TEXT: MARTIN KUHNA
Natürlich begann die Begriffsverwirrung schon 1920, als sich eine obskure völkische Kleinbürger-Sekte ausgerechnet Nationalsozialistische Arbeiterpartei nannte. Der Schwindel wurde auf die Spitze getrieben durch Parteichef Adolf Hitler, der bekanntlich zeitlebens jeder ernsthaften, gar körperlichen Arbeit aus dem Weg ging und sich lieber eine Vergangenheit als Bauhilfsarbeiter erfand. Man weiß das, und doch lässt eine Dortmunder Ausstellung einen staunen darüber, wie schnell die NS-Machthaber 1933 nach Art von Hütchenspielern eine giftige ideologische Verwirrung um den Begriff der Arbeit schufen – die Wanderausstellung »Zwangsarbeit« der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, die derzeit im Industriemuseum Zeche Zollern zu sehen ist.
Den 1. Mai zum nationalen Feiertag zu erklären zum Beispiel – ein Manöver, das auch gestandene Gewerkschafter benebelte. Die Ausstellung präsentiert zwei Fotos der »Führertribüne«, die Albert Speer für die zentrale Mai-Kundgebung auf dem Tempelhofer Feld entwarf. Ein Bild zeigt die Tribüne, fahnengeschmückt, inmitten einer Menschenmasse. Das andere Bild zeigt sie leer, als sichtbar billige Holzimprovisation, auf einer abfallübersäten Ödfläche. Aufgenommen am 2. Mai, als in ganz Deutschland die Gewerkschaften zerschlagen und ihre Funktionäre verhaftet wurden, ob sie dem Schwindel des Vortags erlegen waren oder nicht.
Man sieht in Dortmund, wie die Nazis die »Kameradschaft« zwischen »Arbeitern der Stirn und der Faust« priesen. Wie sie aber gleichzeitig vor allem einen Kult der physischen Arbeit betrieben, mit Kolonnen von Arbeitsdienstlern, streng ausgerichtet, mit bloßem Oberkörper und gewehrgleich präsentiertem Spaten. Schuften als glorifizierte Massenveranstaltung, verquickt mit Lagerleben, militärischem Drill – und Zwang. Überdeutlich die gleichzeitige brutale Parallelwelt dieses völkischen Lagerlebens: In den frühen Konzentrationslagern wurden politische Gegner zu den ersten Zwangsarbeitern Nazideutschlands gemacht. Mit brutaler, oft sinnloser Arbeit, mit allen abgefeimten Quälereien aus dem Repertoire sadistischer Kasernenhof-Spieße. Diese Arbeit sollte den Gegner demütigen und zerbrechen; offiziell aber ging es bei den »arischen« Gefangenen um Läuterung, um »Erziehung durch Arbeit« – »Arbeit macht frei« und »Jedem das Seine« suggerierten dem Volksgenossen draußen, dass die hinter dem Lagerzaun nur bekamen, was sie verdienten.
Auch die rassistische Ausgrenzung missliebiger Minderheiten hatte ihre Zwangsarbeitsseite. Vor allem 1938, nach dem »Anschluss« Österreichs und in der Zeit des Novemberpogroms, wurde demütigende öffentliche »Arbeit« gequälter Juden zum Alltagsphänomen, erwerbslos gewordene Juden zwang man erstmals in Kolonnen zu »geschlossenem Arbeitseinsatz«. Vor dem Hintergrund der rassistischen Fiktion, dass Juden gar nicht ernsthaft und körperlich arbeiten könnten, verkam der vorgeblich »erzieherische« Effekt dabei ganz zur zynischen Floskel: »Kolonne Grünspan lernt arbeiten« war nichts als Quälerei und Volksbelustigung.
Eine große Rolle spielten dabei Denunzianten. Briefe und Fotografien, die sie etwa an den Stürmer schickten, zählen in ihrer tödlichen Spießigkeit zu den bedrückendsten Exponaten der Ausstellung. Derlei Briefe kamen von 1939 an auch aus Polen: Wehrmachtssoldaten zeigten nun, wie sie dort »Juden das Arbeiten beibrachten«. Die deutschen Erzieher waren schon in bester Übung, als die Nazis ein gigantisches, sich ständig radikalisierendes System installierten, das Europa nach Arbeitskräften »absauckelte«. Ein System, das eine Propagandabroschüre ohne jede Ironie auf die Formel brachte: »Europa arbeitet in Deutschland«. Hitlers »Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz« Fritz Sauckel büßte dafür in Nürnberg mit dem Tod – stellvertretend für Viele.
Etwa 20 Millionen Menschen aus ganz Europa schufteten im Krieg »für Deutschland« – in den besetzten Gebieten und zunehmend auch »im Reich«. Die Brutalität der Aushebung war unterschiedlich und richtete sich nach den rassistischen Vorurteilen der Nazis. Im Westen suchte man zeitweise die Fiktion der Freiwilligkeit aufrechtzuerhalten. Im Osten machte man sich die Mühe nicht. Wie bei den Nazis üblich, gab es zahllose Widersprüche im System. Was die Juden betraf, standen Befürworter einer »rationalen« Ausbeutung zusehends auf verlorenem Posten. Der Genozid hatte höhere Priorität. Und wenn Juden arbeiten »durften«, dann meist nach dem Prinzip »Vernichtung durch Arbeit«, effizient nur in diesem einen Sinn.
Gefangene Sowjetsoldaten wollte man zunächst gar nicht haben und ließ sie millionenfach verhungern. Sie waren schließlich arbeitsscheue Untermenschen, freilebend eine Gefahr für den deutschen Wald wie für die deutsche Frau; so liest man in einem zeitgenössischen Brief. Als man sie schließlich doch nicht entbehren konnte, weil deutsche Männer mit dem Kriegsexport beschäftigt waren, wurden die Russen als besonders gefährlich stigmatisiert. Für den deutschen Volksgenossen galt weiterhin: Wer hinterm Lagerzaun saß, wer für die Deutschen knechtete, der hatte es nicht anders verdient.
Und was die Volksgenossen dachten, war entscheidend wichtig, denn die Zwangsarbeiter waren eben nicht nur in ein paar großen Rüstungsbetrieben zu finden; sie vegetierten nicht bloß weitab der Bevölkerung. Von 1943, so lernt man in der Ausstellung, waren 50 Prozent der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte Ausländer; in der Bauwirtschaft war es 1944 ein Drittel. Arbeitssklaven gab es überall. Dass sie menschlich behandelt wurden, kam vor – aus Sicht der Nazis zu oft, wie eine gezeichnete Mahnung zu mehr Distanz beweist: Falsch ist, den Fremdheit in Form von Strichelchen ausstrahlenden Zwangsarbeiter am Familientisch mitessen zu lassen. Richtig ist, dass er allein am Katzentisch seine dünne Suppe löffelt.
Aber selbst in der Landwirtschaft gab es Gnadenlose wie jene Bäuerin, die an ihren Mann »im Felde« lamentierte: »Die Polen sind ja so faul!« Warum die Sklaven freudig hätten arbeiten sollen, erklärte sie nicht. Aber sie glaubte eine Lösung zu kennen: »Als sie die Peitsche zu spüren bekommen haben, konnten sie tüchtig laufen …« Bei den geringsten Vergehen drohte den Zwangsarbeitern weit Schlimmeres. Wieder sind es eilfertige Erzieher und Denunzianten, die zahllose dieser armen Menschen ans Messer oder an den Galgen lieferten: Weil die Ausgehungerten irgendwo ein Brot mitgehen ließen, weil sie eine Liebelei begonnen hatten. In sexueller Denunziation waren die Deutschen seit den Judenpogromen besonders geübt.
Sogar in den chaotischen Wochen ihrer Befreiung wurde den Zwangsarbeitern ihre Stigmatisierung noch zum Verhängnis. Die Ausstellung erinnert daran: Nicht nur SS-Truppen, auch Zivilhorden verübten Massaker an entkommenen Zwangsarbeitern, die man als Bedrohung empfand wie entlaufene Schwerverbrecher. Und nach dieser mörderischen Phase hielt sich die Meinung, dass die »Displaced Persons« gefälligst ohne Aufhebens verschwinden sollten. Wer sie auf welche Weise geholt hatte, spielte keine Rolle. Es waren eben nicht nur die großen Firmen, die ihre Verantwortung jahrzehntelang leugneten.
Das alles lernt man in dieser umfänglichen Ausstellung anhand von Fallbeispielen, Dokumenten, Fotografien und Interviews. Inszenierung und Events gibt es nicht. Der Gang durch diese etwas spröde Ausstellung ist – Arbeit. Der Lohn sind Erkenntnis und – Scham. In diesem Sinn ist der Besuch dringend zu empfehlen.
Bis 30. September 2012. LWL-Industriemuseum Zeche Zollern, Dortmund. Tel.: 0231/6961-111. www.lwl.org/LWL/Kultur/wim/portal