TEXT: STEFANIE STADEL
Nur der teuflische Pferdefuß ruht. Alles andere scheint in wilder Bewegung: Arme fuchteln umher, Linien schwingen und verschlingen sich, geometrische Formen überlagern einander. Der Titel des kubistisch inspirierten Gemäldes lässt keinen Zweifel: Mit dem »Propagandaminister« ist Joseph Goebbels gemeint. Der hatte seine Maschinerie längst gestartet, als Oscar Zügel den rotierenden Machtmenschen 1933 so scharfsinnig zum Thema machte. Hinter seinem abstrahierten Figurenbild darf man sicher nicht zuletzt eine Warnung vor der perfekt inszenierten Nazi-Propaganda vermuten.
Als Schlüsselwerk glänzt der »Propagandaminister« jetzt in der Solinger Retrospektive, die das Schaffen des 1892 nahe Stuttgart geborenen und 1968 an der spanischen Costa Brava verstorbenen Künstlers verfolgt. Oscar Zügel. Wenige, die seinen Namen je gehört hätten. Kein Wunder – ist der Maler doch einer von denen, die vergessen wurden, weil Krieg und Kunstdiktatur eine große Karriere verhindert hatten.
In der Werkschau im Kunstmuseum Solingen lernt man Zügel nun kennen. Als einen, der die braune Gefahr früh erkannt und in seiner Kunst zur Sprache gebracht hat. Als einen, der rege Kontakte pflegte zur zeit-genössischen Avantgarde – Josef Albers, Willi Baumeister, Paul Klee, Fernand Léger. Und als einen, der beim Malen allerlei Einfälle von Vorgängern wie Zeitgenossen aufgriff und sie für die eigene Sache zu nutzen wusste.
So auch im »Propagandaminister«, wo Zügel die kubistische Bildsprache dabei hilft, ein paar pikante Details unterzubringen: Ein Schachbrett etwa, das die kühle Kalkulation des Demagogen andeutet. Außerdem verschiedene Körperteile, die einer zweiten Figur zuzuschreiben sind. Wahrscheinlich spielt Zügel auf eine jener jungen Schauspielerinnen an, die sich Goebbels als »Bock von Babelsberg« gefügig machte.
Allerhand kritische Töne klingen hier an – das konnte nicht gut gehen. Wiederholt erging Anzeige gegen Zügel, und diverse Bilder aus seinem Stuttgarter Atelier wurden beschlagnahmt, um sie bei einer Verbrennungsaktion im Hof der Staatsgalerie zu beseitigen.
Für den Maler blieb nur die Flucht. Zuerst nach Spanien, mit Beginn des Bürgerkriegs von dort nach Argentinien und 1950 zurück an die Costa Brava. Bis dahin war Zügel im Glauben, sein Frühwerk sei in Flammen aufgegangen. Ein Irrtum. Denn damals hatte eine findige Kuratorin die Kisten mit dem malerischen Zündstoff im Keller der Staatsgalerie bei Seite geschafft.
Ein Großteil der Bilder in der Solingen Schau stammt aus jenem Fundus und zeichnet eine einigermaßen unstete Entwicklung nach, die eher von Aneignung und Variation, als von Innovation geprägt war. Den Anfang machen Mitte der 20er Jahre einige nüchterne Bildnisse von Zügels junger Ehefrau Margarita – ganz im Geiste der Neuen Sachlichkeit. Etwas später schlägt der Maler in seiner ironischen Darstellung einer Bierbrauers-Gattin kubistische Töne an: »Frau Direktor« zeigt sich in geometrische Formfragmente aufgefächert. Ähnlich verfährt er noch bei seinem »Propagandaminister«, während die ebenfalls 1933 auf die Leinwand gebrachte »Rote Tänzerin« mit ihrer geschwungenen Kontur und der ornamentalen Flächigkeit eine Sprache spricht, die an Ernst, Arp oder Miró erinnert.
Die Tage in Deutschland waren damals bereits gezählt für Zügel. Im Untergeschoss des Solinger Museums lässt sich nachvollziehen, wie es nach seiner Flucht weiterging. Im spanischen Fischerdorf Tossa de Mar, wo der Maler sich inmitten einer kleinen Künstlerkolonie wiederfand und mit abstrakt-expressiven Werken rasch Anerkennung erntete – aus dieser Zeit stammt etwa sein »Ikarus«, der im Sturz ein verzerrtes Hakenkreuz beschreibt.
Nach dem Krieg fanden Zügels Bilder 1951 bei einer Ausstellung in Florenz Platz neben Werken von Schwitters, Picasso, Kandinsky, Miró. Deutschland aber überging ihn. Kein Einzelfall – etlichen Generations-genossen erging es ähnlich. Zwischen den Weltkriegen hatten sie ihre Karrieren gestartet, oft auch schon erste Erfolge gefeiert. Doch bevor sich ihr Name fest in die Kunstgeschichte einschreiben konnte, wurde ihr Werdegang von der Nazi-Diktatur jäh unterbrochen. Nach dem Krieg blieben sie links liegen, denn nun schauten alle Augen aufs Informel. Die Älteren wurden übergangen, zumal oft große Teile ihres Werkes in den Kriegswirren zerstört worden oder verloren gegangen waren.
Der Kunsthistoriker Rainer Zimmermann hatte das Phänomen in den 1980er Jahren erkannt und der »Verschollenen Generation« eine vielbeachtete Publikation gewidmet. Seit Mitte der 90er kümmert sich das Kunstmuseum in Solingen intensiv um das Thema. 1999 hat es erstmals die auf diesem Gebiet wichtige Sammlung Gerhard Schneider gezeigt und fünf Jahre darauf wurde in Solingen die »Bürgerstiftung für verfemte Künstler mit der Sammlung Gerhard Schneider« gegründet. Inzwischen sind auch die »Verbrannten Dichter« aus der Exilliteratursammlung von Jürgen Serke mit im Boot. Für kommenden April schon ist mit der Gründung des »Zentrums für verfolgte Kunst«ein weiterer Schritt anvisiert.
Durch die Beteiligung des Landschaftsverbandes Rheinland werde die Arbeit in Solingen auf eine ganz neue Ebene gehoben, so Museumsdirektor Rolf Jessewitsch. Erstmals stehe das Institut dann auf einem breiteren und sichereren finanziellen Fundament.
Im neu organisierten Haus will Jessewitsch mit mehr Personal und Geld Projekte anschieben, die bisher noch in den Startlöchern festhingen. »Wir haben bei Recherchen zwei namhafte in den 30er Jahren verschollene Kunstsammlungen aus der Region in den USA wiedergefunden. Die wollen wir vorstellen.« Auch soll das Haus in Solingen einen gewichtigen Künstlernachlass aus den Vereinigten Staaten übernehmen.
Es gibt viel zu tun. Wie brisant der in Solingen behandelte Stoff ist, wurde erst jüngst wieder deutlich, als Gurlitts Großsammlung mit vielen verloren geglaubten Werken zu Tage trat und Jessewitsch zum weltweit gefragten Interviewpartner machte. Ob es noch mehr solcher Sammlungen gebe? Müssen wir womöglich die Kunstgeschichte umschreiben? So umfangreiche und bedeutende Kollektionen wie die Gurlitts, existierten wohl kaum mehr, schätzt der Museumsmann. Doch finde sich sicher noch einiges von dem, was die Nazis geraubt hatten, in Privatbesitz.
Dabei handelt es sich durchaus nicht um Kunst zweiter Klasse. »Zwischen 1937 und 1938 sind 20.000 Bilder von 1.600 Künstlern aus den deutschen Museen herausgeholt worden«, so Jessewitsch. »Die waren ja im Museum – museumsreif. Und seither sind sie raus, und wir kümmern uns auch nicht mehr darum.«
Mithin haben die »Säuberungen« der Nationalsozialisten also durchaus etwas von der gewollten Wirkung erzielt – noch immer beeinflussen sie unsere Sicht der Kunstgeschichte. Umso mehr möchte man Jessewitsch beipflichten in seinem Bemühen, die vergessene Generation zu rehabilitieren und ins Gedächtnis zurückzurufen. Sicher könnten sie den festgeschriebenen Kanon um spannende neue Noten bereichern.
Kunstmuseum Solingen, bis 11. Mai 2014. Tel.: 0212/258140. www.kunstmuseum-solingen.de