TEXT: ANDREAS WILINK
Der Film hat den falschen Titel: Er müsste »Arendt in Jerusalem« heißen. Denn er beschränkt sich weitgehend auf die Zeit um 1961, während der Hannah Arendt den Prozess gegen Adolf Eichmann im Auftrag des New Yorker beobachtet und zu einer Artikelserie und später zum Buch verarbeitet. Das weit gespannte Werk der politischen Theoretikerin von Augustinus über Rahel Varnhagen bis zu den Totalitarismus-Studien und seine Bedeutung erschließen sich nicht. Entsprechend beginnt Margarethe von Trottas Film mit dem Kidnapping des für die Deportation der europäischen Juden verantwortlichen SS-Obersturmbannführers, der in Argentinien untergetaucht war und von Israels Geheimdienst entführt wird. Der im Ganzen zu schmale Film macht zudem einen Fehler, konsequent für die Erzählung, aber fatal für seine Wirkung.
Die Regisseurin montiert in ihr Biopic schwarzweißes Originalmaterial von Eichmann in seiner gläsernen Zelle, Richter, Staatsanwalt und Zeugen, deren Protokollhaftigkeit einem immer wieder den Atem verschlägt. Keine der Spielszenen erreicht nur annähernd die kontroverse Kraft und emotionale Stärke, die hier das Reale auslöst. Besonders nicht die privaten Situationen, die uns Hannah Arendt als Ehefrau, Dozentin, brillante Intellektuelle und in Rückblicken als Studentin und Geliebte Martin Heideggers (Klaus Pohl) zeigen, den sie nach dem Krieg zur Rede stellt über seine Anpassung an die Nazi-Diktatur. All das bleibt Theater – so wie die diversen Salon-Debatten Papier. Zumal die Szenen einer Ehe mit Heinrich Blücher (Axel Milberg) und die Episoden mit Hans Jonas (Ulrich Noethen), dem Freund und Kollegen, der mit ihr bricht.
Der Skandal, den die Jüdin Arendt mit ihrer Analyse Eichmanns auslöste, für die ihre Formel von der »Banalität des Bösen« zum Begriff wurde, und mehr noch verursacht durch ihr kritisches Hinterfragen der Funktion der »Judenräte« innerhalb der NS-Vernichtungsmaschine, ist heute kaum nachvollziehbar. Das Modell des bürokratischen Mordens, für das der dem Gehorsam statt seinem Gewissen verpflichtete Befehlsempfänger Eichmann steht, hat sich längst etabliert. Das einsame Geschäft des Denkens, wie es Arendt von Heidegger lernt, erhebt Trotta zum zentralen Aspekt. Dass er anschaulich wird, verdankt sich Barbara Sukowa, der wir beim Wagnis des Denkens zuschauen und bei der Umwandlung von Gedanken in Worte. Die glasklare, vernunftbegabte Schärfe, mit der Arendt, »die unerschrockene Radikaldemokratin« (Habermas), zu formulieren verstand, erreicht sie freilich nicht. Der Film in seiner Gefühligkeit wird ihr nicht gerecht.
»Hannah Arendt«; Regie: Margarethe von Trotta; Darsteller: Barbara Sukowa, Axel Milberg, Ulrich Noethen, Michael Degen, Klaus Pohl, Janet McTeer, Julia Jentsch; Luxemburg/Deutschland/USA/Israel 2012, 113 Min.; Start: 10. Januar 2013.