INTERVIEW STEFAN LAURIN
k.west: Sind Sie der Mann, der anderen nicht das kleine Häuschen der Oma gönnt?
RAINER VOSS: Das ist natürlich Unsinn. Ich bin der Meinung, dass die Erbschaftsteuer in Deutschland viel zu niedrig ist, aber mir geht es nicht um das kleine Reihenhaus am Stadtrand. Das kann von mir aus weiter steuerfrei vererbt werden. Aber wenn es um 20 oder 50 Eigentumswohnungen geht, muss die Steuer deutlich höher sein als heute. Wer überhaupt Erbschaftssteuer bezahlt, muss in den meisten Fällen nur 15 Prozent seines Erbes versteuern. Der Rest wird in der Regel verschont. Faktisch haben wir in Deutschland keine Erbschaftssteuer, und das wird auch noch lange so bleiben, weil die neueste Reform der Steuersätze bei Erbschaften von Unternehmen mit großer Sicherheit vor dem Bundesverfassungsgericht scheitern wird. Bis sich was tut, werden viele Jahre ins Land ziehen. Die Politik will das so. An das Thema Erbschaftssteuer will kaum jemand ran.
k.west: Viele Linke hätten gern höhere Erbschaftssteuern.
VOSS: Das ist nicht die ganze Wahrheit. Bei der Frage der Erbschaftssteuer verlaufen die Linien quer durch die politischen Lager. Der Sozialwissenschaftler Guy Kirsch ist kein Linker, aber für eine hohe Erbschaftssteuer. Viele Linke schrecken vor dem Thema zurück, weil selbst Menschen, die nichts haben und nichts erben werden, gegen eine höhere Erbschaftsteuer sind. Bei vielen scheint da im Hinterkopf die Idee herumzuspuken, es könne ja doch noch ein großes Erbe der unbekannten Tante aus Amerika kommen. Vernünftig ist das nicht.
k.west: Erben hat auch etwas Mystisches…
VOSS: Es geht um den Tod. Wir alle setzen uns damit nicht gern auseinander. Und es geht um Macht. Ein Erbe ist auch ein Vermächtnis – da steckt das Wort Macht sogar drin. Jemand, der ein Vermögen vererbt, hat damit noch Macht über seine Erben, wenn er längst tot ist. Erbschaften sind nicht immer ein Glück, ganze Familien zerbrechen daran und bekriegen sich über Jahre vor Gericht.
k.west: In den USA sind stramme Liberale wie William H.
Gates, der Vater von Microsoft-Gründer Bill Gates, für eine hohe Erbschaftssteuer.
VOSS: Und in Deutschland sind die Liberalen so bigott, dass sie sich mit Händen und Füßen gegen eine hohe Erbschaftssteuer wehren. Was ich nicht verstehe. Ich bin kein Neoliberaler, aber deren Denken geht wohl so: Leistung soll sich durchsetzen, der Bessere gewinnt. Aber wenn man für so etwas ist, müssen beim Rennen um den großen Preis alle gemeinsam loslaufen. Das bedeutet für mich: Alle haben eine Chance auf gute Bildung, es gibt ein bedingungsloses Grundeinkommen, das einem ermöglicht, eine Geschäftsidee zu entwickeln, und eine Erbschaftsteuer, die dafür sorgt, dass nicht ein paar bereits am Startpunkt als Sieger feststehen. Aber genau das wollen die Liberalen nicht. Das leistungslose Einkommen eines Hartz-IV-Empfängers wird von ihnen kritisiert, das leistungslose Einkommen eines Erben verteidigt.
k.west: Es kommt nun mal darauf an, wessen Interessen man vertritt.
VOSS: Vor allem kommt es darauf an, welches Bild wir von Gesellschaft haben und wie wir in 20 Jahren leben wollen. In der Steuerpolitik spiegelt sich das Bild, das eine Gesellschaft von sich hat. Keiner, der bei Sinnen ist, kann ignorieren, dass wir eine Gerechtigkeitslücke haben. Gleichzeitig leisten wir es uns, auf eine richtige Erbschaftssteuer, Vermögenssteuer oder Transaktionssteuer auf Aktienverkäufe zu verzichten. Wenn es uns nicht gelingt, diese Gerechtigkeitslücke zu schließen, Geld für ein bedingungsloses Grundeinkommen einzunehmen, ist das nicht nur ein Problem der Menschen, die weiter verarmen. Es wird sehr schnell auch zum Problem der Reichen, denn die, die nichts haben, werden sich irgendwann holen, was sie wollen. Notfalls mit dem Baseballschläger in der Hand.
k.west: Vermögenssteuer, Erbschaftsteuer und Transaktionsteuer gelten als schwer zu erheben und eintragsschwach.
VOSS: Mag sein, aber darauf kommt es nicht allein an. Tatsache ist, die Politik traut sich nicht an Menschen heran, die Geld haben. Das spüren alle, die keines haben, aber bei denen der Staat weniger Skrupel bei Sanktionen hat, wie etwa bei Hartz- IV-Empfängern. Wenn wir eine richtige Erbschaftssteuer einführen und Vermögen besteuern, sehen die Menschen, dass die Politik sich bemüht, auch die Reichen zur finanziellen Verantwortung für diese Gesellschaft heranzuziehen. Transaktionssteuer auf Aktienverkäufe ist ein Signal: Zocken lohnt sich nicht.
k.west: Eine Erbschaftssteuer, die verstärkt auch für ererbte Unternehmen gilt, könnte Betriebe und somit Arbeitsplätze gefährden. Betroffen wären vor allem Familienunternehmen und Betriebe des Mittelstandes.
VOSS: Nur 15 Prozent der Familienunternehmen schaffen es, trotz erbschaftsteuerlicher Privilegien, drei Generationen zu überstehen. Dann sind sie entweder verkauft oder pleite. Die Sache ist ganz einfach: Steuern sind eine Ausgabe für Unternehmen wie Löhne oder Energiekosten. Dass irgendwann Erbschaftssteuer anfällt, ist jedem Unternehmer klar, er muss also Geld zurücklegen. Was gleichzeitig bedeutet: Er kann dem Unternehmen nicht so viel entnehmen, wie er vielleicht gern täte. Wenn ein Unternehmen nicht in der Lage ist, Geld für die Erbschaftsteuer wegzulegen, hat es offenbar ein nicht tragfähiges Geschäftsmodell. Im Kapitalismus gehen solche Unternehmen nun mal unter. Der Ökonom Joseph Schumpeter pries diesen Prozess als »kreative Zerstörung«.