TEXT: STEFANIE STADEL
»Kaputt war sowieso alles, und es galt aus den Scherben Neues zu bauen.« Ein Ausspruch von Kurt Schwitters, der nach dem Ersten Weltkrieg auf sehr eigene Art mit den »Trümmern der Zeit« umging. Der Künstler nahm, was eben da war. Leimte und nagelte die Zufallsfunde zusammen. Es war gewöhnlicher Abfall, aus dem er seine vielen kleinen Collagen bastelte.
Bereits die Kubisten – allen voran Braque und Picasso – hatten allerlei Objekte auf den Bildträger geklebt: Holz, Tapete, Zeitungspapier… Die große Zeit der Collage setzte dann aber ein paar Jahre später mit Schwitters und Dada ein.
Angefangen mit diesen frühen Beispielen der 1910er Jahre, ließe sich die Geschichte schlicht weitererzählen: Von den politisch-motivierten Dada-Collagen und Hannah Höchs kämpferischen Fotomontagen über die kombinierten Traumbilder der Surrealismus zu den Combine Paintings eines Robert Rauschenberg. Und weiter über die oft multimedialen Schöpfungen des Fluxus bis zum Aufleben der Collage in Zeiten der digitalen Bilderflut.
So eine chronologische Abhandlung wäre einfach und naheliegend. Doch das MARTa in Herford und Ahlens Kunstmuseum wählen einen anderen Umgang mit dem Thema – nicht so konventionell, aber auch weniger erhellend. Angestachelt durch die »wahre Renaissance« der Collage-Technik in jüngerer Zeit, reifte in den Häusern schon vor Jahren der Plan einer gemeinsamen Schau gleichzeitig an zwei Orten. Jetzt ist sie da und will mit rund 400 Werken von etwa 170 Künstlern einen neuen Blick auf Geschichte und Gegenwart werfen.
FELLWESEN IM VOGELKÄFIG
Im gemeinsamen Ausstellungskatalog gibt man sich einige Mühe, klar zu machen, wie wenig objektiv doch die kunsthistorische Konstruktion von Entwicklungen oder Abläufen sei. So wird der eigene, andere Weg begründet: Er führt nicht Schritt für Schritt durch die vergangenen 100 Jahre der Collage. Stattdessen bezieht man Position in der Gegenwart und schaut von hier aus zurück, versucht in der Geschichte der künstlerischen Technik ihre Möglichkeiten, Eigenheiten und Zielrichtungen zu erkennen und so auch Anregungen für die Betrachtung oder Bewertung zeitgenössischer Beispiele zu geben. Dazu haben die Kuratoren, etwas beliebig, sechs Kategorien erfunden – drei für Ahlen, drei für Herford.
Zum Motto »Fluchten und Träume« passen etwa Günter Weselers urwüchsige Atemobjekte – elektrisch belebte Fellwesen, die sich mal im Suppenteller, mal groß und zottelig im Vogelkäfig wiederfinden. Oder Grete Stern mit ihren Fotomontagen, die schon im Titel fantastische Töne anschlagen: »Sueños«, Träume, nennt die 1904 in Wuppertal geborene Künstlerin diese für die Illustration psychoanalytischer Texte gedachte Serie. Oft ironisch geht sie da mit weiblichen Rollenbildern um. Zum Beispiel im Foto einer jungen Frau und ihres elegant gekleideten Begleiters, dem an Stelle seines eigenen Kopfes der einer Schildkröte auf den weißen Hemdkragen montiert ist.
Unter der Überschrift »Widerstand und Zerstörung« finden sich unter anderem Schwitters’ Konsummüll-Collage und der Plakatabriss eines Mimmo Rotella neben Martha Roslers Collage-Serie »Bringing the War Home: House Beautiful«, wo der Vietnamkrieg Einzug hält in die wunderschöne Welt der Wohnzeitschriften. Durch die hübsche Küche stöbern schwer bewaffnete Soldaten. Ein Mann trägt sein lebloses Kind durchs Wohnzimmer. Und beim Saugen hinter dem Vorhang entdeckt die Hausfrau Bewaffnete im Schützengraben. Auch die französische Body-Art-Protagonistin ORLAN kommt in diesem Kapitel zum Zuge. In der filmischen Dokumentation einer Schönheitsoperation wird das Gesicht zum Material, der Chirurg zum Collage-Künstler.
POSTER AUF EINEM OP-TISCH
Man mag die gesetzten Kategorien mitnehmen beim Weg in die Gegenwart. Könnte dann »Widerstand und Zerstörung« vielleicht wiederfinden in den Arbeiten des Schweizers Beni Bischof, der LPs, Poster, Magazine auf seinem OP-Tisch vereint, um die schönen Scheinbilder auseinanderzunehmen, skurril und katastrophal zu verwandeln. Dem Model lässt der Künstler dabei eine Würstchennase wachsen, und das Kameralächeln des Rockstars attackiert er mit zig grinsenden Mündern, die sich wie Ausschlag im ganzen Gesicht ausbreiten.
»Fluchten und Träume« könnte man unter Umständen auch in den Verschnitten afrikanischer Masken des 1969 geborenen Costa Vece entdecken. »Raumaneignung und Weltenbau« mögen in der geometrischen Collage des Bauhaus-Schülers Alfredo Bortoluzzi ebenso auszumachen sein wie in der eigens für die Schau eingerichteten, raumgreifenden Installation von Frauke Dannert, die mit riesenhaft vergrößerten Kopien aus Architekturbüchern spielen.
»Vielstimmigkeit und Kakophonie« sind in Armans mit »Accumulation alphabétique« betiteltem Werk aus beschrifteten Pappschachteln in einer Verkaufsvitrine möglicherweise ebenso zu vernehmen wie bei dem Münsteraner Vermittlungskünstler Oliver Breitenstein, der seine Collagen aus Comicstrips, Klassikern der Kunstgeschichte, eigenen Kritzeleien und Kassenzetteln mit diversen Textfragmenten versetzt.
Doch sehr viel weiter bringen einen die eher willkürlichen Zuordnungen und vermeintlichen Bezüge kaum. Es sind Gedankenspiele, nicht mehr. »Sehhilfen«, wie es im Katalog heißt. Man kann sie nutzen, kann aber auch gut darauf verzichten und dem Thema mit gleichem Gewinn auf selbst gewählten Wegen näher kommen. Aus dem reichen Material eine eigene Geschichte konstruieren. Eine Art Collage vielleicht – verleimt und genagelt wie einst die guten alten »MERZ«-Arbeiten eines Kurt Schwitters.
Kunstmuseum Ahlen, bis 26. Januar 2014. Tel. 02382/91830. www.kunstmuseum-ahlen.de
MARTa, Herford, bis 26. Januar 2014. Tel. 05221/994430-0. www.marta-herford.de