Erst kürzlich hat man die hübsche Brünette im Frieder-Burda-Museum in Baden-Baden mit dem Publikum plaudern sehen. Auch in Stuttgart, auf der ersten Station der »Shift«-Schau, war eine von Louisa Clements »Repräsentantinnen« zu Gast. Doch im Marta sucht man vergebens nach der publikumswirksamen Sexpuppe mit KI-Hirn. Sie hat schlapp gemacht, musste zurück zur Inspektion ins Bonner Künstlerinnen-Atelier. Der Roboter-Burnout wundert kaum. KI ist das Thema der Stunde. Auch in Museen und Ausstellungen landauf und landab soll es angegangen und aufbereitet werden. Wobei sich gerade die gesprächigen Puppen von Louisa Clement als fähige und gefragte Gehilfinnen erweisen.
Im Marta ist die gestresste »Repräsentantin« nun nur in Fotos zugegen. Da zeigt sie ihre gruselig verbogenen Finger vor. Und stellt die eigene emotionale Unzulänglichkeit unter Beweis, wenn sie als Automaten-Mutter mit einem echten Säugling auf dem Arm posiert. Was kann die KI, was nicht? Wo liegen Chancen und Gefahren dieser jüngsten Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts? Fragen, die sich allenthalben aufdrängen und nun auch in der Schau laut werden, die im Marta Werke von neun internationalen Künstler*innen oder Kollektiven vereint. Welche ethischen Risiken birgt der technische Fortschritt? Ist er Verhängnis, oder könnte er auch Rettung sein?
Recht anschaulich werden die gemischten Gefühle im Video von Kennedy + Swan, wenn im menschlichen Körper ein Xenobot seine Bahnen zieht – ein biologischer Mikroroboter, der sich als wandernder Knubbel unter der Haut abzeichnet. Diese gruselige Vorstellung liegt gar nicht so fern. Denn das Werk des Künstler*innen-Duos reflektiert ganz aktuelle technologische Entwicklungen und entstand in engem Austausch mit US-Forschern, denen es unlängst gelungen ist, Stammzellen des afrikanischen Krallenfrosches mit Künstlicher Intelligenz zu programmieren. Ihre Hoffnung: Die hybriden Wesen könnten dereinst im Körper als Kämpfer gegen Krebszellen aktiv werden oder das Mikroplastik aus den Weltmeeren fischen. Ideen, die einem den vermeintlich bedrohlichen Fremdling unter der Haut plötzlich sympathisch machen.
KI als Kumpel. Diese positive Sicht soll nicht zu kurz kommen in Herford. Das klingt schon im Titel an: »Shift« heißt die Schau, weil sie vom »Wechsel« handelt. Wohin er führen mag, deutet der doch eher hoffnungsfroh klingende Untertitel an »KI und eine neue Gemeinschaft«. Eine Gemeinschaft von Menschen und hilfsbereiten Xenobots vielleicht? Kennedy + Swan versuchen die ironische Annäherung – im Interview mit dem Krallenfrosch etwa oder einem knuffigen kleinen Bio-Roboter auf dem Handy-Display.
Bei der Auswahl der neun Positionen haben die Kuratorinnen vom Marta in Herford und vom Kunstmuseum Stuttgart, wo die Ausstellung bis in den Mai lief, auf möglichst vielfältige Herangehensweisen Wert gelegt. Das Spektrum reicht von Algorithmen, die bei Amazon die Arbeitsprozesse von Menschen überwachen, bis zur speziellen Intelligenz von Schleimpilzen, die der KI-Forschung neue Wege aufzeigen könnte. Außerdem erwartet einen Marlene Dietrich in 3D zu neuem Leben erwacht, man kann beobachten, wie digitaler Abfall von Kryptowährungen recycelt wird und wie Daten zur Polizei-Gewalt in den ekstatischen Tanz einer Horde von Uniformierten einfließen.
Für die meisten Arbeiten im Marta gilt dabei: Verständlich werden sie erst, wenn man die komplexen Hintergründe kennt. Vor dem sinnlichen Kunst-Erlebnis kommt der wissenschaftliche, technologische Background. Das gestaltet die Sache mitunter etwas mühsam, wäre aber wohl kaum anders machbar. Denn es geht hier nicht in erster Linie um Werke, die Künstliche Intelligenz als Werkzeug nutzen. Auch wenn viele dies tun, will die Ausstellung das Thema als solches insgesamt reflektieren und die Auseinandersetzung auf diversen Ebenen anfachen.
Zum Beispiel mit Blick auf eine gespenstische Porträtgalerie der US-Künstlerin Heather Dewey-Hagborg. Zig unterschiedliche Gesichter, die an dünnen Fäden von der Decke hängen und allesamt per Algorithmus aus der DNA eines Haares erschlossen wurden. Und Fragen aufwerfen: Was sagt das genetische Material über das Aussehen einer Person? Können Maschinen vielleicht bald schon Identitäten entschlüsseln? Ein Szenario, das weit hinausgeht über die bisher schon alltägliche Auswertung von persönlichen Daten, die durch KI immer einfacher und differenzierter wird.
Kunst und Wissenschaft in Gemeinschaft
In solchen Arbeiten rücken Kunst und Wissenschaft nah zueinander. Auch dies könnte eine »neue Gemeinschaft« sein, die aktuell immer wichtiger zu werden scheint. Offenbar gehen dabei beide Seiten aufeinander zu: Künstler*innen, die KI nutzen und kritisch kommentieren wollen, suchen Anschluss, weil sie sich auskennen müssen mit der komplexen Materie. Und die Wissenschaft tritt in Kontakt mit der Kunst, weil sie sich von ihr wohl neue Blickwinkel erhofft. Erhellende Einsichten, durch die abstrakte Forschungsergebnisse greifbarer und womöglich in ihrer Wirkung weitergedacht werden.
Ein Denken und Forschen über Fachgrenzen hinweg schreibt sich etwa das Dresdner Schaufler Lab auf die Fahnen, wo Wissenschaftler*innen und Künstler*innen gemeinsam aktuelle Technologien, deren Ursprünge und Auswirkungen bespiegeln. Wie das aussehen kann, zeigt in Herford Christian Kosmas Mayer, der als Artist in Residence am Schaufler Lab den Vokaltrakt einer 2000 Jahre alten ägyptischen Mumie erforscht und rekonstruiert hat. Im Marta macht er die synthetisierte Stimme mit einer Batterie von Boxen hörbar und lässt damit das große Thema der Unsterblichkeit anklingen.
Die alten Ägypter suchten sie durch die Konservierung der Körper. Eine andere Form des Weiterlebens brachten neue Medien wie Foto, Film und Tonaufzeichnungen, indem sie Tote für die Augen und Ohren der Nachwelt ein kleines Stück weit lebendig hielten. Mit der KI aber eröffnen sich ganz neue Möglichkeiten. Durch trainierte Roboter, die, mit diversen persönlichen Daten gefüttert, Stimme, Sprache, Mimik, Gestik, ja bis zu einem gewissen Grad sogar die Denkweise einer verstorbenen Person rekonstruieren und sich so gerüstet einem menschlichen Gegenüber als Gesprächspartner anbieten könnten. Wollen wir so etwas zulassen? Und wie würde es unser Verhältnis zum Tod verändern?
Die Möglichkeiten scheinen fast unendlich. Doch hat KI auch ziemlich absehbare Grenzen, die Louisa Clement schlicht und ergreifend im wandfüllenden Video vor Augen führt. Auf weißem Grund sieht man da zwei kahle Roboterköpfe müde herumkullern. Und hört ihre blecherne Computerstimme, wie sie immerfort kundtut, dass kein Kontakt zum Computer aufgebaut werden könne. Clement kennt den Grund: Ein chinesischer Hackerangriff ist schuld an der absoluten Hilflosigkeit.
»Shift. KI und eine zukünftige Gemeinschaft«
Marta, Herford
Bis 15. Oktober