…sind die Künstler*innen, die in unser Haus kommen. Gekauft hat es Heinrich Böll Mitte der 1960er Jahre, als er immer populärer und sein Alltag immer unruhiger wurde. Er suchte etwas mehr Ruhe an einem Ort, der allerdings nicht mehr als 50 Kilometer von Köln entfernt liegen sollte. Ein Makler hat für ihn diesen ehemaligen Bauernhof gefunden, wo Böll mit seiner Familie vor allem die Sommermonate verbracht und schon damals Politiker*innen, Schriftsteller*innen, Künstler*innen, aber auch Dissident*innen empfangen hat, etwa Stefan Heym aus der ehemaligen DDR. Der bekannteste Besucher war 1974 Alexander Solschenizyn, der gerade aus der Sowjetunion ausgewiesen worden war.
Der Hof stand damals voller Presse und machte den Ort auf einen Schlag berühmt. Ganz in dieser Tradition sollte dieses Haus auch nach Bölls Tod weiter genutzt werden. Dafür setzten sich Freunde, Bölls Familie und Verantwortliche der Stadt Düren, aber auch der damalige Ministerpräsident Johannes Rau ein. Es entstanden vier Wohnungen, von denen sich zwei auch für Familien eignen. In Betrieb genommen wurde das Haus 1991, seitdem haben hier um die 250 Stipendiat*innen aus über 40 Nationen gelebt. Die meisten kamen aus Syrien, gefolgt von China.
Die jeweilige Generation an Stipendiat*innen wandelt sich mit den Krisen der Welt.
Wir hatten zu Beginn unserer Arbeit noch viele Gäste aus dem Ostblock, aus Bulgarien, Rumänien, der ehemaligen Sowjetunion. Das veränderte sich mit dem Beginn der Jugoslawienkriege, in deren Zuge viele aus Bosnien, Serbien, Kroatien kamen, später aus dem Kosovo. In dieser Zeit war das Haus auch am stärksten belegt, zeitweise mit 14 Menschen, viele waren direkt aus Kriegsgebieten zu uns geflüchtet. Unsere prominenteste Besucherin war die Weißrussin Swetlana Alexijewitsch, die 2015 den Nobelpreis für Literatur bekam – unter anderem für einen Text, der 2010 im Böll-Haus entstanden ist. Wir nehmen Schriftsteller*innen, Künstler*innen und Komponist*innen für meist vier, manchmal sechs Monate auf. Aktuell sind das die Autorinnen Mojgan Ataollahi und Azadeh (Andisheh) Karami und der Komponist und Setar-Spieler Esmaeil Pirhadi aus dem Iran. Etwa 30 Prozent unserer Stipendiat*innen kehren nicht wieder in ihre Heimat zurück. Einige erhalten Anschlussstipendien in ähnlichen Einrichtungen, andere müssen ins Exil, weil sie nicht zurück können. Unsere Gäste gewinnen wir durch Empfehlungen von ehemaligen Stipendiat*innen, von Expert*innen aus dem Kunst-, Musik- oder Literaturbetrieb, aber auch von den Goethe-Instituten, Botschaften oder der Böll-Stiftung im Ausland, denn bewerben im klassischen Sinn kann man sich für unser Haus eigentlich nicht. Es gibt keine Ausschreibungen, unsere Internetseite ist bewusst schmal gehalten, weil wir sonst in Anfragen untergehen würden. Es gibt so unglaublich viele Künstler*innen, die nicht frei in ihrer Heimat arbeiten können und unter Druck stehen. Aktuell wollen natürlich viele Menschen aus der Ukraine und dem Iran zu uns kommen. Ich rechne auch verstärkt mit Anfragen aus Russland. Aber wer kann ausschließen, dass man im nächsten Jahr in den USA noch frei schreiben und reden darf – je nachdem, wie die Wahl ausgeht? Mitunter verändert sich die Welt ja unplanbar. Im Schnitt können wir gerade mal acht Künstler*innen im Jahr helfen, aber damit zumindest einzelnen Schicksalen zur Seite stehen. Unterstützt und finanziert werden wir von der Landesregierung NRW. Die Stipendien stammen zum Großteil vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft und von der Böll-Stiftung in Berlin. Die Stadt Düren trägt die Betriebskosten und erhält dafür Zuschüsse vom Land und vom Kreis Düren. Was ich mir wünschen würde, wären mehr solcher Einrichtungen und mehr Mut von Kommunen, solche Plätze wie unsere zu schaffen. Die Menschen, die bei uns leben, bereichern ihr Umfeld ja auch mit ihrer Kultur: 1991 etwa war die bosnische Regisseurin Kaća Čelan zu uns gekommen. Sie hat danach auf Schloss Burgau ein Theater gegründet und bis 2006 betrieben – heute stammen aus dieser Theaterschule 15 professionelle Schauspieler*innen.
Aufgezeichnet von Annika Wind
Name: Stefan Knodel
Alter: 58
Beruf: Geschäftsführer des Heinrich-Böll-Hauses in Langenbroich
Wohnort: Düren
Stefan Knodel wollte eigentlich in Frankreich Koch werden – dann aber studierte er kommunale Verwaltung in Köln und landete mit gerade einmal 24 Jahren als Verwaltungsfachwirt bei der Stadt Düren. Seit 1990 hat er als Leiter des Böll-Hauses rund 250 Künstler*innen aus den Krisenherden dieser Welt betreut und begleitet. Geblieben ist die Liebe zu Frankreich: In Düren ist er für die Partnerstädte Valenciennes und Cormeilles zuständig.
Mojgan Ataollahis Roman »Ein leichter Tod« über ein Frauenleben im heutigen Iran ist im Residenz Verlag erschienen (182 Seiten, 20 Euro)