Den 75. Todestag von James Ensor nehmen vier Museen in Antwerpen zum Anlass, sein Werk aus verschiedenen Blickwinkeln zu präsentieren. Eine Ausstellung im Mode-Museum MoMu sieht im belgischen Maler (1860-1949) gar eine Vaterfigur heutiger Make-up-Artists.
»Maskerade, Make-up & Ensor«, so haben die Kuratorinnen Kaat Debo, Elisa De Wyngaert und Romy Cockx ihre Präsentation betitelt. Für Kunsthistoriker*innen der alten Schule mag diese Kombination zunächst befremdlich klingen: Dass sich Masken und Mummenschanz als rote Linie durch das weitgefächerte Œuvre des Künstlers ziehen, das wird wohl jeder einräumen, der Ensors Allegorien, Porträts oder Stillleben kennt. Aber Make-up? Lippenstift, Lidschatten, Puder und Schminke als Accessoires eines seriösen Künstlers, der sich im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert religiösen Themen, Landschaften oder Seestücken widmete?
Eine gewagte Allianz, zugegeben – doch im Fall von James Ensor ergibt der Schulterschluss tatsächlich Sinn. Nicht nur, weil das MoMu eine Reihe von Bildern des Meisters aufbieten kann, in denen Make-up die Gesamtwirkung erheblich aufpoliert. So in einem Doppelporträt von 1905, das den Künstler mit Augusta Boogaerts zeigt – Ensors langjährige Muse und enge Freundin (einige Forscher*innen spekulieren, die beiden hätten ein Liebesverhältnis gehabt) erscheint als Dame von Welt, sorgfältig geschminkt und im eleganten Gewand. Oder in seinem »Modische Frauen« von 1928 – hier wird die schicke Aufmachung als Sujet schon im Titel angezeigt.
Wichtiger noch als das einzelne Kunstwerk, das Masken oder geschminkte Gesichter als Motive verwendet, ist der Grundtenor im Schaffen von Ensor: Seine Vorliebe für Maskeraden und Morbides, sein Hang zu Groteskem, Schabernack und Karneval zeugen von einer Künstlerpersönlichkeit, die mit der Dialektik des Verbergens und Offenbarens spielt. Was ist damit gemeint? Sowohl Maske als auch Schminke erlauben es dem Träger, sich zu tarnen, über sein tatsächliches Aussehen hinwegzutäuschen. Zugleich taugt die Maskerade als Medium, um Facetten unserer Persönlichkeit zum Ausdruck zu bringen, denen unser Gesicht nicht gerecht wird.
Eben diese Dialektik ist auch typisch für die zeitgenössischen »Maler und Malerinnen der Mode«, die in der MoMu-Ausstellung zu sehen sind. Zu diesen Virtuosen der Verwandlung zählen Make-up-Artists und Haarstylisten ebenso wie Modefotograf*innen und Fashion-Designer*innen. Nicht zu vergessen die zeitgenössischen Künstlerinnen – die MoMu-Kurator*innen setzen Ensors Bilder in Beziehung zu Werken etwa von Genieve Figgis, Tschabalala Self oder Issy Wood. Die prominenteste Vertreterin der Kunstszene in der Ausstellung ist Cindy Sherman. Die US-Fotokünstlerin, in den späten 70er Jahren mit ihrer Serie »Untitled Film Stills« bekanntgeworden und seitdem ein Garant für beständige Metamorphose, ist parallel im FOMU, dem Antwerpener Fotomuseum, mit der Soloschau »Anti-Fashion« zu erleben. Gemeinsam mit der Präsentation »Ensors kühnste Träume. Jenseits des Impressionismus« (Königliches Museum der Schönen Künste – KMSKA) und der Grafik-Ausstellung »Ensors Zustände der Phantasie« (Museum Plantin-Moretus) kann Antwerpen somit zum Ausklang des Ensor-Jubiläums mit gleich vier Ausstellungen auftrumpfen.
Sherman steuerte zu mehreren Kampagnen des japanischen Modelabels Comme des Garçons Fotografien bei, die herkömmliche Schönheitsideale hinterfragen. Zwischen Monstern und Märchenwesen bewegen sich die im MoMu präsentierten bizarren Erscheinungen. Ein Panoptikum, in dem sämtliche Rollen von der Künstlerin selbst gespielt werden. Mit Masken, Prothesen und massivem Make-up gelingt es Sherman, ihr Aussehen derart radikal zu verändern, dass man vor den Arbeiten kaum glauben mag, es handle sich um ein und dieselbe Person. Hier tut sich in der Tat eine verblüffende Parallele zu James Ensor auf: Mehrfach hat sich der Künstler als Skelett dargestellt und seine Physiognomie durch einen Totenkopf bis zur Unkenntlichkeit verfremdet.
In der verdunkelten Ausstellung, die mit ihren Puppen, Perücken und hell erleuchteten Kabinetten an eine Varieté-Inszenierung denken lässt, trifft man auf etliche Ensor-Parteigänger*innen. Sie alle verbindet, dass sie statt der Malerei die Mode als Instrument zum Einsatz bringen, um eine surreale Wirklichkeit zu erschaffen. Besonders eindrücklich in drei neuen Video-Installationen, die das Museum gemeinsam mit »Beauty Papers« in Auftrag gegeben hat. Dabei handelt es sich um eine Plattform, die Schönheit, Kunst und Kultur zusammenbringen will.
Faszinierend die Kreationen von Pat McGrath, die wiederholt als »Mother of Make-up« bezeichnet worden ist: In ihrer Maison-Margiela-Artisanal-Kollektion erzielt die Britin durch subtile Schminke einen porzellanartigen Hauteffekt, der die Models wie Geschöpfe aus einer Kunstwelt wirken lässt.
Als Rebellin gegen glatten Glamour versteht sich dagegen Inge Grognard. Die belgische Make-up-Künstlerin, deren Stern am internationalen Modefirmament in den 80er Jahren aufging, interessiert sich nach eigenem Bekunden für »die dunkle Seite des Menschen« und hat keine Scheu vor Schock und Horror. Gemeinsam mit ihrem Partner, dem Fotografen Ronald Stoops, schuf sie 2003 eine Serie, die im wahrsten Sinne des Wortes unter die Haut geht: »Hibernia« zeigt junge Kinogänger*innen, die alle eine eigenartige Kinnmaske tragen. Dort, wo sich die Lippen befinden, spannt sich eine rote Schnur, die ein festgefrorenes und irgendwie unheimliches Lächeln signalisiert. Damit verweist Grognard auf das sogenannte Chelsea-Lächeln – eine Foltermethode, bei der die Mundwinkel aufgeschnitten werden, um die dauerhafte Narbe eines starren Grinsens zu hinterlassen.
»Maskerade, Make-up & Ensor«, MoMu – Mode-Museum Antwerpen, bis 2. Februar 2025