TEXT: VOLKER K. BELGHAUS
Es ist eine Sache der Übung, das mit dem fliegen Lernen. Für Douglas Adams war es ganz leicht: »Fliegen ist gar nicht so schwer, wie man denkt. Man muss sich nur auf den Boden schmeißen und vergessen, aufzuschlagen.« Der Großvater in Teresa Präauers Roman »Für den Herrscher aus Übersee« sieht das ähnlich: Man muss nur den Hügel hinunterlaufen und über den von ihm aufgestellten Hindernis-Parcours aus leeren Blumentöpfen, umgedrehten Regentonnen und Holzstapeln springen; irgendwann wird man schon abheben. »Wer nicht täglich übt und arbeitet, ist schon auf dem Weg ins Verderben!«, sagt der Großvater. Und rät: »Bleibt leicht fürs Fliegen!« Die Geschwister laufen ihrem Großvater hinterher, riskieren Abschürfungen und kaputte Brillengläser und fliegen tatsächlich. Wenn auch nur für Bruchteile von Sekunden.
Wie lange man oben bleibt, ist eigentlich zweitrangig in diesem Roman; Hauptsache, man ist überhaupt geflogen. Die Geschwister genießen das kurze Glück und die Aussicht darauf, eines Tages länger aufzusteigen; dorthin, wo der Großvater schon einmal war. Der erzählt ihnen während des langen Sommers, den sie bei ihren Großeltern verbringen, von früher, vom Krieg, als er als junger Großvater in einem fremden Land mit dem Flugzeug abstürzte und auf die Japanerin traf, die ebenfalls mit ihrem Flieger vom Himmel gefallen war. Ihn erfasst eine große Liebe zu der filigranen Frau, und er will aus den Flugzeugtrümmern ein neues Fluggerät bauen, das sie beide nach Hause bringt. Und dann ist da noch die Fliegerin, die mit einem Leichtflugzeug einen Schwarm von Zugvögeln, die sie selbst aufgezogen hat, in ihr Winterquartier nach Süden begleitet.
Teresa Präauer lässt in ihrem Debüt-Roman »Für den Herrscher aus Übersee«, der mit dem »aspekte-Literaturpreis« ausgezeichnet wurde, diese drei Erzählebenen schwebend ineinander gleiten. Auch wenn es abgegriffen klingt – es ist die Sehnsucht nach Freiheit, die die Protagonisten quer durch die Jahrzehnte verbindet. Das übermütige Treiben der Geschwister mit dem Wunsch des jungen Großvaters, zusammen mit der Japanerin in eine gemeinsame Zukunft fliegen zu können und die Fliegerin, die die Welt distanziert von oben betrachtet, während sie den Menschen und der spärlich besiedelten Ebene unter sich nur noch wenig abgewinnen kann: »Dafür haben sie einen schönen Himmel, weiß, hellgelb und veilchenblau.«
Präauer wurde 1979 in Linz geboren und ist, laut Klappentext, »seither oft umgezogen«. Jeder Reise, jedem Flug folgt ein Nachhausekommen; auch in ihrem Roman. Der junge Großvater, der aus dem Krieg zurückgekehrt ist, die Eltern der Geschwister, die in der Welt unterwegs waren und von dort jeden Tag eine Postkarte an ihre flugwütigen Kinder geschickt haben – auch sie kommen am Ende des Sommers zurück. Und die Fliegerin muss sich ohne ihre Vögel auf den Weg nach Hause machen und hofft darauf, dass diese im nächsten Frühjahr von alleine zu ihr finden: »Vielleicht tauchen sie eines Tages im Frühling einfach wieder auf aus dem Blütennebel und steuern auf mich zu?«
Dieses kleine Buch ist große Poesie; unaufgeregt und gelassen, eine Liebeserklärung an das Leben in den Lüften. »Alle Lust will Ewigkeit« heißt es bei Nietzsche – der Großvater kennt dieses Gefühl: »Ich bin in den Himmel hinauf geflogen und habe mit dem Zählen der Tage aufgehört.«
Teresa Präauer: »Für den Herrscher aus Übersee«. Wallstein Verlag, Göttingen 2012, 140 Seiten, 16,90 Euro
Lesung am 18. Februar im Literaturhaus Köln