// Elf Jahre nach seinem Amtsantritt als Intendant und Orchesterchef am Aalto-Musiktheater gönnt sich Stefan Soltesz Richard Wagners »Ring des Nibelungen« – den vierteiligen Totentanz des Kapitalismus, der für jedes Opernhaus Belastungsprobe und Ruhmestat zugleich ist. Weil Soltesz indes die Tücken der szenischen Gleichförmigkeit in Wagners Fortsetzungsgeschichte kennt, hat er die Einzelteile des Zyklus nach Stuttgarter Vorbild an vier Regisseure vergeben, die in Essen kontinuierlich arbeiten und gelegentlich anecken: Dietrich Hilsdorf, Anselm Weber, Barrie Kosky und Tilman Knabe, der zum Auftakt das »Rheingold« inszenierte.
Die Grundpfeiler seiner Deutung werden schon in den ersten Minuten errichtet: Sex, Liebelosigkeit und soziale Ungerechtigkeit nehmen zum Vorspiel ohne mystisches Weltwerdewabern ihren Beginn. Wotan besorgt es den Rheintöchtern, Donner besorgt es Froh, die Rheintöchter besorgen es Alberich, der ihren sadomasochistischen Spielchen indes wenig abgewinnt und die Liebe verflucht. Aus diesem penetranten Start entwickelt Tilman Knabe ein furioses Spiel, das Trash-Ästhetik und globalen Machtdisput, Klischees und geniale Einfälle Schwindel erregend verwirbelt.
Bühnenbildner Alfred Peter hat die Schauplätze des »Vorabends« neben- und übereinander gestapelt. Die vergammelte Holzverkleidung im Göttersalon erinnert an die Krupp-Villa, derweil sich Alberich nebenan in Nibelheim ein Imperium für die Verwertung von Lumpen aufbaut. Die Rheintöchter hausen im Bordell, die Riesen in einer Art Bauwagen. Diese in sich verbundene Welt ist so unentrinnbar wie unser real vernetztes System: Profitdenken, sexuelle Erniedrigung, Lügen und Gewalt finden auf jeder Ebene statt, durchdringen Poren und Ritzen der Gesellschaft. Und wenn Loge, der Bürokrat im Trenchcoat, am Ende eine Sprengladung mit Fernzünder vor dieses Panoptikum stellt, wird keiner einen Cent für den Erhalt dieses maroden Universums geben.
Stefan Soltesz verpflichtete für das eher intim konzipierte »Rheingold« vorwiegend Rollendebütanten, mit durchwachsenem Ergebnis. Immerhin waren Jochen Schmeckenbechers Alberich und die Erda von Ljubov Sokolová Empfehlungen für die Fortsetzung des »Rings«. Und natürlich die Essener Philharmoniker, die das Bühnengeschehen gespannt antrieben, kontrapunktierten, fast kammermusikalisch begleiteten. So lieferte Soltesz den klingenden Beweis, dass Wagners »Rheingold« nicht nur in den Bayreuther »Abgrund«, sondern ins deutsche Stadttheater gehört. // MSS