TEXT: ANDREAS WILINK
Im Geschichtsheft der 14-jährigen Schülerin des Internats Schloß Goldenstein steht in akkurater Schönschrift, ausgeführt in verschnörkelten Buchstaben »Kaiser Franz Joseph«. Das fast schon symbolisch zu nehmende Epigramm hat Romy Albach notiert: ein Jahr vor ihrem Filmdebüt in »Wenn der weiße Flieder wieder blüht« und zwei Jahre vor dem ersten der drei »Sissi«-Teile, die Romy Schneider als Kaiserin Elisabeth und Gattin des Franz Joseph von Habsburg zur Prinzessin der Herzen machen sollen. Dass der dynastische Name vom märchenhaften Mädchentraum zum Lebenstrauma werden würde, war noch nicht zu ahnen.
Das Schulheft ist eines der vielen Details in der Bundeskunsthalle Bonn, für die beim Rundgang durch die große Ausstellung über Romy Schneider (1938 bis 1982) Aufmerksamkeit aufzuwenden lohnt. Ihnen gelingt etwas, was all die Fotografien, Filmausschnitte, privaten Aufnahmen, die Kostüme, Trophäen, Drehbücher und Illustrierten-Cover längst nicht mehr können: das Bild von ihr zu erweitern. Denn ihr ging es wie der anderen nach Paris Emigrierten, Marlene Dietrich, der Romy eine goldene Halskette verehrte (das Juwel liegt in einer Vitrine wie auch der Diamant- und Saphirring von Visconti): Sie, die 60 Filme drehte, ist zu Tode fotografiert worden – bis hin zu der abscheulichen Hatz der Fotografen beim Begräbnis ihres von Zaunpfählen durchbohrten Sohnes David auf dem Friedhof von Saint-Germain-en-Laye, deren Belagerung auch die Leibwächter Alain Delons nicht ganz verhindern konnten.
Stationen ihres Lebens wurden zu nationalen Ereignissen, verteilt auf zwei Länder und zwei Kulturen diesseits und jenseits des Rheins, als würde mit ihr die Erbfeindschaft noch einmal virulent. Die Tochter (so betitelt auch das erste Kapitel der Schau) wird verstoßen aus dem Mutterland, das die dominante Matrone Magda verkörpert, und der Heimat der »Daddys«, als sie nicht mehr parierte und funktionierte. Es war wie ein Verrat an deutschen Werten und blieb unverziehen. Später dann folgt noch ein zweiter Sündenfall, als ihre Ehe mit Harry Meyen scheiterte, sie Berlin mit ihrem Sohn verließ, dessen Geburtsanzeige sie mit einem Davidstern schmückte, und sie sich im Juni 1971 im stern solidarisch zur Abtreibung bekannte.
Romys ersten »Aufbruch« (zweites Ausstellungs-Kapitel) in den frühen Sechzigern begleitet eine Bildserie von F.C. Gundlach mit Bildern kühl weiblichen Erwachsenseins – das fotografisch fixierte Reifezeugnis. In einem Brief an Fritz Kortner schreibt sie von ihrer Zukunft: »Und alles in einer neuen Linie – so wie ich es mir so sehr ersehne! Sinnvolles – Wertvolles – Künstlerisches – Reizvolles – Befriedigendes«.
Der Wunsch wird sich weniger in Hollywood und anderen internationalen Produktionen erfüllen, da bleibt auch sie nur europäischer Export-artikel, sondern in Frankreich während der siebziger Jahre in Filmen von Claude Sautet, bei Chabrol, in Zulawskis »Nachtblende« oder der sensationellen »Verhör«-Szene von Claude Miller. Mit Rollen von radikaler Einfachheit, schamfrei offen und sinnlich (niemand konnte wie sie eine Zigarette rauchen und zwischen ihren Lippen halten!), lässig, von spöttisch koketter Erotik und – in abrupten Wechsel – zu kalter Beherrschtheit oder dramatischer Selbstpreisgabe. »Comme d’habitude je fais les choses mal«, gesteht sie auf einem Blatt Papier dem Freund und Kollegen Jean-Claude Brialy. Sie hatte kein Talent zum Leben. Aber sie konnte alles auf der Leinwand. Alles.
In Frankreich, für sie zunächst durch Chanel-Look und Viscontis exquisite Kunst repräsentiert, wurde La Schneider zum Nationalheiligtum, mehr geliebt als Jeanne Moreau und die Deneuve. Die Wiederbegegnung zwischen ihr und dem Ex-Verlobten Alain Delon anlässlich des Films »La Piscine« (Bonn hat vor der Leinwand mit der berühmten Pool-Szene ein kleines Bassin wie eine Bigger-Splash-Installation gebaut) hatte 1967 Nachrichtenwert. Bei ihrem Tod trug Paris Trauer wie für Edith Piaf, die Signoret oder Truffaut.
Die Ausstellung arbeitet mit Kontrasten: der Sissi-Salon mit den Devotionalien, getüncht in Schönbrunn-Gelb, sowie eine Auslage mit Romy als Titelmädchen von Lore-Romanen und dagegen der für Viscontis »Ludwig«-Film von 1972 reservierte Kabinett-Katafalk: Romy noch einmal als Kaiserin, aber in bitterer Antithese zum Zuckerbäcker-Spätrokoko.
Die schönste Überraschung bietet der Saal mit zwei Porträtreihen in Schwarzweiß: rechts die Fotografien von Robert Lebeck mit der privaten, ausgelassenen, entspannten oder doch auch tief melancholischen Romy Schneider, die teils noch kurz vor ihrem Herztod entstanden sind. Links die Entdeckung der Aufnahmen von Franz Xaver Leberle des Jahres 1958, die in dem Twen in seiner zarten Durchlässigkeit, Innerlichkeit, Ver-lorenheit, hellen Umnachtung, aber auch souveränen Bestimmtheit den späteren Charakter der Romy Schneider zeigen. Es ist schon die Aura der Ausnahme-Schauspielkünstlerin.
Zu der von Daniela Sannwald und Angelica Francke kuratierten und eingerichteten Ausstellung erschien ein Fotobuch bei Walther König zum Preis von 11,90 Euro; bis 24. Juni 2012. www.bundeskunsthalle.de