… sind die bevorstehende Fußball-EM und meine Fußball-Professur in Dortmund. Dort werde ich das Phänomen Fußball in einem größeren gesellschaftlichen und kulturellen Kontext erläutern. Das vor allem auch komparativ – es geht nicht nur um Deutschland und nicht nur um Fußball, sondern auch um Sport im Allgemeinen. Auf persönlicher Ebene freue ich mich darauf, die Studierenden in Dortmund kennenzulernen und mich mit ihnen auseinanderzusetzen. Und natürlich, dass viele meiner Kollegen aus Deutschland und Österreich nach Dortmund kommen. Wir werden die Spiele anschauen und es wird ein soziales Gefüge sein, worauf ich mich sehr freue. Sport hat etwas sehr Bindendes.
Entstanden ist meine Liebe zum Fußball als kleiner Bub. Schon von klein auf waren es eine Art kultureller Diskurs und eine emotionale Kommunikation mit meinem Vater. Mit ihm waren nur Fußball und die klassische Musik Themen, die nicht umkämpft waren, bei allen anderen kam es irgendwann zu einem Zwist. Es ist sehr interessant, wie ich es assoziiere: Mein Vater und ich sitzen nebeneinander, schauen auf etwas, wir verstehen uns wortlos, es wird wenig gesprochen. Es ist ein intimes Gefühl, eine Art Geborgenheit für mich. Dazu gibt es auch Studien: Männer sitzen Seite an Seite, Frauen sitzen sich gegenüber. Bei Fußball handelt es sich um ein Kulturgut, das man mit Millionen Menschen teilt – bis jetzt hauptsächlich mit Männern. Aber das ändert sich.
Ich habe ein Buch zu weiblichen Fans geschrieben: »Sportista«, das ist das Pendant zu »Fashionista«, jemand der nicht nur kundig ist, sondern es auch liebt, also sowohl eine affektive Bindung, als auch eine kognitive Bindung hat. Ihre Zahl ist gerade in den letzten zehn Jahren größer geworden. Als Sozialwissenschaftler beobachte ich das und als Privatmensch freue ich mich darüber. Dabei bin ich einer der wenigen Männer, die sich nicht davon bedroht fühlen. In einer Studie habe ich gezeigt, dass es zwischen männlichen und weiblichen Studierenden kein Problem ist, wenn beide in anderen Bereichen gleich viel wissen. Aber wenn die Frauen über Sport so viel wissen wie die Männer, werden die Männer sehr zickig und fangen an, sie zu testen. Es geht sofort ins Kognitive über. Weil es so lange ein Raum für Männer war, in den die Frauen eindringen. Viele Männer sehen das nicht gern und empfinden es als Bedrohung, als Versuch, sie zu delegitimieren.
»Die Erforschung des Sports ist auch eine Flucht«
Da gibt es eine Parallele zu gesellschaftlichen Entwicklungen: In jeder Gruppe versucht man, das Gehabte zu behüten – die Alteingesessenen nehmen die Eindringlinge nicht gerne auf. Wir sind ziemlich miese Geschöpfe, wir nehmen alles Fremde ungern auf, auch fremde Menschen. Natürlich sind Leute, die in ihrer Existenz sicherer sind, geneigter, andere aufzunehmen, als diejenigen, die unsicherer sind. Aber im Großen und Ganzen sind wir alle xenophob. Über solch üble Themen habe ich viel geschrieben – besonders über Antisemitismus und Antiamerikanismus. Es hat mir Freude gemacht, auch hässliche Themen zu untersuchen. Aber ich habe es aufgegeben. Die Erforschung des Sports ist ein bisschen auch eine Flucht, weil ich mich nicht mehr mit Antisemitismus und Antiamerikanismus beschäftigen will. Ich habe darüber alles gesagt, was zu sagen ist. Es tut mir weh, ich kann damit nicht mehr umgehen, das Leben ist kurz. Aber ich habe Fußball und diese zwei Themen immer mit der gleichen Passion und der gleichen Ernsthaftigkeit untersucht.
Jetzt aber freue ich mich auf die Europameisterschaft, obwohl ich Länderspiel-Fußball eigentlich nicht besonders gern mag und den Club-Fußball viel lieber habe. Bei jenem hasse ich den unterschwelligen und nicht so unterschwelligen Nationalismus. Ich werde sehr viele Spiele gerne und mit großer Kenntnis anschauen, ich werde das Turnier lieben, und mich total hineingeben, aber ich halte zu niemandem.
Aufgezeichnet von Vera Lisakowski
Name: Andrei S. Markovits
Alter: 75
Beruf: Politikwissenschaftler und Soziologe
Wohnort: Ann Arbor, Michigan
Andrei S. Markovits wurde vom Rektor der Technischen Universität Dortmund zum Fußballprofessor berufen und wird während der Europameisterschaft Seminare geben, wie er es schon während der „Sommermärchen-WM“ 2006 getan hat. Er lehrte 50 Jahre lang an verschiedenen Universitäten, hauptsächlich in den USA, zuletzt als Professor für vergleichende Politikwissenschaft und Soziologie an der Universität Michigan, wo er zum 1. Juni emeritiert wurde. Geboren wurde er 1948 im rumänischen Timişoara. Er machte sein Abitur in Wien und wanderte dann in die Vereinigten Staaten aus. Seine vielfältigen Interessen zeigten sich schon an den fünf Abschlüssen, die er in vier Fächern an der Columbia Universität erwarb, aber auch an den Publikationen über sein Fachgebiet hinaus – neben zahlreichen Büchern über Sport schrieb er unter anderem auch über Hunderettung.
Das Fußballseminar zur Euro 2024 findet vom 17. bis 27. Juni 2024 im Internationalen Begegnungszentrum der TU Dortmund statt und ist offen für alle Interessierten.