»Wo isses, das Bild«? Das Kaiser-Wilhelm-Museum in Krefeld kann sich über neue Gäste freuen, dem Anschein nach sonst eher seltene Museumsbesucher, die in letzter Zeit das Haus lautstark durchstreifen. Über das Objekt der Neugier besteht angesichts des medialen Wirbels der letzten Wochen kein Zweifel: Claude Monets »Le parlement, coucher de soleil« von 1904, eine in Blau- und Rottönen gehaltene Ansicht des englischen Parlaments, auf der der Londoner Himmel, die Themse und das Gebäude eine magisch wirkende Einheit bilden. Noch hängt das Bild im ersten Stock, in einem der schönen, zu sommerlichen Temperaturen allerdings unangenehm stickigen Säle des Museums. Bis das Bild im April 2007 wieder auf Reisen geht, hat man Sonderführungen organisiert, der Andrang ist groß – als hätte es bisher keine Gelegenheit gegeben.
Bereits 1907 wurde das Gemälde unter Direktor Friederich Deneken im Anschluss an eine Impressionistenschau für 12.424 Reichsmark erworden – mit Mitteln des Krefelder Fabrikanten Schultz, der es dem Museum in einem Vermächtnis zudachte, mithin ohne jeden Einsatz der Stadt. Für einen ausstehenden Restbetrag kamen die Erben des Unternehmers auf. Ob das Museum nun aber den hundertjährigen Geburtstag seines wertvollsten Werkes im eigenen Haus wird feiern können oder es dem naturgemäß begierigen Kunstmarkt »ausliefern « wird, um mit dem Verkauf der Pretiose (geschätzter Wert: annähernd 20 Mio. Euro) die Sanierung des maroden Museumsbaus zu unternehmen – das steht in den Sternen. Sonnenuntergang in der Seidenstadt.
Die Verantwortlichen in Krefeld jedenfalls wirken einigermaßen ratlos, Museumsdirektor Manfred Hentschel ist nicht zu beneiden. Manche behaupten, er habe den Verkauf des Monets überhaupt erst ins Spiel gebracht, was er abstreitet. »Die Sache war schon länger Thema; ich habe sie geprüft und vor allem im Hinblick auf die Richtlinien des internationalen Museumsbundes (Verkauf von Beständen im Prinzip nur zum sammlungskonformen Ankauf neuer Arbeiten) dem Oberbürgermeister vom Verkauf abgeraten.« Die Stadt habe sträflich lange mit dieser »ureigenen Aufgabe« gewartet, »der Sanierungsbedarf ist seit Jahrzehnten aufgelaufen«.
Die Sanierungen der 90er Jahre beschränkten sich auf die Fassade. Mit einer Klimaanlage ausgestattet wurde allein ein inzwischen zu kleines Archiv. Der Krefelder Kulturdezernent Roland Schneider (»Ich bin gespalten«) gibt sich vor allem enttäuscht vom Land, von dessen Regierung er »erwartet hätte, dass sie sich um die Bestände kümmert und nicht wie in Düsseldorf und andernorts neue museale Leuchttürme errichtet«. Letztlich wäre er zu einem Verkauf bereit, vorausgesetzt, das Geld dient der Rettung des Museums und wird nicht zur Haushaltssanierung verwendet. Dies aber ist angesichts der Haushaltssicherung, unter der die Stadt steht, und der noch ausstehenden Entscheidung der Bezirksregierung mehr als unsicher. Daher denkt Schneider an Sponsoren und liebäugelt mit dem »Bonner Modell «, dem Verkauf des Bildes an einen Wohltäter, der das Werk anschließend als Dauerleihgabe zur Verfügung stellt. Der Direktor des Bonner Kunstmuseums Dieter Ronte aber, der seit dem Verkauf eines Baselitz-Bildes von 2001 erklärtermaßen »Bauchschmerzen« hat, bekommt in letzter Zeit von verschiedenster Seite Anfragen, wie denn seinerzeit der Handel so abgelaufen sei…
Die Unruhe unter Museumsleuten ist erheblich. Die Stellungnahmen – vom deutschen Museumsbund und Deutschen Kulturrat bis zu Museumsdirekoren (»skandalös«, Armin Zweite, Kunstsammlung NRW; »grotesk«, Christian von Holst, Staatsgalerie Stuttgart) – sind einheitlich. »Nicht einmal in den USA«, so Armin Zweite, »ist man bislang vom Prinzip, Kunst nur gegen den Erwerb von Kunst zu verkaufen, abgerückt.« Die Hauptsorge gilt dem Nachahmungseffekt, der durch den Krefelder Fall ausgelöst werden könnte, eine Befürchtung, die angesichts leerer kommunaler Kassen mehr als naheliegt. Vom Land kommt in diesem Fall keine schnelle Rettung. Kulturstaatssekretär Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff betont im Gespräch mit K.WEST: »Es ist Aufgabe der Kommunen, ihre Häuser auf dem erforderlichen Stand der Technik zu halten. Wenn ich an einer Stelle mit der Landesunterstützung anfange, gerate ich in Schieflage zu anderen Kommunen, die ihre Häuser modernisiert haben.« Im übrigen stehe das Land zu den Entscheidungen der Vorgängerregierung und helfe bei Museumserweiterungen, wenn sie denn wie in Düren (Leopold- Hoesch-Museum), Marl (Skulpturenmuseum), Neuss (Clemens Sels Museum) und Kleve (Beuys-Atelier) und natürlich auch in Düsseldorf (Landesmittel für den Erweiterungsbau der Kunstsammlung: 5 Mio Euro) sinnvoll sind. »Auch über einen Erweiterungsbau für das Kaiser-Wilhelm-Museum kann man sprechen«, so Grosse-Brockhoff, »aber erst ab 2010«. Ansonsten konzentriere die Landesregierung sich, was das Thema Bestandssicherung betrifft, auf den Erhalt von archivischem Papiergut und mittlerweile gefährdeten Film- und Videofilmmaterial. »Für mich«, so Grosse-Brockhoff, »sind solche Programme vorrangig, um die kulturelle Substanz im Land zu sichern.« Und: »Neue Museumsbauten brauchen wir im Land eigentlich nicht mehr viele; museale Ergänzungen ja, um das Profil des jeweiligen Hauses zu verbessern; und übrigens wollen wir auch beim Etat für Ankäufe zukünftig wieder etwas zulegen.«
Tatsächlich ist die NRW-Museumslandschaft inzwischen reich und vielfältig wie in keinem anderen Bundesland. Höchst unterschiedlich aber ist nicht nur die kommunale Finanzlage, sondern offenbar auch der Stellenwert, den die einzelnen Häuser bei ihren Stadtoberen genie ßen; und nicht überall finden sich Mäzene, die wie die Krupp-Stiftung in Essen mal eben 55 Mio. Euro zur Verfügung stellen. In Köln hat Wallraff-Richartz-Direktor Andreas Blühm ein Positionspapier verfasst, in dem die Mängelliste des Hauses mit dem Hinweis darauf beginnt, dass das Budget nicht einmal zu einer ausreichenden Reinigung der verschmutzten Schaufenster reiche. Das derzeitige Budget sehe nur noch eine Reinigung im Jahr vor. Bis vor kurzem hatte dies ein »unerträglich verschmutztes und damit unrepräsentatives Erscheinungsbild des Gebäudes« zur Folge. Hinzu kommt: Nach der räumlichen Trennung vom Ludwig-Museum ist das Haus aus dem Scheinwerferlicht gerückt, die Besucherzahlen sind stark rückläufig; Einzelausstellungen können mit den vorhandenen Mittel kaum mehr ausgerichtet werden. Eine Lösung soll eine gemeinnützige GmbH bringen, mit der man die Aufgaben selbstständiger angehen könne, ein Modell, mit dem man andernorts gute Erfahrungen gemacht hat.
In Bielefeld jedenfalls ist man froh, für die Kunsthalle eine Struktur gefunden zu haben, die die Trägerschaft zwischen der für die Grundfinanzierung zuständigen Stadt, der Sparkasse und einer Kulturstiftung aufteilte. Das Modell, so die stellvertretende Direktorin Jutta Hülsewig- Johnen der Kunsthalle, »macht uns flexibler und befreit uns von der kommunalen Kameralistik.« Die letzte umfangreiche Sanierung in 2003 allerdings hat die Stadt selbst finanziert. Gleiches gilt für die anstehende 4,2 Mio Euro teure Generalsanierung des Museum Abteiberg in Mönchengladbach, für die man das Haus ein Jahr schließt und die nächsten Ausstellungen im alten Schauspielhaus aufbaut. Hier liegt ein Positionspapier der Direktorin Susanne Titz vor, die aus einer Retrospektive der »Ideen- und Baugeschichte« das zukünftige Profil des Hauses schärfen will. Generell aber gilt: Ankaufsetats sind kaum noch vorhanden, man ist neben der Unterstützung durch Freundeskreise und Museumsvereine hierfür wie für Wechselausstellungen auf Leihgeber und Mäzene angewiesen.
Besonders aus dieser Perspektive erscheint der angedachte Verkauf des Krefelder Monet als fatal. Er missachtet das dortige Vermächtnis und dürfte auf das Engagement privater Leihgeber verheerend wirken. In Krefeld hat man offenbar lange und tief geschlafen und sich dabei mit dem Traum auf einen geförderten Neubau ordentlich verspekuliert. Zwar beansprucht man, mit dem Museum »in der ersten Liga spielen« zu können (Schneider), die Bedeutung des Monet-Gemäldes aber hat man merkwürdigerweise lange unterschätzt. Drei Jahre lang, bis Ende 2005, hing das Bild gar nicht aus, war entweder verliehen oder im Depot verschwunden. Dass es nicht zum Profil des Hauses passe, dieser Einwand erscheint geradezu grotesk. Sieht man es heute wieder, in der Nachbarschaft von Bildern der deutschen Impressionisten, so gewinnt man unschwer eine Ahnung von der Aufbruchstimmung jener ersten Krefelder Museumsjahre. Sie wird durch den architektonischen Rahmen – das auf Initiative Krefelder Bürger entstandene Haus wurde 1897 eröffnet – in heute seltener Weise unterstrichen. Das Bild erscheint geradezu als Verkörperung der weltoffenen und modernen Sammlungs- und Ausstellungspolitik, durch die das Haus seinen Rang begründete und die in jenen chauvinistischen Zeiten alles andere als selbstverständlich war. Eine zweite Ausstellung französischer Impressionisten im Jahr 1907 veranlasste die Stadtväter seinerzeit sogar, den Museumsdirektor aufzufordern, in diesem Kaiser Wilhelm gewidmeten Haus »fortan auf Ausstellungen fremdländischer und moderner Bilder zu verzichten«. Vielleicht sollten die Krefelder einmal einen Blick auf die Geschichte ihres Museums werfen, um sich klar zu machen, wie und wodurch es einst Rang und Profil gewann. Hoffentlich sind sie nicht drauf und dran, beides zu verspielen.