…ist das Thema Haare, das uns seit vielen Jahren begleitet. Schon als Kind habe ich fersenlange Haare haben wollen. Das war etwas ganz Besonderes. Haare haben eine unglaubliche Aussagekraft. Einerseits eine mythologische, schließlich haben wir alle Erinnerungen an Märchen mit langhaarigen Hexen oder Feen. Haare haben auch mit Mode zu tun, mit Individualität und Uniformität. Sie stehen einerseits für Sinnlichkeit und Stärke, andererseits für sexuelle Potenz, für Zerbrechlichkeit. Sie reichen auch in den Bereich des Medizinischen und Psychologischen hinein, etwa wenn eine Person keine Haare mehr hat und sie ihr als Ausdruck ihrer Persönlichkeit verloren gehen.
In unserer Arbeit »china-hair-connection Beijing-Cologne « 2008 haben wir uns unter anderem mit dem wirtschaftlichen Faktor von Haar beschäftigt. Für den europäischen Markt, zum Beispiel für Perücken und Haarverlängerungen, kommt das Haar aus China. Dahinter steckt ein ganzer Wirtschaftszweig, der von Indien über China bis nach Europa reicht. 2006 haben wir für das Kölner Schauspiel das Projekt »… und HAAR und HAAR und HAAR und…« aus einer riesigen Menge von Haaren entwickelt. Ich glaube, wir hatten damals fast eine Tonne von menschlichen Haaren, die das Theater für uns bei einem süddeutschen Betrieb gekauft hat. Denn auch Haare haben ein gewisses Verfallsdatum – so konnte das Theater eine riesige Menge recht kostengünstig übernehmen. Wir haben damals all diese Haare in der Museumshalle Kalk und in einer Villa daneben mit 15 Akteur*innen und 25 Schafen als fast surreal anmutende Installations- und Aktionswelt inszeniert. Das Publikum konnte sich frei darin bewegen.
Für eine Aktion haben wir im Garten der Villa die Performerin Snežana Golubović in der Erde installiert und ihre langen Haare mit Bambusstäben um sie herum fixiert. Dieses Projekt von damals haben wir 2023 dann als »…public hair…« im Park der Menschenrechte in Köln-Lindenthal über mehrere Tage wiederaufgelegt. Die Performerin ist an ihren eigenen Haaren befestigt und kann sich nicht mehr bewegen. Dabei geht es in unseren Arbeiten nicht immer nur um eine eindimensional lesbare Aussage. Sondern eher darum, dass wir etwas in den Leuten evozieren, die auf unsere Arbeiten schauen. Das hängt natürlich auch von den jeweiligen Blickwinkeln der Betrachtenden ab. Aber interessant ist, dass die Menschen 2023 anders auf diese Haar-Installation geschaut haben, als im Jahr 2006: Es gab Menschen, die das Ganze als sehr sinnlich gedeutet, die Szene wie die einer aufgehenden Blume gesehen haben. Andere wiederum haben die Situation als sehr beklemmend empfunden und etwa die Me-Too-Debatte stark mitgedacht. Dazu die Bilder aus iranischen Ländern, von Frauen, die eingegraben und gesteinigt wurden. Vor so einem Hintergrund bekommen unsere Aktionen auch eine politische Dimension. »…public hair« zeigt damit einerseits die Schönheit der Frauen. Andererseits wird aber auch deutlich, dass gerade sie zum Verhängnis werden kann. So entsteht ein Zwiespalt zwischen Gefangensein, Stärke und Zerbrechlichkeit.
Aufgezeichnet von Annika Wind
In der intermedialen Ausstellung »AUSSER_ORDENTLICH – Rückblick – Einblick – Ausblick« im ehemaligen Schuhhaus Görtz (Neumarkt, Zeppelinstraße 4-8) sind Filmprojektionen, Fotos und Artefakte aus den Projekten von Angie Hiesl und Roland Kaiser zu sehen. Der Ausstellungsraum entsteht im Dialog mit dem Filmemacher Florian Dedek, die Gesamtkonzeption mit den Kuratorinnen Tasja Langenbach und Annette Ziegert (24. bis 27. Oktober, 31. Oktober bis 3. November, 7. bis 10. November).
Name: Angie Hiesl
Alter: 69
Beruf: Regisseurin, Choreografin, Performance- und Installations-Künstlerin
Wohnort: Köln
In ihren Performances übergießen sich Menschen mit Zucker, hängen sich an Briefkästen oder thronen an den Fassaden von Häusern: Angie Hiesl und Roland Kaiser machen die Stadt zur Bühne. Mit ihren eindringlichen Inszenierungen im öffentlichen Raum gehört das Kölner Duo seit Jahrzehnten zu den wichtigsten Persönlichkeiten situationsbedingter Kunst in NRW. Zeit also, zurückzuschauen – und nach vorn: Im Oktober präsentiert Angie Hiesl mit ihrem langjährigen Partner eine Ausstellung über 40 Jahre Performancekunst, in der auch Haare immer wieder eine Rolle spielen.