In Woody Allens »Annie Hall« heißt es, wie wunderbar es doch sein würde, den ganzen Tag Filme zu schauen. Ja, aber man werde alt dabei und sterbe. Das Leben – verpasst.
»Filmfestivals sind nicht mehr das, was sie einmal waren«, sagt der Filmkritiker und -dozent Mort Rifkin zu einem stummen therapeutischen Gegenüber. Die Erkenntnis gilt für vieles und bedeutet Abschiednehmen, Schmerz um Verlorenes, die Trennung von Erinnerung und Gegenwart. Nostalgie ist – oder kann sein – der Killer von Kreativität. Sie bringt nur noch Interesse am Gestern auf und fällt aus der Zeit. Mit dieser Haltung ist Mort Rifkin das Alter Ego seines Autors Woody Allen, der schon seit einer Reihe von Jahren Phantomen hinterherjagt: Schattenbildern, deshalb sind sie schwarz-weiß.
Nicht zum ersten Mal ist Allen für einen Film (und dessen Produktion) von Manhattan nach Spanien ausgewandert, aber – ganz gleich, wo er sich befindet – er bleibt in seiner Welt, der selbstreferentiell jüdischen, intellektuellen, hypochondrischen, filmischen.
Der Schlemihl Mort, der unter cineastischen Aspekten ein Snob ist, Europas klassische Filmmeister über alles stellt und sogar »Leoparden küsst man nicht« und »Manche mögen’s heiß« als kommerziell und seicht abtut, begleitet seine Frau Sue (Gina Gershon) aufs Filmfestival von San Sebastián. Der junge französische Regisseur Philippe Germain (Louis Garrel), für den Sue offenbar mehr als nur die Pressearbeit macht und der Mort herablassend »Grinch« nennt, weil der ihn nicht für voll nimmt und als trivial qualifiziert, wird ihm zum Stachel im Fleisch. Verachtung, Neid und uneingestandene Bewunderung mischen sich und besetzen seine Träume, deren Drehbuch und Casting.
Der Joker des Films: Wallace Shawn
Mort fantasiert sich – schwarz-weiß – in seine Kindheit und mit »Citizen Kane« in eine scherzende Hommage an »Rose Budnick«, in eine Fellini-Szene von »Achteinhalb«, er besetzt das Trio von »Jules et Jim« neu mit sich, Sue und Philippe, ruft Bergmans »Wilde Erdbeeren« und »Das siebente Siegel« (in einer Gastrolle Christoph Waltz) auf, Buñuel, Godard und Lelouch. In gewisser Weise hat Allen diesen Film hier schon vor über 40 Jahren gedreht: mit »Stardust Memories«.
Es gibt einige gute und mehr weniger gute Dialoge, Possen und Witze wie den, dass der »politische« Filmemacher Germain einen Film über den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern plant, um die beiden Gegner zu versöhnen, was Mort so kommentiert, dass er offenbar einen Science-Fiction-Film drehen wolle.
Wie immer kreist Allen um den Sinn des Lebens, wie so oft inszeniert er eine Ehekrise – Sue lässt sich verführen von Germain, Mort wirft ein Auge auf die junge, unglücklich verheiratete Ärztin Joanna Rojas (Elens Anaya): das ewige Tschechow-Spiel.
Wallace Shawn als Mort Rifkin ist der Joker des Films – der charaktervolle, erzgescheite Künstler-Autor-Komiker, 1943 geboren und damit acht Jahre jünger als Allen, kann es mit dem Schauspieler Woody Allen in den Filmgeschichten des Regisseurs Woody Allen aufnehmen. Dank des kleinen molligen Mannes wird all das abgelegt Vergangene doch lebendige Gegenwart: Wallace’s Festival. ***
»Rifkin’s Festival«, Regie: Woody Allen, USA / Spanien 2021, 90 Min., Start: 7. Juli