Elf Produktionen hat die Impulse-Jury zum Festival eingeladen, allesamt Arbeiten der vergangenen Saison aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Sie sollen einen Überblick über die Freie Szene präsentieren, ein möglichst großes Spektrum an Themen, Formaten und ästhetischen Setzungen. Unter der Künstlerischen Leitung von Haiko Pfost wird der Showcase des Impulse Theater Festival zwar nicht kuratorisch gesetzt, trotzdem »versuchen wir, die Breite abzubilden«, erklärt Pfost, der auch Teil der Jury ist. Und Kennzeichen der Freien Szene ist nun mal ihre Vielfalt. Schauen wir also rein ins Programm und in die Themen der diesjährigen Auswahl.
Da sind die Produktionen, die sich mit Trauer, mit Tod und Abschied beschäftigten. Auffällig viele seien das, erklärt Pfost, sicherlich eine Nachwirkung der Corona-Pandemie. Das Theaterkollektiv Henrike Iglesias zum Beispiel hat sich für »Flames to Dust« von der Death Positive Bewegung inspirieren lassen und eine Show über Vergänglichkeit und Trauer aus einer bewusst jungen Perspektive entwickelt, in der offen über das Sterben gesprochen wird. Was passiert mit unserem Handy, wenn wir tot sind, nehmen wir das mit ins Grab? Und was geschieht mit unseren Internet-Profilen, unseren Accounts? Um solchen intimen Fragen näherzukommen, rücken die Zuschauer*innen ran an die Bühne in die erste Reihe. Persönlich und berührend wird es auch in »Mi Vida en Tránsito« des Duos caruso + avila. Dieser liebevolle Dialog über Depressionen und Alleinsein ist die künstlerische Antwort auf eine reale Erfahrung, nämlich auf das Erleben des Abgeschnittenseins im Corona-Quarantäne-Hotel.
Nächstes großes Thema: die Arbeit. Nadja Duesterberg hat in einer Spitzenküche gearbeitet. Die Schauspielerin und Köchin weiß, wie hart die Arbeit dort ist, kennt die große Show, auf die es da ankommt. Im Rahmen des Projekts »HAUS / DOMA« der Düsseldorfer Künstler*innengruppe subbotnik lädt sie zum Vier-Gänge-Menü, angereichert mit Geschichten aus der Gastroküche. Die Konzertperformance »Sinfonie des Fortschritts« wirft einen osteuropäischen Blick auf unsere hiesigen Arbeitsverhältnisse und demontiert unsere westliche Doppelmoral. Es gibt eine Bewegung der Migration, die auf kapitalistischer Ausbeutung beruht. Der geht Nicoleta Esinencu hier nach. Drei Performer*innen erzählen vom Gurken pflücken, Päckchen liefern und blutige Schlachtereien putzen – musikalisch begleitet von umfunktionierten Stichsägen und Akkuschraubern. Die Neigung zur Nabelschau wird der Freien Szene immer mal wieder vorgeworfen. Wie humorvoll und unterhaltsam das aber auch sein kann, zeigen Jan Philipp Stange & Company in »Szenario«. Vier Waldarbeiter*innen singen da den Text eines Förderantrags, im üppigen Bühnenbild zwischen Kunstschneeflocken. Selbstkritisch und ironisch stellen sie sich ihren persönlichen Kämpfen mit Arbeit, Armut und Selbstverwirklichung.
Neue Regeln für den Straßenverkehr
Identitätsfragen – so lässt sich ein dritter Schwerpunkt im Programm überschreiben. Boris Nikitin, der schon mehrfach zum Impulse Festival eingeladen wurde, erzählt im Monolog »Magda Toffler. Versuch über das Schweigen« von seiner Großmutter, die bis zu ihrem Tod ihre jüdische Herkunft verschwiegen hat. In »Justitia! Identity Cases« befragen vier Aktivist*innen das Verhältnis von Theater, Gericht und Sozialen Medien. Ausgangspunkt dieses Show-Spiels: Die Indigenen-Aktivistin wird durch einen Tweet als Weiße mit reichen Eltern entlarvt. Darf sie sich als etwas ausgeben, das sie nicht ist? Hier geht’s um Identitätspolitik, ein gesellschaftlich umstrittenes Feld. »Wer keine Zweifel sucht, ist da falsch«, meint Pfost.
Zweifel waren auch der Impuls fürs diesjährige Stadtprojekt. Nämlich die Zweifel am Straßenverkehrssystem. »Verkehr ist ein von erwachsenen Männern erdachtes und gebautes System«, erklären die Projektmacher*innen. Zu kurz kommen da Fußgänger*innen und Kinder. Genau mit denen erarbeitet die Performancegruppe Turbo Pascal in Köln eine andere Verkehrsordnung, in der nicht immer die Vorrang haben, die größer, schneller oder dominanter sind. Für ihr Projekt »Verkehrte Welt« stellen sie mitten auf den Ottoplatz am Bahnhof Köln / Messe Deutz einen Autoscooter auf, allerdings ohne Autos, und spielen neue Regeln im Straßenverkehr durch. Haiko Pfost und sein Team verfolgen diese Idee zum Thema Mobilität schon lange. Ursprünglich hatten sie ein zentrales Projekt über drei Jahre angedacht, aber die Corona-Pandemie kam dazwischen. Jetzt realisieren sie es mit Turbo Pascal, die als Kollektiv immer wieder interaktive Bühnenstücke entwickeln und partizipative Projekte im Stadtraum erarbeiten. 2018 erhielten sie den Förderpreis zum George Tabori Preis für ihre »bemerkenswerte Fähigkeit zum experimentellen Format«. Damit sind sie beim Impulse Festival genau richtig, denn Verunsicherung ist schließlich ein selbsternanntes Ziel. Einen »safe space« könne man beim Programm nicht erwarten, erklärt Pfost. Und das ist ein ästhetisches Versprechen.
Impulse Theater Festival
in Düsseldorf, Köln und Mülheim an der Ruhr
8. bis 18. Juni