Der Turm der Sparrenburg? Eine reine Erfindung. Für eine Fake-Stadt, in die eben auch ein Fake-Wahrzeichen gehört. Das Kennzeichen BI? Einfach nur ausgedacht. Um mit ihm vermeintliche Bielefelder in ihren Autos auf den Weg zu bringen. Anfang der 90er Jahre wurde »Bielefake« Wirklichkeit: Der damalige Informatikstudent Achim Held schickte das Gerücht, die Stadt gebe es eigentlich gar nicht, in die (damals noch junge) Netzgemeinde. Aus dem einstigen Studentenwitz wurde ein PR-Gag, der 25 Jahre später nicht nur kürzlich für eine kuriose Millionenwette des Stadtmarketings sorgt, sondern nun auch für ein passendes Entree in Dalheim-Lichtenau: Im Klostergarten begrüßt ein Bielefelder Ortseingangsschild die Besucher auf ihrem Weg ins LWL-Museum. Zu einem erwartungsgemäß sehr textlastigen, aber auch eindrücklichen Ausstellungsparcours über »Verschwörungstheorien früher und heute«.
Um Fake-News und Gerüchte geht es hier, um falsche Beschuldigungen und echte Opfer, um krude, witzige und erschütternde Annahmen und ihre Anhänger. Die Ausstellung startet im Mittelalter, mit einer Anklageschrift, nach der der französische König Philipp IV. dem mächtigen Templerorden von 1307 bis 1314 den Prozess machte. Von satanistischen Ritualen bis Sodomie reichten die Vorwürfe, die sich auf Aussagen fragwürdiger Zeugen stützten. Sicher war nur, dass Philipp von der Zerschlagung des Ordens, dessen Güter beschlagnahmt wurden, profitierte – denn der König selbst war bei den Templern hoch verschuldet.
Dass wir hier in einem Landesmuseum für Klosterkultur sind, ist natürlich kein Zufall: Vor allem im Mittelalter waren Verschwörungstheorien religiös begründet. Im Jahr 1603 wurde sogar vier Dalheimer Mönchen der Prozess gemacht. Der Vorwurf: sie wären zu einem Hexensabbat gereist. Auf einem Besen, natürlich. Hinter den Beschuldigungen steckte Dietrich von Fürstenberg, der dem Kloster Land abnehmen wollte. Am Ende einigte man sich auf eine jährliche Getreideabgabe an den Paderborner Fürstbischof – die Mönche wurden aus ihrer Haft entlassen.
Ein Folterhemd als Ausstellungsstück
So glimpflich wie die Dalheimer Chorherren kamen viele freilich nicht davon. Vor den rußgeschwärzten Wänden einiger zuletzt als Räucherkammer genutzten Klosterräume wird etwa das Folterhemd der Anna Kramerin (1619-1680) gezeigt, das sie während ihrer Verurteilung als Hexe getragen haben soll – rund 50.000 Menschen fielen im 16. und 17. Jahrhundert der Hexenverfolgung durch die Kirche zum Opfer. Ein Holzschnitt zeigt zudem die Marter eines Dreijährigen in Trient – stellvertretend für die Verschwörungstheorien gegen Juden im Mittelalter, die angeblich Christenkinder töteten, Brunnen vergifteten und Epidemien über das Land schickten.
Mit rund 250 Exponaten macht die Ausstellung deutlich, dass Verschwörungstheorien immer dann florieren, wenn die Zeiten unsicher werden, und Feindbilder schüren, die lange, im Zweifel bis heute, aktuell sind: »Holocaust-Leugnerin in Vlotho verhaftet« titelte die Lippische Landes-Zeitung am 8. Mai 2018, auch dieser Artikel ist ausgestellt. Nur 20 Kilometer von Dalheim entfernt liegt die Wewelsburg, die Heinrich Himmler während der NS-Zeit in ein »Reichshaus der SS-Gruppenführer« umbaute, und die bis heute Schauplatz für rechtsesoterische Verschwörungstheorien ist. Oder wäre das Wort »Verschwörungsideologien« richtig? So unwissenschaftlich und unlogisch, wie viele Behauptungen wirken. Etwa, dass die Barcodes auf Waren negative Energien abgeben, die Menschen krank machen. Oder dass die US-Regierung, aber auch die UNO und NATO »Chemtrails« einsetzen, deren Kondensstreifen am Himmel man hinter Flugzeugen entdecken kann und die helfen sollen, der Erderwärmung entgegenzuwirken – und die Menschheit langsam vergiften.
2016 waren in der Endphase des US-Wahlkampfs die 20 erfolgreichsten Falschmeldungen in den sozialen Netzwerken öfter geteilt, gelikt und kommentiert worden als die 20 erfolgreichsten Berichte seriöser Medien. Was passiert mit einer Gesellschaft, die Fakten nicht mehr akzeptiert oder für sich umdeutet? Was, wenn die Wahrheit zwischen »alternativen« und echten Tatsachen verloren geht? Auch diesen Fragen geht die Ausstellung nach, in dem sie Behauptungen, Gerüchten und Falschmeldungen Fakten, gesicherte Quellen und entsprechende Exponate gegenüberstellt. Waren die Terroranschläge vom 11. September 2001 nur inszeniert worden, vom israelischen Geheimdienst oder der US-Regierung selbst, um Feindbilder zu schüren? Geradezu lakonisch wirkt da einer der verkohlten Aufzugmotoren, die man im zerstörten World Trade Center geborgen und nun nach Dalheim gebracht hat.
Fand die Mondlandung 1969 womöglich gar nicht wirklich, sondern in einem Filmstudio statt? Auch er könne nicht belegen, dass die Amerikaner die ersten auf dem Mond gewesen sein, soll der italienische Schriftsteller und Philosoph Umberto Eco auf diese Frage geantwortet haben. Aber dass die Russen nicht versucht hätten, das Gegenteil zu behaupten, könne wiederum eine Art Beweis »ex negativo« für den Erfolg der US-Raumfahrt sein. Sicher ist, dass sich die Besucher in Dalheim davon selbst ein Bild machen können: Eine entsprechende Mondkulisse steht für Selfies bereit.
bis 22. März 2020