INTERVIEW: INGO JUKNAT
Das Zeitungssterben, an Peter Hein liegt es nicht. Jeden Tag liest er taz, Süddeutsche, Bild und die österreichische Krone. Heute, beim Interview in Düsseldorf, liegt vor ihm der Sportteil des Express. Der Aufstieg der Fortuna ist gefährdet. Mal wieder. Hein mag kaum noch hinsehen. Seit ein paar Jahren wohnt er in Wien. Fortuna, Express und Altbier – viel mehr vermisst er nicht. Umgekehrt macht Düsseldorf nicht viel Wirbel um ihn. Anders als Campino von den Toten Hosen muss Peter Hein keinen Slalom um Handyknipser machen, wenn er durch die Stadt läuft. Auch heute, in der Bar Olio, sprechen ihn nur die Journalisten an. Ein halbes Dutzend ist angereist. Neben Hein sitzt Bandkollege Frank Fenstermacher, in den nächsten Tagen geben sie in zwei weiteren Städten Interviews. 32 Jahre nach »Monarchie und Alltag« ist das Interesse an der Band ungebrochen. Das liegt am frischen Sound von »Xenophonie«, aber auch – und wieder mal – an den Texten. Hein seziert die Merkel-Republik so präzise wie das Schmidtsche Westdeutschland von einst. Ein Gegner hat es ihm besonders angetan.
K.WEST: Herr Hein, mehrere Songs auf »Xenophonie« handeln vom Elend der Kulturbürokratie. Entsteht ohne Förderung bessere Kunst?
HEIN: Einerseits ja. Fördern macht satt. Voller Bauch groovt nicht. Andererseits: Hungrig kannst du die Klampfe nicht halten.
K.WEST: Sind Sie nie in Versuchung gekommen, Fördergelder zu beantragen? Als nationales Kulturgut hätten es die Fehlfarben vermutlich nicht schwer.
HEIN: Ehrlich gesagt, ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass man überhaupt gefördert werden kann. Ich denke immer, Musik ist ein hartes Geschäft und irgendjemand muss bezahlen. Aber derjenige muss das auch wollen. Er darf nicht gezwungen werden. Ich mache keine Straßenmusik. Ich spiele nur da, wo mich die Leute wollen.
K.WEST: Hilft es, wenn man noch einen anderen, »richtigen«, Beruf hat? Weil man dann nicht gezwungen ist, mit der Musik Geld zu verdienen?
HEIN: Als ich meinen alten Job noch hatte, dachte ich immer, das würde helfen. Und in mancher Hinsicht stimmte das auch: Es hat geholfen, die Miete zu bezahlen. Jetzt, wo ich subprekärer Tagelöhner bin, habe ich gedacht, mir würde es als Künstler schlechter gehen. Aber das ist auch nicht der Fall. Mir redet eh keiner rein. Früher war das nicht anders. Als die Plattenindustrie unser Partner war, haben wir das Album gemacht, abgegeben und gut war’s.
K.WEST: Denken Sie in Zeiten knapper Kassen manchmal an Ihre alten Ratinger-Hof-Kollegen, die Toten Hosen? Stadionrock, wäre das was für Sie?
HEIN: Das wäre witzig, ja. Aber nicht als Vorgruppe für die Hosen. Da werden die Vorbands nur verheizt, das ist normal. Auch wenn die Hosen das nicht wollen.
K.WEST: Haben Sie noch Kontakt zur Band?
HEIN: Ich bin so selten in Düsseldorf. Die Chance, dass man sich da über den Weg läuft, ist gering.
FENSTERMACHER: Aber wir kennen uns. Und wenn wir uns hier zufällig treffen würden, würden wir sicher ein Bier zusammen trinken.
K.WEST: Die Toten Hosen feiern dieses Jahr ihren 30. Geburtstag. Das Jubiläumsalbum und die neue Fehlfarben-Platte erscheinen fast gleichzeitig.
HEIN: Ich glaube, die Hosen haben noch mal Gas gegeben, als sie gehört haben, dass wir rauskommen.
FENSTERMACHER: Die haben unnötigerweise Respekt.
HEIN: Angst.
FENSTERMACHER: Früher dachten sie, wir nehmen denen was weg. Heute ist es andersherum (lacht).
K.WEST: Dabei haben die Toten Hosen wirklich Respekt vor Ihnen. Das sagt Campino in jedem zweiten Interview.
HEIN: Ich mag sie ja auch. Selbst, wenn ich mich zwar manchmal über sie lustig mache.
FENSTERMACHER: Sie haben einiges durchgemacht und durchgezogen in ihrer Karriere. Was den Medienrummel angeht, haben sie uns einiges voraus. Davon sind wir verschont geblieben.
K.WEST: … wenn man von Ihrer Platte »Monarchie und Alltag« einmal absieht. Nervt die Verehrung für Ihr Debüt von 1980 sehr? Auf dem neuen Album singen Sie: »Das Frühwerk / ein Mühlstein am Hals«.
FENSTERMACHER: Es geht nicht rückwärts weiter, nur vorwärts.
K.WEST: Anders als viele Bands aus der Ratinger-Hof-Zeit wirken die Fehlfarben überhaupt nicht nostalgisch.
HEIN: Nostalgie habe ich nur gegenüber Dingen, die ich nicht erlebt habe. Was ich schon kenne, berührt mich nicht. Ich höre zum Beispiel zuhause überhaupt keinen Punkrock. Ich weiß zwar, dass die Hälfte davon die beste Musik ist, die je gemacht wurde. Aber was danach kam, braucht’s nicht zu geben. Wenn überhaupt, höre ich Sachen, die viel älter sind, die ich im ersten Schuljahr verpasst habe oder so.
K.WEST: Jan Müller von Tocotronic hat neulich geschrieben, Sie seien von »gespenstischer Lockerheit« auf dem neuen Album. Empfinden Sie das selbst auch so?
HEIN: Ich war immer entspannt.
K.WEST: Dabei geht Ihnen der Ruf voraus, ziemlich grummelig zu sein.
HEIN: Das sagen Leute, die mich nicht kennen und die zu Recht was abbekommen haben.
K.WEST: Auf der Platte gibt es die Zeile »Ich muss nicht mehr alles kommentieren«. Hat sie eine gewisse Altersmilde ereilt?
HEIN: Ja. Im Grunde ist der ganze Humbug ja auch sinnfrei, und ich könnte mir das schenken. Aber man macht es trotzdem immer weiter.
K.WEST: Was treibt die Fehlfarben an?
FENSTERMACHER: Das Musizieren, das Spielen selbst.
HEIN: Die Konzerte, ganz klar. Man muss auch nicht immer was Neues liefern.
K.WEST: Verfolgen Sie die deutsche Popszene überhaupt noch?
HEIN: Aktiv kümmere ich mich um nix. Wenn, dann bekomme ich neue Bands über Freunde mit. Ansonsten nimmt man wahr, welche Alben zum gleichen Zeitpunkt rauskommen wie das eigene. Aber zu timen gibt’s da wenig. Irgendwer veröffentlicht ja immer. Wenn du nicht parallel zu den Hosen rauskommst, dann sind es Die Ärzte, Grönemeyer oder Tocotronic. Aber um auf die Frage zurückzukommen: Junge Bands kriege ich nicht mit. Will ich auch nicht.
K.WEST: Weil Sie die musikalisch unspannend finden?
HEIN: Nee. Weil mir das zu viel Aufwand ist. Wenn ich sie beim Konzert sehe, ist das meistens okay. Aber ich kaufe mir selten Platten neuer Bands.
K.WEST: Bekommen Sie als Musikveteran eigentlich Anfragen, irgendwo als Juror mitzumachen? Es gibt doch so viele Castingshows.
HEIN: Hab ich noch nicht abgelehnt. Aber ich glaube, die Sender recherchieren nicht gut genug, um mich zu kennen.
K.WEST: Würden Sie denn mitmachen?
HEIN: Schwer zu sagen. Da müsste ich mich erst mal mit befassen.
FENSTERMACHER: Wenn die Bezahlung stimmt …
HEIN: Ja, logisch. Ich mach ja nichts mehr, wo ich draufzahle. Ich hab kein Geld zum Draufzahlen.
K.WEST: Ich dachte, Sie machen gar nichts nur für Geld.
HEIN: Im Gegenteil. Ich hab immer alles nur für Geld gemacht. Ich hab mich immer bezahlen lassen. Auch zu der Zeit, als ich noch meinen Tagesjob hatte. Wir haben nicht viele Platten verkauft, aber Geld dafür bekommen. Für die Konzerte natürlich auch. Der Sinn der Sache ist, dass man gut genug ist und dass es auch honoriert wird – und nicht nur mit feuchtwarmem Händedruck.
K.WEST: Ärgert Sie die Diskussion im Netz – darüber, dass Musik umsonst sein sollte? Stichwort: Piratenpartei.
HEIN: Ich seh das so: Irgendwo muss irgendwer bezahlen, wenn etwas Gutes entstehen soll. Mein Anspruch an etwas Gutes ist mehr als »Plunkerplunker« auf dem Laptop. Oder diese beschissenen Singer-/Songwriter mit ihren Schlafzimmeraufnahmen. Du musst auch Stücke schreiben können. Nicht wie diese dahergelaufenen Jammerlappen, die sich hinter ihrem Bart verschanzen und rumnölen. So was kann man natürlich mit Kleingeld hinkriegen. Aber um ein paar Leute an den Start zu bringen, die wirklich spielen können und Atmosphäre schaffen, da braucht es Geld, und da muss auch mal jemand das Studio und den Konzerteintritt bezahlen. Sonst hat irgendwann niemand mehr Bock, weil es sich nicht rechnet. Oder es entstehen Platten auf Proberaumniveau. Für Leute, die Musik am Telefon hören, mag das reichen. Aber mit denen habe ich kein Mitleid. Für mich muss das wummern.
FENSTERMACHER: Ich finde, man muss das differenziert sehen und sich fragen, wem nutzt die tantiemenfreie Verbreitung im Netz? Und wessen Unterhalt schmälert sie? Das kann man nicht über einen Kamm scheren.
HEIN: Aber die Musik ist ja nicht wirklich frei. Firmen wie Google lassen sich die Treffer über Anzeigen bezahlen. Die verdienen daran. Derjenige, der die Musik erschafft, verdient nichts. Und der, der sie ins Netz stellt, kommt evtl. noch in den Knast.
FENSTERMACHER: Aber selbst, wenn sich Google und Youtube mit der Gema über Tarife einigen würden, würden wir davon nichts sehen. Das Geld bekämen doch nur die Umsatzbringer und Gemapunkteinhaber. Die Erlöse müssten nicht in die Spitze der Pyramide gehen, sondern in die Breite.
K.WEST: Halten Sie Labels für obsolet?
FENSTERMACHER: Nein. Ich betreibe ja selbst seit 30 Jahren eines, »Ata Tak«. Da mache ich alles selber: Platten aufnehmen, zum Markt tragen, selbst die Verpackung. Früher blieb ja nichts anderes übrig. Vor 30 Jahren gab es eine Handvoll Großlabels – EMI, Elektrola usw. – die haben sich für Mainstream-Rock interessiert. Sonst war da nichts.
K.WEST: Rechnet sich der Aufwand heute noch?
FENSTERMACHER: Die CD-Verkäufe sind sehr gering. Wir hören jetzt sogar ganz auf, welche zu pressen. Wir vergeben für unsere Veröffentlichungen Lizenzen. Das Medium CD ist ohnehin bald tot.
HEIN: Ich würde immer mit einem Label arbeiten. Es gibt einfach gewisse Dinge, die man selbst nicht machen kann oder will.
K.WEST: Warum haben Sie die neue Platte eigentlich nicht bei Ata Tak rausgebracht? Das wäre doch nahe liegend gewesen.
FENSTERMACHER: Weil ich keine Lust habe, die eigene Platte zu promoten. Das habe ich 30 Jahre lang gemacht, das wird heute nicht mehr anerkannt. Das würde uns auch blockieren und zu viel Arbeit kosten. (Pause) Wir haben 30 Jahre lang alles falsch gemacht und die Platten selbst veröffentlicht. (Lacht) Das dankt einem keiner.
K.WEST: Da gibt es den schönen Tocotronic-Song »Macht es nicht selbst« …
FENSTERMACHER: Das haben die rechtzeitig erkannt.
Fehlfarben: »Xenophonie«, Tapete/Indigo, ab 18. Mai 2012. www.fehlfarben.com