Noch nach Jahren zurück in New York, plagte Lyonel Feininger die Wehmut. »Uns geht es gesundheitlich gut; materiell ebenfalls, trotzdem Vieles vermisst wird, was wir in geistiger, anregender Hinsicht früher genossen, in Deutschland.« Die Nazis und ihre Kunstdiktatur hatten den Maler samt Familie 1937 aus der Wahlheimat vertrieben – wo er gern geblieben wäre. So schrieb Feininger aus der Neuen Welt an den alten Kollegen und Freund Erich Heckel: »Ich denke so oft, so sehr oft, daran und an Euch und an die guten Freunde Alle drüben. Nicht umsonst habe ich 50 Jahre meines Lebens in Deutschland verbracht.«
Mit sechzehn Jahren war der gebürtige Amerikaner (und Sohn deutscher Eltern) zum Studium in die Alte Welt gekommen. In Deutschland hatte er eine Laufbahn als Karikaturist begonnen und, obwohl außerordentlich erfolgreich, wieder abgebrochen. Hier wagte er mit Mitte dreißig als »fröhlicher Greis« einen neuen Anfang mit der freien Kunst. Hier erfand er seine grotesken »Mummenschanz«- Bilder, entwickelte den eigenen »Prisma-ismus«. Und hier wurde er auch 1919 als erster Lehrer ans Bauhaus berufen. Es sind jene fünf bewegten Jahrzehnte der Künstlerkarriere, die Gerhard Finckh, neuer Direktor am Von der Heydt-Museum, nun zum Thema seiner Feininger- Schau gemacht hat.
Eine Schau die, anders als bislang, großzügig Platz findet. Denn Teil der Ausstellungsvorbereitungen war ein generelles Umräumen im Haus. Sodass Feiningers Werke sich nicht mehr mit jenen engen, niedrigen Räumen begnügen müssen, die das Von der Heydt-Museum viel zu lang für seine Wechselausstellungen nutzte – hier soll künftig vor allem Graphik aus der eigenen Sammlung gezeigt werden, in Kombination mit Malerei. Für die temporären Präsentationen hingegen hat der neue Hausherr Finckh großzügige Sammlungsräume frei gemacht. Wo die ständigen Bewohner den Gast nun willkommen heißen.
Will sagen: Die Schätze aus dem Bestand des Museums wurden nicht ins Magazin gesperrt, sondern – jedenfalls die passenden Stücke – sind in den Rundgang eingebunden: Überall sind Treffen arrangiert zwischen Feininger und seinen Zeitgenossen, Kollegen, Vorbildern, Weggefährten: Expressionisten, Kubisten, Futuristen, Bauhaus-Meistern. Eine glückliche Lösung, die beiden Seiten zugute kommt – wenigstens dieses Mal. Feininger findet seinen Kontext und die Wuppertaler Sammlung sicher deutlich mehr Beachtung beim Publikum. Finckh will das Rezept auch für künftige Ausstellungen in seinem Hause anwenden. Abzuwarten bleibt natürlich, ob es immer so gut funktioniert wie dieses Mal – bei Feininger.
Zum Start der Schau lernt man den 1871 in New York geborenen Meister der klassischen Moderne als führenden deutschen Karikaturisten kennen. Das ist ein wenig bekanntes, aber nicht unwesentliches Kapitel der Künstlervita. Denn die spöttischen Zeichnungen, mit denen der Amerikaner in Berlin seit den frühen 1890er Jahren Politik und Kleinbürgertum auf die Schippe nahm, waren offensichtlich grundlegend für seine spätere Kunst.
Noch bevor der Parcours jedoch Feiningers frühe Bemühungen um die Malerei vorführt, lädt er ein zum Abstecher an die Seine. Den Künstler selbst zog es in den Jahren zwischen 1906 und 1908 wiederholt nach Paris. Mit Gemälden aus dem Fundus veranschaulicht die Ausstellung, was er dort für künstlerische Anregungen empfangen haben könnte: Bestimmt sah er Werke von Signac; auch Matisse und Gauguin werden ihn interessiert haben. Ebenso Cézanne und natürlich Picasso. Mag sein, dass die Erlebnisse im Kunstmekka Feiningers Unbehagen an seinem Job als Witzblattzeichner schürten. »Ich bin kein Götze und ich bin knapp ein Künstler. Jedenfalls nicht in den Clownscherzen, die die Welt von mir kennt«, so schrieb er in einem Brief an Julia Berg. Die Kunststudentin und spätere Ehefrau wird den unzufriedenen Freund wohl in der Entscheidung für die »richtige« Kunst bestärkt haben. Welches Erlebnis, welche Entscheidung schließlich den Ausschlag für den Neuanfang gab, lässt sich jedoch nicht mit Sicherheit sagen. Fest steht aber, dass Feininger unverzüglich begann, sich zu schulen. Auf kleine Pappen pinselte er 1907 Stillleben, die noch reichlich hausbacken gerieten; dann Impressionen aus Stadt und Land: Das »Haus mit Garten«, die »Türme von Notre Dame« im Sonnenlicht. Die Wuppertaler Schau versammelt eine Reihe von zwar interessanten, doch wenig aufregenden Beispielen dieser Art. Feininger soll sie rückblickend als »trostlose Dinger« abgetan haben.
Seine künstlerische Bilanz für das Jahr 1907: »Ich habe noch soviel Roharbeit zu verrichten … Aber mir dämmert eine Hoffnung auf.« Welchen Schimmer hatte Feininger wohl im Auge? Vielleicht dachte er weiterhin an die Karikatur, denn nach der »Roharbeit« mit Pinsel und Ölfarbe sind es besonders diese komischen Zeichnungen, auf die er sich bei der Ausprägung des eigenen Stils stützen wird. Schon 1908 schafft er mit ihrer Hilfe den Durchbruch zu den grotesken »Mummenschanz «-Bildern.
Wuppertal schenkt dieser spannenden Phase im OEuvre besondere Beachtung und kann mit »Karneval«, »Grüne Brücke« und »Große Revolution« aus dem New Yorker Museum of Modern Art wichtige Beispiele bieten. Verbindungen zur Karikatur scheinen unverkennbar: Das altertümlich kostümierte Personal dieser unnatürlich bunten Szenerien ist viel zu groß und oft deformiert. Ziellos wanken die verschrobenen Gestalten zwischen windschiefen alten Häusern umher – Vorbilder für die historischen Stadtkulissen seiner »Mummenschanz «-Malereien sah und zeichnete Feininger in Weimar und Umgebung.
Die nächste stilistische Wende lässt nicht lange auf sich warten, sie kündigt sich an nach Feiningers folgenreicher Begegnung mit dem Kubismus: »Mit einem Male, es war Frühjahr 1911, auf einem dreiwöchigen Besuch in Paris, ging mir ein Licht auf, der Kubismus!«, so schrieb er. »Hinterher war es erstaunlich, wie ich entdecken konnte, wie ich seit Jahren bereits auf dem Wege dahin gewesen war!« An dieser Stelle nutzt die Wuppertaler Schau erneut die Gelegenheit zum Ausflug in die eigene Sammlung. Der Orphist Delaunay, der Kubist Jean Metzinger, der Futurist Umberto Boccioni und deutsche Expressionisten von »Brücke« wie »Blauer Reiter« stecken vage Feiningers zeitgenössisches Umfeld ab. Daneben ist Picasso hier mit zwei Gemälden von 1908 zugegen. Als Zugabe lieh Kurator Finckh die kubistische »Femme assise dans un fauteuil« von 1910 aus der Baseler Fondation Beyeler – hier wird Feiningers Anknüpfung am deutlichsten. Denn es war wohl vor allem die Analytik der Kubismus-Erfinder Braque und Picasso, die Feininger zur Schöpfung seiner charakteristischen Bildformen aus splittrigen Bausteinen führte.
Anschaulich wird nachvollziehbar, wie sich nach 1911 die neuen Eindrücke in den alten Mummenschanz mischen. Zum Beispiel beim »Angler mit blauem Fisch II« von 1912. Erst im Juni 2006 war das Werk bei Sotheby’s in London unter den Hammer gekommen – ein privater Sammler erstand es für den Rekordpreis von gut sechs Millionen Euro. Jetzt gibt »der teuerste Feininger aller Zeiten« ein Gastspiel in Wuppertal. Die wunderlichen Figuren sind noch da, doch haben sich ihre Konturen verhärtet. Feininger beginnt hier, unter kubistischem Einfluss, alles geometrisch zu zerlegen und in einem geradlinig- eckigen Rhythmus zu vereinen – den glatt gestreiften Strand, den zackigen Himmel, die bizarr-kantigen Akteure. Der Künstler entwickelt eine Art Farbkubimus, den er selbst »Prisma-ismus« nennt. Im »Angler mit blauem Fisch II« spielen Fischer und Flaneure noch die Hauptrolle, doch schon bald wird der Mensch sich aus Feiningers Bildwelt zurückziehen. Allenfalls als Randfigur hat er noch eine Chance. Ab 1913 gewinnt in den Werken der Ausstellung Architektonisches die Oberhand. Feininger suchte nicht das Große, Spektakuläre. Im Gegenteil, thüringische Dorfkirchen um Weimar hatten es ihm angetan. »Es gibt Kirchtürme in gottverlassenen Nestern«, so bemerkte der Maler einmal, »die mit das Mystischste sind, das ich von sogenannten Kulturmenschen kenne.«
In Gelmeroda, Umpferstedt oder Mellingen fand Feininger diese »mystischen« Sakralbauten. Auf seinem Weg über die Dörfer kam er nun zunehmend ab von den facettierten Flächen der Kubisten. Auf seinen Bildern dringt der Blick mehr und mehr durch transparente Farbformen in die Tiefe.
Anlässlich der ersten Einzelausstellung 1917 in Herwarth Waldens Galerie »Der Sturm« schrieb der Dichter Theodor Däubler: »Man könnte Feininger den kristallinischen Kubisten nennen. Mit großer Sorgfalt behandelt er die Palette, daher ist auch seine Farbe von peinlicher Sauberkeit … Silber, Blei, Zinn, Zink, allerhand kalte Metalle glaubt man in seinen streng gestalteten Visionen finden zu können.« Im Atelier des Amerikaners, so sagt man, herrschte eine Atmosphäre penibler Ordnung und extremer Sauberkeit. Er malte niemals »aus dem Bauch«. Gewissenhaft baute er seine Bilder, legte dabei mit dem Lineal die Struktur auf der Leinwand fest. Als Basis der Arbeit dienten ihm immer die »Natur-Notizen«, die das Werk seit der Frühzeit begleiten.
»Ich brauche Draußensein, Draußenarbeiten, ich brauche zeitliches Einsamsein«, so bemerkte Feininger einmal. Auch Wuppertal gibt einige Beispiele seiner Studien vor der Natur, darunter interessante Landschaftszeichnungen, die Feininger im Sommer 1917 bei einer Reise in den Harz zu Papier gebracht hat. Mit diesem Jahr sollte der Rundgang im Von der Heydt-Museum eigentlich enden. So wollte es Finckhs Vorgängerin, Sabine Fehleman, die das Projekt vor ihrem Ruhestand angestoßen hatte. Bei der Realisierung ihres Plans aber taten sich ernste Schwierigkeiten auf: Es kamen nicht genügend qualitätvolle Leihgaben zusammen. Einen Ausweg fand Finckh in der sinnvollen Erweiterung des Zeitrahmens, sodass die Schau nun auch Feiningers spätere Jahre am Bauhaus streift. Aus dieser Periode hat das von der Heydt-Museum selbst zwei schöne Stücke zu bieten: Die 1920 gemalte »Kirche von Mellingen« und die »Marktkirche zu Halle« von 1931. Das jüngste Gemälde schickt die Kunsthalle Emden nach Wuppertal: Auf einer bedrohlich dunklen Woge schaukelt da ein Schiff mit geblähten Segeln. Es wäre wohl kaum ein treffenderes Schlussbild für die Schau denkbar. Denn Feiningers »Schwarze Welle« von 1937 kommt einem Abschiedsbild gleich: Am 11. Juni desselben Jahres brach der Künstler auf nach New York. Mit Sack und Pack verließ er das Land, das er liebte, und kehrte nie mehr zurück. //
»Feininger – Frühe Werke und Freunde«; bis 19. November 2006. Tel.: 0202/563-6231. www.von-der-heydtmuseum.de