TEXT: GUIDO FISCHER
Im letzten Jahr konnten zumindest die Wagnerianer ein kleines Jubiläum feiern. 1983, somit vor 30 Jahren, hatte Waltraud Meier in »Parsifal« ihr Bayreuth-Debüt gegeben. In der Partie der Kundry, die vielleicht aufregendste und anspruchsvollste Frauenfigur Wagners, sorgte die Mezzosopranistin für Begeisterungsstürme. Fortan galt Meier als der neue Stern am Wagner-Firmament. Überall, wo sie die großen Wagner-Rollen sang, waren die Reaktionen überschwänglich. »Hier ist jemand, der wirklich singt«, stellte die New York Times 1988 nach ihrer Kundry an der Met nüchtern fest. Schon damals verkörperte sie in Idealform eine Sängerin, die die Musik kühn und kühl bewältigt und zugleich aus ihr alles an Leidenschaft und Emotion schöpft.
Nach Tausenden von Vorstellungen und Konzerten, in denen sie oft ins dramatische Sopranfach gewechselt ist, gehört Meier weiterhin zur absoluten Spitze. Dass die gebürtige Würzburgerin dieses Niveau über Jahrzehnte halten konnte, liegt nur an ihrer umsichtigen Karriereplanung, bei der sie nicht auf jedes Rollenangebot eingegangen ist. Schon zu Beginn, als sie erste wichtige Schritte auf den Bühnen von Mannheim und Dortmund ging, legte sie Wert auf körperliche Fitness. Und achtet bis heute darauf, täglich Sport treiben zu können, ob am Heimtrainer oder im Fitnessraum eines Hotels.
Auch äußerlich konnte Meier zu einer Musiktheater-Darstellerin reifen, die in den unterschiedlichsten, komplexesten Figuren überzeugt. Dazu gehört Bizets »Carmen«, die Marie in Alban Bergs »Wozzeck« und die Didon in Berlioz’ »Trojanerinnen«. Und immer wieder Wagner. An der Berliner Staatsoper wird Meier im Oktober in ausverkauften Vorstellungen die Isolde unter Leitung von Daniel Barenboim singen, mit dem sie seit über zwanzig Jahren musikalisch enge Freundschaft verbindet. Für 2015 sind Auftritte im »Lohengrin« und Strauss’ »Elektra« geplant – in München, Berlin und Valencia, aber eben nicht in Bayreuth. 2000 kam es zum Knall zwischen ihr und Wolfgang Wagner. Ein Comeback, so sagte sie kürzlich, würde sie nicht ausschließen, wenn es denn künstlerisch mit dem Regisseur zusammenpasst. Denn für Meier, die mit Chéreau, Kupfer und Konwitschny zusammengearbeitet hat, würden sich leider allzu viele Amateure an der Oper versuchen.
Ohne wilde bis wirre Regiekonzepte, ganz pur kann sie sich beim klassischen Lied präsentieren. »Lieder zu hören ist im Gegensatz zur Oper zwar viel stiller, aber auch viel erfüllender«, findet Meier und fügt hinzu, dass ein Lied im Gegensatz zur bewegenden Kunstform Oper wesentlich tiefere Freude vermittle. Wie wichtig ihr die Welt des Kunstliedes mit seinen intimen Licht- und Schattenseiten ist, unterstrich sie 2004 mit ihrer Entscheidung, sich eine Auszeit vom Musiktheater zu nehmen und intensiv dem Liedrepertoire der Romantik und des frühen 20. Jahrhunderts zu widmen. Neben Schubert und Strauss wurden vor allem Wagners Wesendonck-Lieder sowie das gesamte Liedschaffen Gustav Mahlers charakteristisch für sie. Gewiss hört man der Liedsängerin stets ihre musikalische Herkunft von der Opernbühne an. Dennoch ist es gerade die für ihren Gesang typische Mischung aus mitfühlender Klangrede, dramatischer Intensität und berückenden Klangfarben, mit der sie selbst Mahlers volksliedhafte Minidramen durchlebt. Mit Wagner & Mahler (u.a. Rückert-Lieder) und ihrem vertrauten Pianisten Joseph Breinl stellt Waltraud Meier ihr atemberaubend stimmschauspielerisches Können beim Bonner Beethovenfest unter Beweis – und gibt mit dem Recital wahrhaftig ihr Debüt bei dem traditionsreichen Festival.
Waltraud Meier und Joseph Breinl (Klavier) mit Liedern von Wagner und Mahler; 24. September 2014, Opernhaus, Bonn. www.beethovenfest.de