… ist das Erlebnis für die Besucher*innen im Apollo Kino, das ich in Altena in vierter Generation betreibe. Wir sind ein kleines Kino, die Kunden sind bei uns keine Reservierungsnummer und der Vollservice steht an erster Stelle: Wir bieten frische Baguettes und 15 Sorten Popcorn von Zartbitter-Minze bis Bratapfel an. Getränke werden bei uns nicht in Pappbechern, sondern im Glas serviert. Im großen Saal mit 72 Plätzen ist eine Theke integriert und es ist permanent jemand im Raum. Die Gäste können per Knopfdruck nachbestellen, wir kommen an den Platz. Und wir fragen nach, ob der Ton zu laut ist. Viele kommen raus und sagen, Mensch, war das schön, wir kommen wieder, auch wenn die Anreise weit war. Das ist eine schöne Bestätigung. Umso mehr hat es uns bewegt, als wir 2023 als beliebtestes Kino Deutschlands ausgezeichnet wurden. Beim Ranking der Google-Bewertungen sind wir mit 4,9 von 5 Sternen auf Platz 1 gelandet und das bringt uns nach wie vor viele Neukund*innen. Aber auch wer hier weggezogen ist, kommt immer wieder. Mit Getränken wie »Kermit« oder »Miss Piggy«, Fanta mit Waldmeister oder Himbeersirup, und einem Brauselolli haben wir sie alle großgezogen. Jetzt kommen sie mit ihren Kindern wieder. Wenn 4- oder 5-jährige Kinder das erste Mal ins Kino gehen, sind sie oft ganz aufgeregt. Ich habe deswegen Plüschtiere besorgt, da können sie sich eins aussuchen. Meist wählen sie den Hund. Wenn sie das zweite Mal kommen, bringen sie das Tier wieder mit und erzählen, wie es heißt. Sie sitzen dann ganz stolz mit ihrem Wachhund im Sessel. Das ist einfach reizend.
Unser Haus ist von Straßen umgeben, wir nennen es liebevoll die »Kinoinsel«. Schon mehrfach habe ich erfolglos versucht, eine Tempo-30-Zone zu beantragen. Nach Kindervorstellungen stehe ich grundsätzlich an der Tür und halte bei Bedarf den Verkehr an, da bin ich schmerzfrei. Ich bleibe dran, die Hoffnung stirbt zum Schluss. Toi, toi, toi, bislang wurde noch niemand angefahren.
Ich bin jeden Tag vor Ort und habe vor 15 Jahren das letzte Mal Urlaub gemacht, aber ich mache das unglaublich gern.
Mein Hobby ist Filme-Raten: Wenn ich an der Kasse sitze und die Tür aufgeht, tippe ich, welchen Film die Besucher*innen sehen wollen werden.
Außerdem habe ich den kürzesten Arbeitsweg, ich wohne direkt unter dem Dach. Wenn mal jemand kurzfristig noch einen Gutschein zum Verschenken braucht, muss ich nur die Treppe runter und die Leute können ihn direkt abholen.
Ansonsten denken wir uns immer wieder Neues aus, etwa den passenden Cocktail zum Film oder das Leberkas-Baguette zur Eberhofer-Reihe. Wir arbeiten auch mit individueller Deko, nicht nur mit nackten Plakaten. Wir haben schon ganze Winterlandschaften aufgebaut oder beim Start von Harry Potter die Tür gestaltet, als ginge es nach Hogwarts. So haben wir auch Wettbewerbe und einen Kino-Manager-Award im Wert von mehreren tausend Euro gewonnen. Nach der Verleihung bin ich mit meiner langjährigsten Mitarbeiterin angetrunken und singend umhergelaufen: »Wir haben die Taschen voll Gold…«
Es gab auch schwierige Zeiten, logisch in 100 Jahren Betriebszeit. Corona war eine Herausforderung und wir hatten gerade mal 13 Tage geöffnet, da kam die Flut. Dann war hier noch mal zwei Monate zu. Wir sind komplett unterkellert, das ist bis unter die Decke vollgelaufen, aber wir hatten drei Pumpen und ich habe noch einiges aus dem Wasser gerettet. In den Sälen ist zum Glück nicht so viel passiert. So etwas hat auch meine Mutter hier nicht erlebt, da kam höchstens mal etwas Wasser durch die alte Bierluke – das Haus war mal eine Gaststätte und erst später gab es 1921 eine Genehmigung für Lichtspielvorführungen. Meine Mutter hat noch mit 35 Millimeter und schnell entflammbaren Filmen gelernt und 1955 ihre Ausbildung als eine der wenigen Frauen damals abgeschlossen. Sie ist erst mit 75 Jahren ausgestiegen, als wir digitalisiert haben.
Natürlich investiere ich immer wieder ins Haus. Wie es so in Altbauten ist, ständig flog eine Sicherung, daher gibt es jetzt eine neue Küche. Während der Pandemie hatte ich acht Monate Zeit, einen Saal umzuplanen. Ich saß auf einem der Sessel und habe überlegt, was möchte man? Ich sitze nur sieben Zentimeter vom Nachbarn entfernt, wir müssen die Armlehne teilen, ist doch ätzend. Ich habe recherchiert, mit Firmen gesprochen und irgendwann in Norwegen angerufen. Da stellt ein Unternehmen elektrisch verstellbare Kinosessel her. Ganz oder gar nicht, dachte ich. Jetzt haben wir solche Sessel, mit Fußablage und breiten Armlehnen. Teppichböden, Wandbespannung, das ist auch alles neu. Dabei haben wir uns von 34 auf 30 Plätze verkleinert. Beim ersten Plan wurden 50 Plätze vorgeschlagen, viel zu eng. Das sei doch normal, hieß es. Aber Altena ist nicht normal, also habe ich das zerschnitten und neu mit weniger Plätzen aufgeklebt. »Das ist ja ein Tanzsaal, kein Kino«, kam zurück. Nach dem 8. Plan war es endlich so, wie ich es haben wollte, gemütlich für alle.
Ich bin jetzt 57 und habe mir natürlich frühzeitig Gedanken um die Zukunft gemacht: Einer meiner Mitarbeiter wird den Betrieb übernehmen. Aktuell macht er seinen Theaterleiter-Schein, ich zahle es ihm, wenn er besteht. Und ich habe ihm aufgetragen, sich schon mal Gedanken um den Umbau des großen Saals zu machen. Emporen, Stufen, einige Varianten sind denkbar, Service wird aber immer Priorität Nr. 1 sein. Für uns ist einfach wichtig, die Kunden aus dem Alltag rauszuziehen und ihnen ein paar Stunden Magie zu schenken.
Aufgezeichnet von Melanie Schippling
Nicole Güldner lebt für ihr Kino, das auf einer Verkehrsinsel im sauerländischen Altena steht. Nach der Kindervorstellung hält sie schon mal den Verkehr an, damit alle sicher über die Straße kommen – einer von vielen ungewöhnlichen Dingen rund um das Filmhaus, das in diesem Jahr 100 wurde.
Name: Nicole Güldner
Alter: 57
Beruf: Kinobetreiberin
Wohnort: Altena
apollo-service-kino.de