Das wissen vor allem die Buchhändler*innen im Lande. Dieses Mal Sigrun und Matthias Hintzen, deren Buchhandlung in der Klever Oberstadt eine Fundgrube für niederländische Literatur ist. Bei der jüngsten Leipziger Buchmesse demonstrierten die Niederlande und Flandern mit ihrem Gastauftritt »Alles außer flach« einmal mehr, wie vital die literarische Szene bei unseren Nachbarn ist. Davon profitiert auch die 1925 von Matthias Hintzens Großeltern gegründete Buchhandlung, die neben einem Vollsortiment von rund 30.000 Büchern über ein stattliches Antiquariat verfügt.
So ist die Selbstdefinition »Schatzgräber im Meer der Bücher« allemal berechtigt. Der literarische Spürsinn von Eckhard Erdmann, Herr des im Souterrain gelegenen Antiquariats, wird weit über Kleve hinaus gerühmt. Derweil sorgt Sigrun Hintzen, die Frau von Matthias Hintzen, mit Veranstaltungen, Werbung und Social Media dafür, dass die Traditionsbuchhandlung in vieler Munde ist. Auch in den Niederlanden. Jeden Freitag packt Matthias Hintzen das Auto voller Bücher und macht sich auf ins nahegelegene Nijmegen. »Im kleinen Grenzverkehr kooperieren wir mit Buchhändlerkollegen und der Radboud-Universität in Nijmegen«, erzählt der Buchhändler. »Auch niederländische Schulen versorgen wir für den Deutschunterricht mit Lektüren und Schulbüchern.«
Umgekehrt kann man im Geschäft an der Hagschen Straße niederländische Bücher zum dortigen Ladenpreis kaufen – zusätzliche Importkosten fallen nicht an. Dass Amazon seit 2020 mit einem vollständigen Marktplatz in den Niederlanden aktiv ist, hatte zwar auch Auswirkungen auf den »kleinen Grenzverkehr« der Buchhandlung. Doch lässt sich Hintzen davon nicht unterkriegen. Sein »literarisches Wohnzimmer von Kleve« punktet mit fachkundiger Beratung und einem engagierten Team, das Erich Kästners Satz »Wer Bücher schenkt, schenkt Wertpapiere« als zentrales Argument bei Kaufentscheidungen einzusetzen weiß.
Sigrun und Matthias Hintzen empfehlen
Gijs Wilbrink: »Tiere«
Obwohl nicht weit von uns gelegen, war der Achterhoek im nahen Grenzgebiet auf der anderen Rheinseite eher eine Art Niemandsland für uns. So besuchten wir neugierig einen Literaturabend bei den Buchhändler-Kollegen in Arnheim, unter dem Motto: »De Achterhoek bestaat niet«, mit gleich vier Autoren aus dieser ländlichen Region. Einer davon war Gijs Wilbrink mit seinem Roman-Debüt »Tiere«, im Achterhoek aufgewachsen. Seine Protagonisten sind die Mitglieder der unheimlichen Familie Keller mit drei verschrobenen Brüdern, kriminell, illegale Tierzüchter, Knastbrüder, und die Enkelin Isabella, die dem gnadenlosen Familienclan zum Kunststudium nach Utrecht entflohen war. Dann ist sie zurück bei ihrer ketterauchenden Mutter, denn der Vater ist verschwunden, mit nur einem Bein. Das andere hat er bei einem legendären Motocross-Rennen verloren. Die Suche beginnt. Und mit ihr ein Parforce-Ritt durch das Geflecht der Dörfler, düsteren Partykellern, unterlegt mit Punk, Rockmusik, Hausbesetzung und Tierschutzaktivismus. Wilbrink ist auch Musiker, und sein Roman pulsiert im Staccato-Rhythmus, schont den Leser nicht. Die Sprache ist rau, es müffelt, man liest sich durch Fäulnis, Dunkel und nervöse Brutalität. Damit kontrastieren sensible Blicke auf das Zwischenmenschliche, die Nöte, Familie und Provinz, auf das Loslassen und die Fragen, die das Leben stellt, und zwar genau da, wo man eben hingeboren wurde. In den Niederlanden stand der Roman auf der Shortlist des Buchhändlerpreises, und Wilbrink gilt als eine der interessantesten Stimmen der jungen niederländischen Literatur. Wir werden ihn weiter im Auge behalten!
Gijs Wilbrink: »Tiere«
aus dem Niederländischen von Ruth Löbner
Ullstein, 24,99 Euro