…ist, dass diesen Monat mein zweites Buch erscheint. »Mischpoke. Familienangelegenheiten« heißt es, eine Anthologie mit Texten von 24 Autor*innen. Am Anfang des Projekts stand ein Garagenfund.
Kurz nach dem Tod der Mutter meines Freundes Markus tauchten alte Familiendias auf. Großartige Motive: Wohnwagen vor gewitterblauem Himmel, Kind mit Kopfverband und Fahrrad, Tanzbär auf Gehweg, irgendwo im Süden. Die Dias stammten aus den 1970er und 80er Jahren und waren ziemlich ramponiert. Verschmutzt, zerkratzt – aber etwas machte sie besonders. Die Garage, in der sie lagerten, war beim Hochwasser 2021 überflutet worden. Das Wasser hatte Substanzen mitgebracht, Chemikalien vermutlich. Die Chemikalien hatten auf den Bildern Farbkränze entstehen lassen, die nunmehr quer durch Gesichter verliefen, Details unkenntlich machten, manchmal aber auch wie Rahmen wirkten. Sie gaben den Dias etwas Unverwechselbares. Ich wusste sofort: Mit diesen Bildern möchte ich etwas machen.
Später kam mir die Idee, ihnen Texte zur Seite zu stellen. Ich fragte rund 50 Menschen an, Schreibende überwiegend, aber auch Bühnenleute, Musiker*innen oder Maler*innen. Den Kulturredakteur Philipp Holstein, das Theater-Duo half past selber schuld, die Schriftstellerin Vera Vorneweg und viele mehr. Aus rund 100 Dias durfte sich jede*r von ihnen ein Motiv aussuchen – und sich davon zu einem Text inspirieren lassen. Einzige Vorgabe: Thematisch sollte es im weitesten Sinne um das Thema Familie gehen.
Die meisten Angefragten mochten die Bilder und das Thema Familie birgt ja sowieso reichlich Stoff für Geschichten. Trotzdem wusste natürlich damals niemand von uns, wo das alles hinführen würde, am wenigsten ich selbst. Aber die Dinge entwickelten sich. Zahlreiche Beiträge gingen bei mir ein. Irgendwann hatte ich so viel Material zusammen, dass ich dachte: Könnte man eigentlich ein Buch daraus machen. Bis dahin war es dann noch ein weiter Weg. Das lag auch daran, dass wir die Abgebildeten aufspüren mussten, um ihre Zustimmung einzuholen. Nicht einfach. Viele der Menschen auf den Dias sind mittlerweile bereits verstorben.
Was den Titel angeht: Der war sofort da. »Mischpoke«. Ursprünglich ein jiddisches Wort. Es meint so viel wie Familie, Gesellschaft, Sippschaft. Im Jiddischen ist die Bezeichnung völlig wertneutral, während im Deutschen eine gewisse Geringschätzigkeit mitschwingt. Das passt in meinen Augen ganz gut. Familie kann man sich ja bekanntlich nicht aussuchen. Ich selbst habe übrigens einen Beitrag über meinen Vater geschrieben. Er trägt den Titel »Vogelkunde«. Mein Vater war begeisterter Hobby-Ornithologe. Leider konnte ich ihm den Text nicht mehr zeigen. Er ist kurz vor Weihnachten gestorben.
Weil es mir wichtig war, künstlerisch keine Kompromisse zu machen, habe ich eigens für das Buch auch einen Verlag gegründet. Den Connaisseur Verlag. Die Konsequenz ist natürlich, dass ich alles selbst machen muss: Vertrieb, Pressearbeit, Organisation von Lesungen und Veranstaltungen. Es ist also viel zu tun in den kommenden Wochen. Das erinnere ich noch von meinem ersten Buch »Oberbilk. Hinterm Bahnhof«. Als es erschien, passierte alles gleichzeitig. Glücklicherweise habe ich diesmal weit weniger Exemplare drucken lassen. »Mischpoke« soll – so hat es Markus Luigs formuliert, der dankenswerterweise die Gestaltung besorgt hat – »eine Pretiose« sein. Ein Buch für besondere Momente. Mir persönlich gefällt der Gedanke, dass aus einem traurigen Ereignis, dem Tod von Markus’ Mutter, etwas hervorgegangen ist, was Menschen Freude bereiten könnte. So zumindest meine Hoffnung.
Aufgezeichnet von Annika Wind
Name: Alexandra Wehrmann
Alter: 51
Beruf: Journalistin & Verlegerin
Wohnort: Düsseldorf
Alexandra Wehrmann betreibt seit 2015 den Düsseldorf-Blog theycallitkleinparis.de, auf dem sie Menschen aus der Stadt und ihre Projekte vorstellt. 2021 brachte sie mit dem Fotografen Markus Luigs den Bild-Text-Band »Oberbilk. Hinterm Bahnhof« heraus. Unter dem Titel »Still loving Oberbilk & Co« organisiert sie auch Rundgänge durch die eher unscheinbaren Ecken ihrer Heimatstadt.
»Mischpoke. Familienangelegenheiten« erscheint am 11. April (zu bestellen per Mail an schalom@mischpoke-online.com, 25 Euro).