Franziska Setare Koohestani hat ein interessantes Buch über die Politik der Haare geschrieben und schaut dafür auch in die Kulturgeschichte eines Körperkults.
Drei, zwei, eins: ratsch. So beschreibt Franziska Setare Koohestani ihr erstes Mal – mit Kaltwachsstreifen. Wie in einer Fabrik sei ihr kleiner Bruder damals zwischen ihr und einem Heizgebläse hin- und hergerannt, um die flächigen Folterinstrumente für die große Schwester anzuwärmen. Ein lustiges, ein komisches Bild. Denkt man an seine Körperbehaarung schon mit zehn Jahren? Wer das Buch »Hairy Queen« liest, erfährt von persönlichen Momenten wie diesen. Und den immerwährenden Versuchen einer jungen, stark behaarten Frau, eines Tages möglichst haarlos zu sein.
Ein Buch voller Befindlichkeiten ist »Hairy Queen« trotzdem nicht geworden. Sondern ein persönlich erzähltes, dabei gut recherchiertes Sachbuch, das sich mit der politischen Dimension von Körperbehaarungen beschäftigt und dafür auch in dessen Kulturgeschichte schaut. In Kapiteln befragt Franziska Setare Koohestani ihr eigenes Erleben immer wieder auf eine größere gesellschaftliche Struktur hin: Jeder Mensch hat rund fünf Millionen Haare auf dem Körper. Davon wachsen etwa 100.000 auf dem Kopf. Laut einer Studie der Universität Leipzig entfernen 69 Prozent der Frauen und 41 Prozent der Männer im Alter von 14 bis 94 Jahren regelmäßig ihre Körperbehaarung. Da wäre also nicht nur das Waxing, sondern das Rasieren, Epilieren, Bleichen, Wegcremen, Zupfen mit Pinzette und Faden und Lasern, mit denen jedes Jahr der weltweit etwa vier Milliarden US-Dollar schwere Haarentfernungsmarkt in Schwung gehalten wird. Aber warum?
Plädoyer für Optimismus statt Scham
Franziska Setare Koohestani erklärt den Kult um Körperhaare und das Streben nach sozialer Anerkennung, beschreibt, wie und warum glatte Haut zur Norm wurde und wieso der schlechte Ruf von Körperbehaarung wenig mit Hygiene zu tun hat, dafür umso mehr mit rassistischen und kapitalistischen Schönheitsidealen. Dafür trägt sie regelrechte Grundlagenforschungen zusammen – auf leichtfüßig geschriebene, dabei aber nicht vereinfachende Art: Die Journalistin schaut auf die Funktion von Haaren, befragt sie nach Schönheitsidealen im Laufe der Zeit etwa vom Porzellan-Teint des 18. Jahrhunderts über die Erfindung des Rasierapparats im Jahr 1895 bis zu Top Models 2024, die heute eben mit Stolz ihre Monobrauen und Oberlippenfläume präsentieren – als charakterstarker Ausdruck ihrer Identität.
Überhaupt gerät »Hairy Queen« zu einem Plädoyer für Optimismus statt Scham, ja, zu weniger Druck und eben mehr Gelassenheit: Franziska Setare Koohestani zeigt, was aus ihrer Sicht Körperbehaarung mit Geschlecht und Queer Culture, Neoliberalismus und westlichen Idealen verbindet. Ihr Buch hat sie daher allen »Hairy Queens, Hairy Kings und Hairy Non-Binary Royaltys« gewidmet – also haarigen Menschen, die nicht nur Geschlechter-, sondern auch Schönheitsnormen infrage stellen. Und von denen manche selbstbewusst ihre eigene Kunstform aus eben jenen tausendfachen Hornfäden an allen möglichen Stellen des Körpers generieren: mit Mitteln der Drag-Kultur.
Franziska Setare Koohestani: Hairy Queen. Warum Körperbehaarung politisch ist.
Ein feministisches Manifest, Ullstein, 288 Seiten, 12,99 Euro