13 Künstler*innen, zwölf Gartenbesitzer*innen, acht Imker*innen, ein Kurator sorgten im Sommer für eine ungewöhnliche Open-Air-Schau in Köln – mit zwölf Kunstwerken in privaten Gärten. Das Besondere: Die Künstler*innen sollten Skulpturen schaffen, die ein Bienenvolk beheimaten. Zwischen Wildwiesen, Dickicht, Bäumen, Swimming-Pool oder akkurat gepflegtem Rasen traf man auf unterschiedlichste künstlerische Einfälle: Björn Schülke errichtete eine science-fiction-artige Bienen-Forschungsstation aus Aluminiumbeinen, Holzkästen, Solarzellen, Antennen, Mikrofonen, Lautsprechern und Kabeln. Bastian Hoffmann verwandelte die pinke Food-Box eines Essenslieferanten in einen Bienenstock und stellte sie auf eine Parkbank. Katharina Maderthaner bot Bienen in einer Keramik-Vase ein Zuhause – dekoriert mit Pflanzen-, Blumen-, Bienen- und Honigmotiven.
»KunstHonig – Von Beuten, Skulpturen und Vorstadtgärten« nannte sich die Freiluft-Ausstellung im Kölner Süden. Hinter der Idee steckt Jochen Heufelder. Er leitet die Fuhrwerkswaage in Sürth, den ältesten Kunstraum der freien Szene in Köln. »Wir haben eine Brücke zwischen Kunst und Ökologie geschlagen. Die Imker haben das Ganze komplett professionell betreut«, sagt der 70-jährige Kurator. An drei Sommerwochenenden führte er Besuchergruppen durch den Kunst-Parcours im privaten Grün. Die Resonanz: hoch. Die Führungen waren rasch ausgebucht. Heufelder hat Kunst direkt in die Nachbarschaft gebracht. Typisch für die Fuhrwerkswaage. Ihre Kunstprojekte waren schon immer experimentell statt konventionell. Etwa die Biennale »Köln-Quartett«, für die Heufelder das Gebäude in vier Kojen aufteilte, in denen sich Künstler präsentieren konnten. Daraus entwickelte sich die »New Talents-Biennale Cologne«: Fünf Ausgaben mit insgesamt 250 bildenden Künstlern, Choreografen, Filmemachern und Komponisten.
Gefördert hat Heufelder Künstler*innen schon immer. Allein die Halle ist schon attraktiv: Außen Backstein, innen weiß, Gitterfenster, 110 Quadratmeter, knapp sechseinhalb Meter hoch. Doch es kann sein, dass dieses Jahr die 42-jährige Geschichte des Kunstraums am Sürther Bahnhof endet. Sollte es so weit kommen, wäre das doppelt tragisch. Köln würde eine wichtige Kulturstätte verlieren. Sürth, ein beliebtes Zuzugsgebiet, hätte keinen kulturellen Fixpunkt mehr. Doch die Stadt selbst müsste sich vorwerfen lassen, das Aus der Fuhrwerkswaage eingeleitet zu haben.
Bis 2016 gehörte das Areal der Häfen- und Güterverkehr Köln AG (HGK), einer Tochter der Kölner Stadtwerke. Heufelder und Gerhart Baum, einstiger Bundesinnenminister und erster Vorsitzender des Fördervereins der Fuhrwerkswaage, haben bereits 2013 mit dem damaligen Vorstand der HGK vereinbart, im Falle von Verkaufsabsichten informiert zu werden, um vorab ein Gebot abgeben zu können. Aber: »Daran hat er sich nicht gehalten – und verkauft«, sagt Heufelder. Die Omnium Development GmbH erwarb das Grundstück. Gespräche über den Fortbestand der Fuhrwerkswaage verliefen im Sand. Dann kam die Politik ins Spiel: Die Kölner Ratsvertreter von CDU, SPD, FDP, Grüne, Linke und der Wählergruppe GUT beauftragten die Kulturverwaltung, alles zu tun, um den Kunstraum zu erhalten. Auch die Rodenkirchener Bezirksvertretung setzte sich für einen Verbleib der Fuhrwerkswaage am angestammten Ort ein.
Seit Ende 2019 besteht wieder Hoffnung, nachdem die Kölner Immobilien- und Projektentwicklungsfirma WvM in das Bauprojekt eingestiegen war. Das Kölner Kulturamt, das die Kunststätte mit einem jährlichen Betriebskostenzuschuss von 15.000 Euro fördert, holte beide Parteien an einen Tisch. Die Treffen liefen konstruktiv. WvM plant zwei Neubauten mit Wohnraum, Gewerbeflächen und Tiefgarage und will das Backsteingebäude eingliedern. »Unsere ‚kristallinen‘ Baukörper reagieren auf die Fuhrwerkswaage und versuchen sie wie einen kleinen Bruder miteinzubeziehen. Daher rührt auch die Materialität der Gebäude in rotem Klinker«, sagt PR-Referentin Juliane Hein. Doch die Bedingung für den Erhalt der Kunststätte bereitet Jochen Heufelder »Kopfzerbrechen«: Bis zum 31. Dezember dieses Jahres muss die Fuhrwerkswaage das Gebäude an der Bergstraße 79 kaufen. Der Preis: 500 000 Euro.
Hätte WvM das ehemalige Umspannwerk nicht an die Kunstraum-Betreiber vermieten können? »Wir sind als Projektentwickler darauf spezialisiert, Wohnraum zu realisieren und zu verkaufen. Wir versichern jedoch, dass uns am Erhalt der Fuhrwerkswaage gelegen ist, sonst wären wir auch nicht bereit gewesen, die Mehrkosten, die uns daraus im Bauablauf entstehen, zu tragen«, erklärt Juliane Hein. Wie aber will die Fuhrwerkswaage eine halbe Million Euro zusammenkriegen? »Momentan erörtern wir mit Fachleuten, ob wir die Halle in eine Stiftung oder gemeinnützige GmbH überführen und mit dem Förderverein verzahnen«, so Heufelder. Zudem wolle man Spender und Investoren gewinnen. Für eine Auktion wollen viele Künstler*innen ihre Werke stiften. Ebenso sei es denkbar, lebenslange Patenschaften für einzelne Ziegelsteine des Gebäudes zu vergeben.
Kulturorte finden – in Katastern
Aber was passiert, wenn die Rettung der Fuhrwerkswaage scheitert? WvM würde dann einen anderen Käufer suchen, einen Abriss plane man nicht. Die Stadt Köln hat bereits Lehren aus dem »Fall Fuhrwerkswaage« gezogen. »Die Stadtverwaltung will bindende Verwaltungsinstrumente installieren, um Kulturorte zu schützen und Freiräume für die Entstehung und Planung neuer Orte zur Verfügung zu stellen«, sagt Kulturdezernentin Susanne Laugwitz-Aulbach. Dafür entwickelt die Verwaltung gerade ein Handlungskonzept mit dem Titel »Integrierung von Kreativräumen und kulturellen Raumbedarfen in die Stadtplanung«. In sogenannten Kulturkatastern sollen Kulturorte identifiziert werden, um sie dann bei Bebauungsplänen zu berücksichtigen. Für die Fuhrwerkswaage wäre das ein schwacher Trost, für andere Kulturstätten aber ein gutes Signal.
Rund 13 Kilometer entfernt, auf der rechten Rheinseite in Mülheim, bangt eine andere freie Kulturstätte um seine Existenz: das »Deutzer Zentralwerk der schönen Künste«. Es befindet sich in einem rund 250 Meter langen Backsteinbau, wo einst die Verwaltung der Klöckner-Humboldt-Deutz AG residierte – die erste Gasmotorenfabrik der Welt, Kölns größtes Industriedenkmal. Dahinter liegen weitere verwaiste Fabrikhallen. Das Gelände zählt zum sogenannten Otto-und-Langen-Quartier, wo ein modernes, urbanes Viertel entstehen soll. Die Initiative Raum 13 hat den Kunstraum vor neun Jahren gegründet. Dahinter verbergen sich Anja Kolacek und Marc Leßle. Beide arbeiteten viele Jahre an städtischen Bühnen, auch in Köln. Kolacek als Tänzerin, Choreografin und Regisseurin, Leßle als Bühnenbildner und Lichtgestalter. Dann kehrten sie dem Stadttheater den Rücken. Die »Bürgerhäuser des 19. Jahrhunderts« seien nicht mehr zeitgemäß, sie stünden wie »Monolithen« in den Stadtzentren.
Kolacek und Leßle verfolgen eine andere Vision: Sie wollen gemeinsam mit Expert*innen ein Theater-Quartier errichten, in dem sich historische und moderne Architektur, Wohnen, Arbeiten, Kunst und Wissenschaft vermischen. Doch diese Vision könnte platzen, weil auch hier die Stadt Köln unglücklich agierte. Sie hat es versäumt, die Grundstücke im Otto-und-Langen-Quartier einst günstig zu erwerben. Das Gelände umfasst sechs Hektar, fünf gehören NRW.Urban, der Entwicklungsgesellschaft des Landes. Ein Hektar besitzt ein Privateigentümer, der das Areal ursprünglich selbst entwickeln wollte, nun plant er nach zwölf Jahren den Verkauf, er wäre steuerfrei.
Es ist das Grundstück, auf dem das »Deutzer Zentralwerk der schönen Künste« liegt. Der Privatinvestor hat Raum 13 bereits gekündigt, der blieb aber, es folgte eine Räumungsklage. Doch die Stadt Köln hat im Rat ein Vorkaufsrecht für das Otto-und-Langen-Quartier beschlossen. Das heißt: »Die Stadt ist Trägerin der Planungshoheit, hat städtebauliche Instrumente in der Hand, die ihr einen maßgeblichen Einfluss zur Durchsetzung der stadtentwicklungspolitischen Ziele verschaffen«, sagt Kulturdezernentin Susanne Laugwitz-Aulbach. Raum 13 soll bleiben und die Weiterentwicklung des Quartiers weiter vorantreiben. Die Stadtentwicklungsgesellschaft der Stadtwerke Köln, »Moderne Stadt«, führt Kaufverhandlungen mit dem Privatinvestor. Ziel ist es, die gesamten sechs Hektar in städtischen Besitz zu überführen.
Ob der Privateigentümer sich umstimmen lässt? Äußern möchte er sich dazu nicht. Kolacek und Leßle haben im Sommer eine vierwöchige »ZukunftsWerkStadt« veranstaltet, um die Öffentlichkeit nochmal auf die unsichere Zukunft des Kunstraums aufmerksam zu machen. Unter dem Titel »Hope: Die Kunst der Transformation« fanden Expert*innen aus Kunst, Wissenschaft, Stadtentwicklung, Politik, Verwaltung und Bürgerschaft zusammen. Über Konzerte, Performances, Talks, Führungen oder Workshops verhandelten sie die Chancen für ein europaweites Modellquartier in Mülheim. Bleibt zu hoffen, dass die Stadt Köln die Planungshoheit über den einst vernachlässigten Grund und Boden zurückgewinnen kann.