Von Kleve aus sind es nur ein paar Kilometer bis zur niederländischen Provinz Gelderland. Kein Wunder, dass niederländische Besucher*innen für das Museum Kurhaus Kleve eine wichtige Rolle spielen. Auch sonst verbindet das Städtische Museum mit dem Nachbarland viel.
Sie gehört zu den Publikumslieblingen in der Sammlung des Museum Kurhaus Kleve: Die Renaissance-Skulptur »Handtuchhalter mit Liebespaar«, entstanden um 1535, zeigt eine verheiratete Frau, buchstäblich unter der Haube, die sich auf eine hautnahe Begegnung mit einem Narren eingelassen hat. Fest umgreifen ihre Hände eine Holzstange, die zum Aufhängen eines Handtuches dient. Doch viel stärker wird die Aufmerksamkeit des Betrachters von der innigen Umarmung des Paares in Anspruch genommen. Vermutlich wollte Arnt van Tricht, der Schöpfer der Plastik, auf diese Weise eine moralische Botschaft vermitteln: Anders als die hier dargestellte liebeslustige Lotterbraut widersteht eine tugendhafte Hausfrau den närrischen Verlockungen des Seitensprungs.
Wegen des ungewöhnlichen Motivs und der hohen künstlerischen Qualität ist die farbig gefasste Eichenholzskulptur ein begehrtes Exponat bei Sonderausstellungen anderer Museen, die eine Leihanfrage in Kleve stellen. Demnächst reist das Stück in den Pariser Louvre – hier wird es von Oktober an in der Ausstellung »Närrische Figuren. Zwischen Mittelalter und Renaissance« präsentiert. Arnt van Tricht, gestorben um 1570 (seine Lebensdaten sind nicht überliefert), ist jedenfalls ein idealer Botschafter für das Museum Kurhaus Kleve, das an der niederländischen Grenze liegt. Geboren in Utrecht, später in Antwerpen tätig, zog es den Bildschnitzer nach Kalkar am Niederrhein, wo er bis in die späten 1550er Jahre eine florierenden Werkstatt betrieb.
Das Städtische Museum, seit 1997 ansässig im früheren Kurhaus des Ortes, der im 19. Jahrhundert als »Bad Cleve« mondäne Gäste aus dem In- und Ausland anlockte, besitzt gleich mehrere Werke des Bildhauers. Und das aus gutem Grund, wie Direktor Harald Kunde erläutert: »Unsere Sammlung verfügt über eine große Nähe zum niederländischen Kulturraum. Das beginnt bei den spätgotischen Skulpturen und Tafelmalereien, setzt sich fort im Barock durch die Prägung Kleves durch den Statthalter Johann Moritz von Nassau-Siegen aus dem Fürstengeschlecht der Oranier mit Stammsitz im Mauritshuis Den Haag, erfährt einen weiteren Höhepunkt im 19. Jahrhundert durch das Wirken des niederländischen Landschaftsmalers Barend Cornelis Koekkoek und findet seine Einlösung in der Gegenwart etwa in Arbeiten von Jan Andriesse und Marlene Dumas.« Stichwort Gegenwart: Am 14. Juli eröffnet das Museum eine Soloschau von Magali Reus – Ausgangspunkt ist eine Serie von Pilzen, die sie während der Corona-Krise schuf. Die niederländische Objektkünstlerin betrachtet die »Knaves« als Sinnbild für Vernetzung und den ökologischen Kreislauf.
Auch der niederländische Manierist Hendrick Goltzius, gerühmt als virtuoser Kupferstecher, ist in der Sammlung des Museums gut vertreten. Gleiches gilt für Govaert Flinck, einen der renommiertesten Rembrandt-Schüler, im 17. Jahrhundert vor allem gefragt als Porträtist. Koekkoek (1803-1862) allerdings ist für die Museumsgeschichte von besonderer Bedeutung. Im 19. Jahrhundert waren die stimmungsvollen Landschaften des in Kleve ansässig gewordenen Niederländers Stammgast in den Ausstellungssalons in Amsterdam, Brüssel und Paris. Koekkoek verkaufte so gut, dass er sich in Kleve ein Palais im Stil der italienischen Renaissance leisten konnte. Dieses Gebäude diente 1960 als erstes Domizil des städtischen Museums. Inzwischen widmet sich das B.C. Koekkoek-Haus dem Leben und Werk seines einstigen Bewohners, der die Schule der »Klever Romantiker« begründete – vor allem niederländische Maler gehörten ihr an. Derzeit allerdings ist das Künstlermuseum bis auf weiteres wegen Umbauarbeiten geschlossen.
Zurück zum Museum Kurhaus Kleve. Trotz der Nähe zu den Niederlanden sind zwei deutsche Künstler die unumstrittenen Lichtgestalten: Ewald Mataré und Joseph Beuys. Dass der Meister der stilisierten Tierskulptur und der Pionier des erweiterten Kunstbegriffs das Museum in Kleve derart prägen, daran wiederum hat ein Niederländer entscheidenden Anteil: Guido de Werd, Direktor von 1973 bis 2010, stellte die Weichen für die Erweiterung zur Ewald-Mataré-Sammlung, indem er Sonja Mataré (1927-2020), die Tochter des Bildhauers, von den Vorzügen Kleves überzeugte. 1988 entschloss sich die Goldschmiedin, einen Teil des Nachlasses ihres Vaters in die Obhut des Städtischen Museums zu geben.
Später machte sie Guido de Werd in ihrem Testament zum Alleinerben. Der reichte im Jahr 2020 rund 1200 Arbeiten Matarés, Werke aus allen Schaffensphasen, als Schenkung an das Klever Museum weiter. Damit avancierte die Stadt endgültig zum Mataré-Mittelpunkt – obwohl der Bildhauer und Grafiker an der Düsseldorfer Akademie gelehrt und in Büderich (heute ein Teil von Meerbusch) gelebt hat. Wie sein Leben verlief, wie vielseitig sein Œuvre ist, das will das Museum Kurhaus Kleve von Ende Oktober an mit der bislang umfangreichsten Mataré-Retrospektive, betitelt »Kosmos«, vor Augen führen (27. Oktober bis 9. März 2025).
Erinnerung an Beuys
Was Joseph Beuys angeht, so wurde er zwar in Krefeld geboren (im Mai 1921), doch zogen die Eltern bereits wenige Monate später nach Kleve. Hier wuchs er auf, hier ging er ins Gymnasium, und hier bezog der junge Künstler 1957 auch sein erstes Atelier. Im damals leerstehenden Friedrich-Wilhelm-Bad schuf er unter anderem das »Büdericher Ehrenmal«, bestehend aus einem zweiflügeligen Eichenholztor und einem Kreuz, gleichfalls aus Holz, beides 1959 im alten Kirchturm in Büderich eingeweiht. Weil der Künstler 1961 eine Professor an der Kunstakademie Düsseldorf erhielt, nutzte er das Atelier in Kleve immer seltener – 1964 gab er es ganz auf. Guido de Werd ist es zu verdanken, dass das Friedrich-Wilhelm-Bad seit 2012 als eine Art Ateliermuseum an den wohl bekanntesten Sohn der Stadt erinnert. Gemeinsam mit dem ehemaligen Kurhotel und einem langgestreckten Verbindungstrakt bildet es ein Konglomerat, das nach Entwürfen des niederländischen Typografen Walter Nikkels zu einem homogenen Bauten-Ensemble umgestaltet wurde.
Mataré und Beuys dürften auch die beiden zentralen Zugpferde für die niederländischen Kunstfreund*innen sein, die dem Museum einen Besuch abstatten. Mehr als 60 Prozent aller Gäste waren es im März, wie die Statistik verrät. »Bei all unseren Aktivitäten achten wir stark auf diese überaus interessierte und welterfahrene Zielgruppe«, sagt Harald Kunde. Mit Führungen in niederländischer Sprache, Veranstaltungen wie dem Niederländischen Literaturherbst (den das Museum mit dem WDR organisiert) oder Konzerten reagiert das Haus auf dieses rege Interesse der Nachbarn.
Valentina Vlašić, seit mehr als zwei Jahrzehnten als Kuratorin im Museum Kurhaus Kleve tätig, schwärmt vom »tiefen Verhältnis der Niederländer*innen zu ihrer Kunst«. Das habe sich im Goldenen Jahrhundert herauskristallisiert und sei bis heute spürbar.
»Ging man auf deutscher Seite sonntags in die Kirche, besuchten die Niederländer*innen ihre Kunstmuseen – dieses Verhältnis spürt man bis heute, wenn zum Beispiel Schulklassen das Museum besuchen.«
Kuratorin Valentina Vlašić
Die Kunsthistorikerin, deren Biografie europäischer kaum sein könnte (ihr Vater stammt aus Herzegovina, ihre Mutter aus Serbien, geboren ist sie in Österreich), liebt die Nähe zu den Niederlanden. »Ich schätze beides: die Verbindlichkeit und Effizienz der Deutschen, die Kreativität und das hohe Stilempfinden der Niederländer.«
Das kunsthistorische Team, dem neben dem Direktor Harald Kunde und Valentina Vlašić noch Susanne Figner als stellvertretende Leiterin angehört, muss sich ordentlich ins Zeug legen, um sich gegen Kunstmuseen jenseits der Grenze zu behaupten. Harald Kunde nennt als wichtige Player der Region das Het Valkhof Museum in Nimwegen, das Museum Arnheim und das Kröller Müller Museum Otterloo, zu dessen Beständen unter anderem die mit Kleve eng verknüpfte Installation »Strassenbahnhaltestelle« von Joseph Beuys gehört. Konkurrenz belebt bekanntlich das Geschäft – mitunter erweisen sich aber auch grenzüberschreitende Kooperationen als hilfreich. Als Beispiel führt Kunde das Museum in Zwolle an, das vor Jahren eine Werkübersicht des Leipziger Malers Neo Rauch vorbereitete: »Der dortige damalige Direktor hatte in Erfahrung gebracht, dass ich den Künstler und die Beweggründe seiner Arbeit sehr gut kenne, und so besuchte er mich kurzerhand zu einem mehrstündigen Gespräch, in dessen Verlauf wir beide mit neuen Ansichten über die jeweiligen Kunstverhältnisse in Ost und West belohnt wurden.«
An den Niederlanden schätzt Harald Kunde »die über Jahrhunderte reichende kulturelle Dichte der Institutionen und Sammlungen, die immer – nicht zuletzt im Zuge kolonialer Expansion – global ausgerichtet waren«. Bei seinen Abstechern geht es oft, aber nicht ausschließlich um bildende Kunst: »Mindestens zweimal im Jahr muss ich von Kleve aus hin und zurück im unvergleichlichen Concertgebouw Amsterdam sein, um mich ganz der Musik zu öffnen.«