Wer das Reisen durch Europa vermisst, kann in Corona-Zeiten zumindest beim Lesen in die Ferne schweifen. Oder in den kommenden Monaten einen Ausflug nach Westfalen und Lippe unternehmen. Denn das neue Literaturfestival »europa:westfalen« widmet sich bis Ende Oktober in mehr als 60 Veranstaltungen dem Thema »Europa« – in Ausstellungen, Lesungen, Workshops oder Gesprächsreihen.
Was macht Europa eigentlich aus? Welche Bedürfnisse haben die Menschen, die hier leben? Über diese Fragen diskutieren am 16. April Autor*innen wie Marica Bodrozic, Eugenijus Alisanka, Ales Steger oder Sema Kaygusuz. Sie bringen Texte, Erzählungen und Gegenstände aus Kroatien oder der Türkei mit ins lippische Schwalenberg. Gemeinsam erstellen sie dann ein »Europäisches Alphabet der Wünsche«. »Die Sprache Europas ist die Übersetzung« hat Umberto Eco einmal gesagt. In diesem Sinne finden zum Europatag am 9. Mai in Bad Oeynhausen gleich mehrere Veranstaltungen statt, die sich mit Übersetzungen beschäftigen. Auf dem Programm steht etwa ein Translation-Slam: Karin Betz oder Peter Torberg müssen spontan Übersetzungsaufgaben aus Büchern, Liedern oder Filmen lösen. Wie das Ganze handwerklich funktioniert, erklärt Ingo Herzke: Er zeigt live vor Publikum, wie er Joshua Cohens Roman »The Netanyahus« ins Deutsche überträgt.
Neue Bücher und historische Architektur kann man beim »Literatur-Express« entdecken, der am 29. Mai in Unna startet: Per Bus geht’s los zu einer literarischen Tagestour, die an westfälischen Schlössern, Burgen und Orten der Industriekultur entlangführt – vom alten Brauereigewölbe bis zur Zeche Radbod in Hamm. Im Anschluss liest Laurent Binet auf Burg Vischering aus seinem aktuellen Roman »Eroberung«, in dem er die Inkas im Europa des 16. Jahrhunderts landen lässt.
Mit seinen interdisziplinären Literaturformaten hat sich Burg Hülshoff als Center for Literature auch außerhalb Westfalens einen Namen gemacht. Für das Festival haben Stefanie de Velasco und Jan Brandt mit der Lyrikerin Mette Moestrup und dem Opernsänger Shlomi Moto Wagner den performativen Wanderzirkus »Westfailure« entwickelt: Er schlägt am 27. Mai seine Zelte auf und nimmt die Besucher*innen mit auf die Suche nach einer Welt, in der Nationalstaaten keine Rolle mehr spielen. Mit dabei: Propaganda-Autos, Wahrsager-Sessions und Lippensynchronisationschöre.
Die Reihe »Diesseits und jenseits der Grenze« nimmt die gegenteilige Perspektive ein. Schließlich ist die Grenze zu den Niederlanden die einzige, die Westfalen mit dem Ausland teilt. In Lesungen und Gesprächen sind Autor*innen aus dem Nachbarland zu Gast: Am 17. April und 8. Mai treffen sich in Steinfurt Tsead Bruinja, Ineke Holzhaus oder Jac. Toes. Die Schweizerin Zora del Buono liest am 7. April in Minden aus ihrem Roman »Die Marschallin«. Wer lieber an der frischen Luft unterwegs ist, sollte am 18. April in Schwerte vorbeischauen: Erwin Grosche lädt zu einer Fensterlesung am Wuckenhof mit anschließendem Literatur-Spaziergang ein. Auch das Sauerland soll bei »europa:westfalen« zur Buchhochburg werden: Am 11. Mai liest Norbert Scheuer aus seinem Erfolgsroman »Winterbienen«, mit dem er 2019 auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises stand. Literarische Stimmen aus Polen sind am 9. Mai in Schmallenberg-Fleckenberg zu hören. Poetisch wird es am 9. Mai in Hagen, wenn die Reisegedichte Ernst Meisters im Auditorium des Emil Schumacher Museums musikalisch und literarisch interpretiert werden.
www.literaturlandwestfalen.de/festival