bei uns kann man Pädagogik studieren, bei berufenen Leuten, aber wir sind keine Pädagogen, wir sind Meister.«
Auf seinen eigenen Stil des Unterrichts befragt, legt er noch einmal nach und gibt zu Protokoll: »Ich sage doch nicht: Passt auf, morgens macht ihr das und abends das. Das ist immer so blöd, wenn die Studenten herumlaufen und klagen, da ist keiner und da kommt keiner. Was denken die eigentlich, wo die sind. Doch nicht in der Jugendherberge. Die Akademie beruht auf Freiwilligkeit. Sie müssen ihre Arbeit machen, dann findet das schon Beachtung. Bei uns lernst du nichts, was du nicht selber willst. Du musst es dir selber beibringen, Zeichnen beibringen, Malen beibringen. Eventuell kriegst du Anleitungen, aber nicht in dem, wie du es richtig machst. Wohl aber in Disziplin, Intensität, Begeisterung, Hingabe und vielleicht, wenn du Glück hast, im Hingucken. Das ist hier keine Hochschule für Bildung. Das bist du selbst. Du musst die Bildung, musst das Talent, musst das Genie sein, wenn du hier als Schüler aufgenommen bist. Sonst haben wir etwas, wozu alle anderen Akademien abgerutscht sind – Versor- gungsanstalten, die gibt es wie Sand am Meer.«
Das läuft auf die These hinaus, Kunst könne man nicht lernen und nicht lehren. In der aktuellen Infobroschüre, die im Internet veröffentlicht steht, wird die Akademie als »eine Schule der Ausnahmen, der Einmaligen, somit Wettstreit, poetischer Wettstreit, idealistischer Wettstreit« bezeichnet. Die Schüler sollen im »Meer des Ideellen, im Tal des Unsinnigen und im Himmel des Genialen zu Hause sein.«
Trotz solcher schöner Worte musste Lüpertz handeln. Die Fotoklasse drohte, aus dem Ruder zu laufen. Thomas Struth sollte die Nachfolge von Thomas Ruff antreten, beides ehemalige Schüler von Bernd Becher. Struth hätte die Tradition der »Becher-Schule« fortgesetzt, doch er sagte überraschend ab – ein Novum für das Haus. Lüpertz äußert sich indirekt zu dem Nein: »Struth fand nicht vor, was er wollte.« Offenbar wurden seine Bedingungen nicht erfüllt, bezogen auf Ausstattung und akzeptable Räumlichkeiten. Kaum war er nämlich durch die beengten Räume hoch unterm Dach gelaufen und hatte sich sein womöglich zukünftiges Milieu angeschaut, war dort die Decke heruntergekommen. Ein Raum musste wegen Baufälligkeit geschlossen werden. Die Reparatur war dringend fällig geworden.
Jetzt ist plötzlich doch ein neuer Lehrer da, bei den Bewerbungen stand er an zweiter Stelle. Christopher Williams, 1956 in Los Angeles geboren, vertritt gleichsam die zweite Generation der Konzeptkünstler. Die Frage, wie fotografische Bilder unsere Sicht auf die Wirklichkeit prägen, beschäftigt diesen Perfektionisten seit den frühen 80er Jahren. Williams war Wunschkandidat der Klasse – ein »Regisseur der Bilder«. In diesem Monat wird er anfangen und im Wintersemester offiziell Professor für Fotografie im Bereich der Kunst. Die Studenten können hoffen, auf neuen, frischen Wind.
Doch geht der Generationswechsel und Ablösungsprozess langsam vonstatten. Lüpertz ist soeben 67 Jahre alt geworden. Seit 1988 hat er das Rektorat inne. Für weitere fünf Jahre kann er nicht gewählt werden, das widerspräche dem Beamtengesetz. Nun macht er dennoch weiter, ab Wintersemester in kommissarischer Funktion. »Der neue Rektor ist eine Sache, die schiebe ich mir auf, bis ich gehe. Ich bleibe, weil ich das Hochschulgesetz begleitet habe. Es muss jetzt greifen.« Und seinen endgültigen Abschied terminiert er gleich mit: »Ich bleibe bis zum Sommer in einem Jahr.«
Ob das traditionelle System der Klassen und der Meister in Zukunft noch zu halten ist, weißt er nicht zu sagen. Zumindest für seine Person und Periode will Lüpertz es bewahren. Deshalb verfolgt er ein neues, altes Ziel für die Zeit nach Düsseldorf: eine »Privatakademie, damit alles so bleibt, wie ich es mir vorstelle«. Ein passendes Gebäude in Berlin habe er sich bereits angeschaut.
An seiner Professur weit über die Altersgrenze hinaus hängt (oder auch klebt) er deshalb, weil sie »eine Möglichkeit für den Künstler darstellt, sich mitzuteilen. Die Akademie ist die Flucht vor der Einsamkeit des Ateliers«. Man solle nicht vergessen, »Künstler sind Egoisten und die Akademie ist ein reines Monument des Egoismus«. Er brauche den Dialog, sagt Lüpertz. »Die Schüler sind mir doch letzten Endes ein Spiegel. Die Gesellschaft der Kollegen, die Freunde, die Schüler, denen ich gefalle und die meine Lesungen hören – das ist doch das Leben.« //