Die schmale Straße ist gesäumt von alten Bäumen. Man fährt vorbei an gepflegten Rasenflächen, über die unermüdlich der Mähroboter kurvt, und steht schließlich vor dem ehemaligen Palast der Krupps, feierlich, prächtig, prunkvoll. Ein beeindruckendes Beispiel historistischer Architektur im Großformat. Zu ihrem 50. Geburtstag hat sich die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung einen Gast ins Haus geholt, der nicht recht passt in die Opulenz der Villa Hügel: Josef Albers, Handwerkersohn, 1888 geboren in Bottrop. Verdient hat er die Ehre ganz sicher. Ist Albers doch zu Weltruhm gekommen als Selfmademan, Künstler und Lehrer, dessen Wirkung außer Frage steht.
Ob er sich allerdings wohl gefühlt hätte unter verschnörkeltem Stuck und zwischen holzvertäfelten Wänden? Eher weniger. Auch seine Werke wirken etwas fremd hier. Es sind über hundert Gemälde, Fotografien, Möbel, Glasarbeiten, die in dieser ersten großen Albers-Retrospektive seit 30 Jahren zusammenkommen. Sie verfolgen den Weg eines Künstlers, dem jede Tradition suspekt schien. Ein Unding muss der überkommene Historismus für ihn gewesen sein, der vom Zitat vergangener Stilepochen lebt und in der Industriellen-Villa ein so spektakuläres Zuhause hat.
Offen für Neues
Albers lebte ganz in der Gegenwart, stets offen für Neues. Die sichere Stellung des Volksschullehrers gab er mit Anfang 30 zugunsten eines prekären Daseins als Kunststudent auf und wagte bald den Sprung an das eben gegründete Bauhaus Weimar. So munter macht er weiter, bis ins Rentenalter. Mit 62 Jahren machte er sich an seine quadratischen Farbexperimente und ließ nicht locker bis zum Tod mit 88. Eine Reihe seiner verschachtelten Vierecke in unterschiedlichsten Farbkonstellationen zeigen in Essen anschaulich, was ihn so lange in Atem hielt.
Doch zurück zu den Anfängen in Weimar. »Verglichen mit seinen Kollegen kam Albers aus dem Nichts und erfand sich selbst«, formulierte ein Kunsthistoriker. Die Schau stellt ein paar Albers-Möbel im unverkennbar schlichten Bauhaus-Look in die Villa. Der Künstler war in der legendären Schule für Gestaltung völlig abgekommen von der Malerei. Spannender allerdings als Sessel und Tische, die er entwarf, sind Albers’ Fotografien und eine Handvoll origineller Glasfenster, die – im Halbdunkel stimmungsvoll erleuchtet – Farbkraft entfalten. Weil der Student kein Material mehr kaufen konnte, suchte er sein Glück auf der Müllhalde. Mit Rucksack und Hammer zog Albers los, zerschlug Flaschen oder Scheiben, kombinierte und montierte sie mit seinem Blick für Farben und Formen auf Weißblech oder Drahtgitter.
Anneliese Fleischmann wird Anni Albers
Am Bauhaus kreuzen und verflechten sich die Lebenswege: Josef Albers lernt Anneliese Fleischmann kennen, junge Frau aus gutem Hause, die elf Jahre jünger ist als er und in der Textilklasse reüssiert. Die Hochzeit erfolgt im Mai 1925. In der Villa Hügel hängen fotografische Porträts von Umbo, die eine erstaunliche Ähnlichkeit des Ehepaares offenbaren. Auch was ihr Kunstverständnis betrifft, ticken sie in einem Rhythmus, überzeugt von einer Kunst, die als universelle Sprache unabhängig von Zeit und Ort ist.
Annis jüdische Wurzeln sind ein Grund mehr für das Paar, 1933 Deutschland zu verlassen und dem Ruf nach North Carolina ans legendäre Black Mountain College zu folgen. Des Englischen kaum mächtig, weiß Josef Albers doch schon seinen Lehrplan verbal auf den Punkt zu bringen: »I want to open eyes.« Schnell macht er sich einen Namen als herausragender Lehrmeister, später auch an der Yale University in New Haven bringt er mit seinen außerordentlichen pädagogischen Fähigkeiten eine Künstlergeneration auf den Weg. Rückblickend kann man sagen, dass Albers es kaum so weit gebracht hätte, wäre er in Deutschland geblieben. Denn in den USA passiert vieles, was seine kunsthistorische Bedeutung heute ausmacht.
Gelobtes Land der Abstraktion
Ganz wichtig, die Rückkehr zur Malerei. Nach 15 Jahren Abstinenz am Bauhaus greift Albers Mitte der 30er Jahre wieder nach Farbe und Pinsel oder Malmesser. Die Kunst-Karriere beginnt ein zweites Mal, eine entscheidende Rolle dabei spielt Mexiko – für Albers »das gelobte Land der Abstraktion«. 1935 waren er und seine Frau zum ersten Mal dorthin gereist, sie werden immer wieder kommen: »Ein Land für Kunst, wie es wohl nur einmal existiert.«
Tiefe Rot- und goldene Gelbtöne, vibrierendes Rosa, warmes Orange begegnen den satten Blauschattierungen des Himmels. Es sind das Licht und die leuchtenden Töne Mexikos, die Josef Albers mit Ende vierzig dahin bringen, der Farbe zu vertrauen und ihre Gesetzmäßigkeiten zu ergründen. 1947 gönnt er sich mit Anni ein Forschungsjahr im mexikanischen La Luz. Inspiriert von den alten Lehmziegelhäusern und vielleicht auch von präkolumbischen Masken, beginnt Albers seine Serie der »Adobes«. Die geometrische Struktur bleibt dieselbe, allein die Farben wechseln. »Was mich jetzt gerade interessiert, ist die Veränderung von Farbe durch Farbe«, schreibt er einem Freund. Über Jahrzehnte wird ihn die Wechselwirkung der Farben nicht mehr loslassen. Als Theoretiker im 1962 erschienenen Buch »Interaction of Color« und als Maler in der berühmten Serie »Homage to the Square«.
Alles andere als Fließbandarbeit
Oft wurde in diesen Bildern bloß eine Illustration seiner Lehren gesehen. Doch in Essen lässt sich leicht erahnen, dass mehr dahinter steckt als kühles Konzept. »Zwei Farben nebeneinander zu setzen, versetzt mich in starke Erregung«, hat er es beschrieben. Das Interessante dabei: Zwar produzierte Albers unermüdlich weit mehr als 2000 Bilder mit nahezu identischer Komposition, doch spricht alles gegen Fließbandarbeit. In samtigen Strichen trägt er die Ölfarbe, direkt aus der Tube, per Malmesser auf die festen Hartfaserplatten auf, Firnisse bringen Glanz ins Spiel, winzige Verwischungen zeigen, dass der Maler freihändig arbeitete. Dabei macht die Schau klar, dass die riesige Werkgruppe sehr wohl einem Wandel unterzogen ist, dass Materialien, Techniken und die Vorherrschaft bestimmter Farben in unterschiedlichen Phasen variieren.
1976, wenige Wochen vor seinem Tod, endet die Serie mit einer letzten »Huldigung« in starken, satten, lebhaften Blau- und Grüntönen. Das Ende eines Werks, aber nicht das Ende der Ausstellung. Bei Albers scheint der Hinweis auf das künstlerische Fortleben fast obligatorisch. Die künstlerischen Nachfahren sind zahlreich, entsprechend groß ist die Auswahl. In der Villa Hügel erweisen Ad Reinhardt und Donald Judd, Robert Ryman und Agnes Martin dem Lehrer und Ideenstifter die Ehre.
Mit 50 in s Museum of Modern Art in New York
Die Verdienste von Josef Albers sind verbrieft. Der Weg aus der Villa Hügel nach Düsseldorf ins K20 führt dagegen zu einer Entdeckung – einer Künstlerin und noch dazu eines Mediums, das bisher weniger Beachtung fand. Zwar hatte es Anni Albers mit ihrer Weberei bereits 1949, sie war 50 Jahre alt, zu einer Einzelausstellung ins Museum of Modern Art in New York gebracht. Danach jedoch hörte oder sah man wenig von ihr. Erst in jüngster Zeit regt sich zunehmend Interesse. Ganz im Geiste einer Gattungsgrenzen überwindenden Revision der Moderne, die unter anderem die lange vernachlässigten Verdienste weiblicher Künstler in den Blick nimmt.
Als sie 1922 ans Bauhaus kam, schwärmte Anni von Paul Klee und wäre am liebsten Malerin geworden. Doch nach dem Vorkurs steckte das angeblich fortschrittliche Bauhaus sie, wie viele Studentinnen, in die als »Frauenklasse« verschriene Textilwerkstatt. Unerwartet fängt sie Feuer für die Handweberei und macht das Beste daraus. Die meiste Zeit ihres Künstlerinnen-Lebens widmet sich Anni Albers von nun an der tiefgreifenden Auseinandersetzung mit dieser uralten Technik, die vor allem in Europa mitunter noch immer dem Handwerk zugeordnet wird. Wie hinfällig solche Kategorisierungen sind, beweisen die wunderbaren Werke in Düsseldorf. Rund 300 Arbeiten bringt die große, gemeinsam mit der Londoner Tate Modern organisierte Retrospektive zusammen.
Gewebte Malerei
Da sieht man etwa im golden durchwirkten Gewebe schwarze und weiße Baumwollfäden ihre unbestimmten Bahnen ziehen. Sie wechseln die Richtung, begegnen einander, verdichten sich hier und da zu kleinen Knubbeln. Anni Albers war zwar Handwerkerin und Designerin, die auch Auftragsarbeiten erledigte. Sie war aber immer auch Künstlerin, nur, dass sie ihre Bilder eben nicht gemalt, sondern gewebt hat. »Pictorial Weavings« nannte sie solche Arbeiten.
»Die Fäden sich wieder selbst ausdrücken und ihre eigene Form finden zu lassen«, war ihr Ziel. »Damit man sie betrachtet, statt auf ihnen zu sitzen oder zu gehen.« Die Schau zeigt Entwürfe und Webereien, Wandbehänge und Raumteiler, Teppiche und Textilmuster. Während Ehemann Josef sich der gemalten Farbe und ihren Wechselwirkungen verschrieb, tauchte Anni ein ins Textile und kreierte ganz spezielle Interaktionen – zwischen jutegrob und seidenfein, steif und elastisch, wollig-weich oder metallisch hart.
Anni Albers überlebte Josef um 18 Jahre. Zwar fehlte ihr im Alter zusehends die Kraft zum Weben, weshalb sie sich auf druckgrafische Arbeiten verlegte. An ihrer Überzeugung änderte das nichts: »In unserer Zeit jedoch, und in kommenden Zeiten, können Fäden als expressives Medium dienen, daran glaube ich fest.«
»Interaction. Josef Albers«: Bis 7. Oktober 2018, Villa Hügel, Essen, Tel. 0201 / 616290
»Anni Albers«: Bis 9. Oktober 2018, Kunstsammlung NRW, K20, Düsseldorf, Tel. 0211 / 8381204, »Ein ansehnliches Stück«