// So ein Bilderrahmen engt die Bewegungsfreiheit ziemlich ein. Um den Kopf gehalten oder um die Hüfte gelegt, verändert er den tänzerischen Ausdruck enorm. Auf den Boden projiziert, konturiert er nicht nur die Tanzfläche, sondern schränkt auch den künstlerischen Raum ein. Karima Mansour ist Grenzen gewohnt. In ihren Choreografien verarbeitet die Ägypterin ihren Alltag, der geprägt ist von Improvisation. Keine staatliche Förderung, keine Infrastruktur, weder Aufführungsorte noch Proberäume oder Ausbildungsstätten: Die zeitgenössische Tanzszene ihres Heimatlandes ist noch im Aufbruch. An der Oper in Kairo gibt es zwar das klassische Ballett, aber wer an ein staatliches Theater geht, lebt mit der Zensur, dem ästhetischen Gehorsam. In der Produktion »Nomadness« reißt Karima Mansour Schicht um Schicht von ihrem papiernen Kleid. Sie tanzt sich in Ekstase, um dann wie erlöst in schönen, orientalischen Figuren zu posieren. »In der Wüste kann man keine Bäume pflanzen«, sagt ihre Stimme aus dem Off, »sie würden sterben«. Später erfahren wir, dass sie trotzdem welche gepflanzt hat. In der Tat: Karima Mansour führte allen Widrigkeiten zum Trotz den zeitgenössischen Tanz am Nil ein. Sie brachte den Geist Pina Bauschs nach Ägypten.
Die künstlerische Nomadin, die in Kairo Filmregie und in Rom und London modernen Tanz studierte, wird im Rahmen des am 29.10. beginnenden Festivals »Kairobeirut« zu Gast sein (am 4.11. im tanzhaus nrw, Düsseldorf; am 6.11. in der Brotfabrik, Bonn). Bis zum 17.11. sind in Düsseldorf und Bonn zeitgenössische Kunst aus dem und über den Nahen Osten zu sehen. Künstler aus unterschiedlichen Bereichen – Tanz, Theater, bildende Kunst, Performance, Musik, Film und Literatur – stellen ihre Positionen vor. Die meisten von ihnen pendeln zwischen ihrer Heimat und dem Westen.
Der zeitgenössische Tanz fristet innerhalb der Künste ein Schattendasein, er ist schlicht eine neue Kunstform in dieser Region. Anders als etwa in Israel, ist die freie Szene in Ägypten und im Libanon äußerst karg. Karima Mansour und Mohamed Shafik sowie der Libanese Omar Rajeh sind ihre einzigen Vertreter. Der westliche Einfluss ist unverkennbar: Stilistisch wirken ihre Produktionen eher vertraut als innovativ, thematisch und musikalisch dafür arabisch. Shafik nennt seine Reflexion über die eigene Identität im Spannungsfeld der Kulturen »Witness of Body«. Der hin- und her geschleuderte Leib als Zeuge und Spiegel bei der Suche nach Wurzeln und kosmopolitischer Neuorientierung. Omar Rajehs Produktion »Der Mord an Omar Rajeh« als Europa-Premiere zu erleben, ist hoch politisch. Sein Tanztheater bezieht sich auf eine Mordserie an libanesischen Journalisten und Politikern im Jahr 2005, die für Rajeh selbst mit einem nahezu traumatischen persönlichen Erlebnis verbunden ist. In seinem Stück gebärdet sich der Künstler selbst wie ein Besinnungsloser. Die kraftvolle Arbeit ist geprägt von Angst, Verzweiflung, aber auch Hoffnung.
Leben zwischen Kampf und Konflikt ist auch sonst das dominierende Thema von »Kairobeirut«. Bei der »opening night« im tanzhaus nrw wird neben den Tanzkünstlern die große libanesische Schriftstellerin und Malerin Etel Andnan zu Gast sein. Ihr Roman »Sitt Marie-Rose«, der vom libanesischen Bürgerkrieg handelt, wird als Theaterstück in Koproduktion des Theaters Oberhausen mit dem Forum Freies Theater Düsseldorf uraufgeführt. Der Ausnahmeviolinist und Komponist Claude Chalhoub, ein Libanese, beschließt den Eröffnungsabend mit einem Ausschnitt aus seinem aktuellen Konzertprogramm »Diwan«. Auf eine sehr spezielle und spielerische Weise wiederum beschäftigt sich in »Radio Muezzin« Stefan Kaegi von »Rimini Protokoll« mit dem Thema Islam.
Für nachtaktive Literaturfreunde lohnt sich die »Lange Nacht der arabischen Literatur« im Heine-Haus u.a. mit Etel Adnan und dem mit internationalen Preisen ausgezeichneten Gamal Al Ghitany, einem der bedeutendsten ägyptischen Gegenwartsautoren. //
Das gesamte Programm unter www.kairobeirut.de