TEXT: GUIDO FISCHER
Soprane haben es von jeher leicht, zur Primadonna aufzusteigen und sich im Ruhm zu sonnen. Von Mozart bis Wagner gibt es für ihre Stimmen Top-Rollen zuhauf, um in höchsten Tönen zu lieben, zu lodern, zu leiden. Für die Mezzosopranistin bleibt da oft nur der Platz im Halbschatten einer Seconda Donna. Schon der amerikanische Star-Mezzo Marilyn Horn hatte damit jedoch kein Problem. Wie sie einmal scherzhaft bekannte, ist man dank der Hosenrollen, die auch Mozart und Strauss für das tiefer gelegte Sopranfach komponiert haben, dafür oft der Primo Uomo.
Auch Hornes Kollegin Elīna Garanča macht der Geschlechter-Rollentausch auf der Opernbühne Riesenspaß, zumal sie dann als Cherubino »die Frauen begrapschen« kann: »Oder wo dürfte ich sonst mal breitbeinig sitzen?«
Dass die lettische Mezzosopranistin ein entspanntes Verhältnis zur Travestie besitzt, hat einen Grund. 2003 gab sie in Mozarts Opera seria »La Clemenza di Tito« ihr – von Nikolaus Harnoncourt dirigiertes – Debüt bei den Salzburger Festspielen: in der eher kleinen Partie des Annio.
Seitdem bildet Garanča gemeinsam mit Cecilia Bartoli und Magdalena Kožená das Dreigestirn am Mezzo-Firmament. Zumal die in Riga geborene 35-Jährige zur Allrounderin gereift ist. Feinstes Belcanto alla Rossini und Donizetti, aber auch Konzertantes von Berlioz über Mahler bis zur italienischen Moderne eines Luciano Berio hat sie gesungen. Besonders als Bizets »Carmen« drehte sie an den ersten Opernadressen in New York, London und Berlin heißblütig auf, um ihren Ruf von der kühlen Blonden zu korrigieren.
Aus der »Habanera«-Queen wird nun erneut ein richtiger Kerl. Der hört auf den Namen Sesto und steht in »La Clemenza di Tito« dem römischen Kaiser mit Rat und Tat zur Seite. Seit 2006 passt sich Garanča immer wieder diese männliche Bravour-Rolle an. In der konzertanten Aufführung mit der Deutschen Kammerphilharmonie unter Leitung von Louis Langrée zeigt sie mit autoritärer Kraft und intensiven Ausdrucksschattierungen, wer hier die Hosen anhat.
Auch von der australischen Jahrhundertsopranistin Joan Sutherland wurde Elīna Garanča einmal als »Diva« bezeichnet. Ein Titel, den sie von sich weist. Was nicht meint, dass sie lammfromm ist. Wie die Callas kann sie fuchsig werden, wenn ein Opern-Regisseur mit kruden Ideen gegen Garanča inszeniert.
Ähnlich empfindlich bis allergisch kann die Sopranistin Angela Gheorghiu auf ridiküle Einfälle des Regietheaters reagieren. Gheorghiu, zurzeit eine der besten Primadonnen, diskutiert dann nicht erst lange herum, sondern macht gelegentlich auf dem Absatz kehrt. Wer nach eigener Aussage bereits als Diva geboren wurde, trägt schon mal das Messer zwischen den Zähnen und macht aus seinem Herzen keine Mördergrube. Entsprechend hat die Rumänin in den letzten 20 Jahren für manch einen Skandal gesorgt. So legte sie sich etwa mit Pult-Diktator Riccardo Muti an, als ihr seine Proben zu lange dauerten. An mangelndem Selbstbewusstsein fehlt es Gheorghiu ebenso wenig wie ihrem Vorbild – sie sei nun schon wieder genannt – Maria Callas. Um musikalisch den Bogen zur Diva Assoluta des 20. Jahrhunderts zu schlagen, singt Gheorghiu auf ihrer jüngsten CD mit der Callas virtuell im Duett die »Habanera«.
Überhaupt sind es just die Partien der Callas, mit denen Gheorghiu seit ihrem Debüt 1990 am Londoner Covent Garden einen Triumph nach dem anderen feiert. Verdi und Puccini, »La Traviata«, »La Bohème« und »Tosca«: Das ist Gheorghius Welt, in der sie ihren dunkel-lyrischen Sopran mit seinen sinnlichen Reizen reich entfalten kann. Dabei mutiert sie aber nie zur Callas-Imitation, sondern bietet ein ganz eigenes, gleichfalls aufregendes und mitreißendes Seelenpanorama. Wenn nichts Unerwartetes geschieht, was der Gheorghiu Lust und Laune verderben könnte, darf man sich bei ihrem Essener Recital auf ein Belcanto-Fest der Extraklasse freuen.
Angela Gheorghiu: 11. Februar 2012. Philharmonie Essen; www.philharmonie-essen.de
Elīna Garanča: 18. Februar 2012. Konzerthaus Dortmund, www.konzerthaus-dortmund.de