TEXT: STEFANIE STADEL
Eduard im Zoo: Der junge Mann mit Hut und Stock zeigt sich dort im Juli 1897 nicht allein. Er posiert Seite an Seite mit der schwarzen Oberkriegerin Gumma, die zum Schmuck einen imposanten Federbusch auf dem Kopf trägt. Eberhard Illner platziert die vergilbte Fotografie weit vorn in seiner gewichtigen, wissenschaftlich fundierten und wunderbar bebilderten Biografie zu Eduard von der Heydt. Denn sie verrate einiges über den eleganten Zoobesucher.
Interessant ist für Illner dabei weniger das Motiv – sogenannte »Völkerschauen« waren damals in den Zoos hier durchaus üblich, ebenso wie das Erinnerungsfoto fürs Familienalbum. Viel bemerkenswerter findet der Biograf den Blick auf die Rückseite des Abzugs, wo Eduard, damals nicht mal 15 Jahre alt, genauestens Namen und Rang der Attraktion aus Afrika notiert. »Das war in jener von kolonialer Überheblichkeit geprägten Epoche durchaus nicht üblich.«
In seinem Leben als großer Kunstsammler und gewiefter Bankier wird Eduard von der Heydt sich diese Achtung gegenüber Fremdem erhalten. Kunst aus aller Welt kommt in seiner Kollektion zusammen – neben Spitzenwerken von Cézanne, van Gogh, Picasso finden sich da Stücke aus Neu Guinea, Japan, China, Indien, Ägypten, Kongo, Kamerun, Mexiko… Geleitet von der Idee einer einzigen Weltkunst, einer »ars una«, hat er vor allem nach Schönheit gesucht und fand sie überall.
»Er war zutiefst Humanist«, urteilt Illner. Ein Statement, das sich allerdings nicht recht in Einklang bringen lässt mit ein paar anderen Fakten aus der Vita. Überliefert ist etwa ein Brief, in dem sich von der Heydt antisemitisch äußert. Ebenso wenig zu leugnen: Die Mitgliedschaft in der NSDAP. Schwer zu durschauen ist schließlich auch seine Rolle als Bankier in Nazi-Deutschland.
Vor einigen Jahren haben diese Tatsachen für einigen Wirbel in Wuppertal gesorgt. Das Städtische Museum dort kann sich mit Top-Werken aus den Kollektionen von Eduard und seinem Vater August von der Heydt schmücken und machte deshalb 1961 den Familiennamen von der Heydt zu seinem eigenen. Eduard firmiert dort überdies als Ehrenbürger und lieh dem kommunalen Kulturpreis seinen Namen. Zuviel der Ehre für einen wie ihn, meinten die Kritiker.
STORY MIT FILMREIFEN ZÜGEN
Längst hat sich die Aufregung gelegt. Nicht zuletzt dank eines Gutachtens, das die Einzelheiten im historischen Zusammenhang neu bewertete und ihnen etwas von ihrer Brisanz nehmen konnte. Eberhard Illner hat damals mitgearbeitet an der Expertise und sah sich bald »so was von angefixt« von der Story mit »filmreifen Zügen«, dass er, auch nachdem es ruhig geworden war um Eduard in Wuppertal, nicht ablassen wollte von dessen schwer durchschaubarer Persönlichkeit, den vielfältigen Verstrickungen und genialen Schachzügen des versierten Finanzspezialisten. Illner, 59 Jahre alt und seit 2008 Leiter des Historischen Zentrums der Stadt Wuppertal, fühlte sich als Historiker und wohl noch mehr als Archivar gefordert. Denn einen echten Nachlass gibt es nicht. Die dezimierten Quellen und Dokumente finden sich weit zerstreut und mussten erst ausfindig gemacht werden. Jahrelange Recherchen waren notwendig, die Illner nun auf eigene Faust – ohne Auftrag und Geld der Stadt – unternahm.
Allerdings nicht ganz allein. Drei Spezialisten halfen ihm bei der Aus- und Bewertung des Materials. Heike Ising-Alms und Esther Tisa Francini beschreiben und charakterisieren die Entwicklung der Sammlungen europäischer wie außereuropäischer Kunst. Und Michael Wilde, ehemals Direktor der WestLB, nimmt eine völlig neue Perspektive ein, indem er von der Heydts Rolle als Bankier unter die Lupe nimmt.
Alle zusammen bringen sie das Projekt zu einem Ergebnis, das beeindruckt – durch seine alle Sparten einbeziehende Betrachtung, ebenso wie durch die ausgewogene Auswertung der Quellen. Und nicht zuletzt wegen seiner lesefreundlichen Aufmachung.
DIE WAHRHEIT LIEGT IRGENDWO DAZWISCHEN
Man braucht nicht lange zu blättern im 260-Seiten-Werk, um herauszufinden, was Illner so fasziniert an dieser Figur in ihrer Zeit. 1882 als jüngerer von zwei Söhnen einer alteingesessenen, konservativen, kaisertreuen Elberfelder Kaufmanns- und Bankiersfamilie zur Welt gekommen, startete Eduard schon früh seine Karriere in alter Familientradition. Er lavierte sich und seine Kollektion mit einigem Geschick immerhin durch vier Epochen deutscher Zeitgeschichte: Kaiserreich, Weimarer Republik, Nationalsozialismus, Bundesrepublik.
Dabei sieht Illner seinen Protagonisten weder als Held noch als Schurken. Die Wahrheit liegt dazwischen und erschließt sich umso schwerer, als er selbst die eigene Person und Persönlichkeit immer verschleierte. Nie machte er etwa seine homosexuelle Neigung öffentlich. Es wurde gemunkelt, doch allein ein Bericht des Polizeikommissars in Zandvoort konstatiert sie ohne Umschweife.
Bei von der Heydt habe man nie gewusst, woran man ist, bemerkten Zeitgenossen. Die Biografen charakterisieren ihn als »Meister der Auslassung«, der immer wieder Legenden um sich und seine Sammlung gestreut habe.
Weniger anfällig für etwaige Fehldeutungen sind die Fakten, wie sie sich etwa in den größtenteils erhaltenen und im Anhang der Biografie publizierten Gästebüchern des Monte Verità finden. Von der Heydt hatte den Hügel bei Ascona 1926 mit dem Geld seiner Vermögensgesellschaft erworben, ein Hotel dort errichtet und diesen Ort zum Intellektuellen-Treffpunkt ausgebaut. Wie die Bücher belegen, waren unter seinen Gästen etliche Juden. Erst recht nach 1933, als sich der »Wahrheitsberg« zusehends zum Fluchtpunkt für Emigranten und Angehörige des Widerstands entwickelte. Mittendrin Eduard. Aber völlig anders als man den Banker sonst sah. Etliche Fotos aus dem Album seiner damaligen Haushälterin zeigen den Mann von Welt nicht im feinen Zwirn, sondern mit kurzer Hose und ärmellosem Flattershirt, ganz in weiß. Kein Zweifel – an diesem Ort fühlte er sich wohl.
ER WAR KEIN ANTISEMIT
»Ein Antisemit war Eduard von der Heydt nicht, da bin ich mir hundertprozentig sicher«, so Illner. Im Gegenteil habe er Juden sogar geholfen. Etwa William Cohn, damals Kurator am Museum für Völkerkunde in Berlin, dem er Geld für die Emigration nach Großbritannien gab. Politik, so Illner, sei von der Heydt ziemlich egal gewesen. »Und wäre er nicht Aufsichtsrat der nazitreuen Thyssenbank gewesen, er wäre sicher nie in die NSDAP eingetreten«, schätzt der Biograf.
Mindestens ebenso spannend wie solche Erkenntnisse scheinen Neuigkeiten rund um die ausgeklügelte Taktik des Großsammlers von der Heydt, von dem in der Literatur noch immer ein verqueres Bild kursiert. Er war nicht der schwerreiche Alleskönner, dies stellt das Buch klar heraus. Früh hatte Eduard alles verloren, als seine Bank in London 1917 mitsamt den Einlagen als feindliches Vermögen beschlagnahmt worden war.
Von da an war von der Heydt auf Kompagnons – wie Thyssen und Stinnes – angewiesen, um die Geschäfte weiter betreiben zu können. Seine Sammlung baute er zunächst denn auch nicht mit eigenen Mitteln auf, sondern finanzierte sie per Kredit und kalkulierte mit Wertzuwächsen. Dabei halfen ihm Tricks, wie sie unter Kunstspekulanten heute noch üblich sind. Heike Ising-Alms macht dies in ihrem Aufsatz an einigen Beispielen klar.
Immer wieder nahm von der Heydt sich etwa das Bildprogramm aktueller Ausstellungen zum Leitmuster eigener Erwerbungen. Er kaufte im Vorfeld großer Museumsschauen gezielt Bilder ein, um sie mit Hinweis auf den eigenen Namen als Leihgaben dort zu platzieren. Leidenschaft? Sie war wohl auch im Spiel. Aber hinzu kam immer eine gute Portion Kalkül.
Mit ähnlich schlauen Strategien brachte von der Heydt fertig, was den meisten misslang: seine Schätze zu retten. Über Krieg, Kunstdiktatur, Enteignung konnte er sie in großen Teilen zusammenhalten. Die Museen in Zürich und Wuppertal können sich freuen.
Eberhard Illner (Hrsg.), Michael Wilde, Heike Ising-Alms, Esther Tisa Francini: Eduard von der Heydt. Kunstsammler, Bankier, Mäzen. Prestel Verlag