INTERVIEW: INGO JUKNAT
Vielleicht ist Dietmar Dath selbst eine Science Fiction-Figur. Ein genetisch modifizierter Mensch, der keinen Schlaf braucht, wie die Figuren in Nancy Kress’ »Bettler in Spanien«. Das würde seinen Output erklären. Sieben Bücher hat er allein im letzten Jahr veröffentlicht – über marxistische Staatstheorie, gesellschaftlichen Fortschritt, die TV-Serie »Lost« und einiges mehr. Nebenbei arbeitet Dath im Feuilleton der FAZ, was man als Neo-Marxist auch erst mal hinkriegen muss. Aus seinem Interesse für Popkultur hat Dath, der einst Chefredakteur bei der Spex war, nie einen Hehl gemacht. Wobei es korrekter wäre zu sagen, dass ihn der Unterschied zwischen Hoch- und Popkultur nicht sonderlich schert. Das zeigt auch sein neues Buch, das er in diesem Monat auf der Lit.Cologne vorstellt. »Pulsarnacht« ist ein Science-Fiction-Roman. Er spielt in einer fernen Zukunft, in der die Menschheit durch sogenannte »Ahtotüren« zu den Sternen gereist ist und fremde Planeten kolonisiert hat. Die Erde ist nur noch ein Mythos. Diese neue Welt wird durch ein kosmisches Ereignis erschüttert, das nach den Gesetzen der Relativitätstheorie gar nicht hätte stattfinden dürfen.
K.WEST: Herr Dath, manche Science Fiction-Autoren, darunter William Gibson, halten inzwischen schon das Vorhersagen der nächsten 50 Jahre für ein Ding der Unmöglichkeit. Sie dagegen reisen in »Pulsarnacht« Tausende von Jahren in die Zukunft. Hat es sie gereizt, eine klassische space opera zu schreiben – gerade weil das Genre in mancher Hinsicht unmodisch ist?
DATH: Ich liebe dieses Genre, also ist die Mode schön egal.
K.WEST: Sie schreiben im Nachwort zu Pulsarnacht: »Wer eine Welt erfindet, kann darin leicht verloren gehen.« Muss man auch ein bisschen größenwahnsinnig sein, um eine ganze Welt zu erfinden – inklusiver der darin lebenden Alienrassen und ihrer Kulturen?
DATH: Es ist, glaube ich, ganz anders: Jeder Erzähltext erfindet eine Welt, die Science Fiction und die Fantasy geben es nur zu. So wie bei Joyce war es ja in Dublin auch nicht. Erzählen heißt: Die Freiheit, zu behaupten, auszuwählen und umzustellen. Die fantastische Literatur ist also eher bescheidener als die angeblich realistische und naturalistische – der wahre Größenwahn steckt doch in der Behauptung »so ist es wirklich« – einer Art getarntem Allwissenheitsanspruch. Das machen wir nicht, in der Fantastik, wir geben zu: Es ist ausgedacht, wir haben die Verantwortung.
K.WEST: Viele Autoren anspruchsvoller Science Fiction haben das Schicksal beklagt, als Schriftsteller nicht ernstgenommen zu werden. Wieso hält sich das Klischee, wonach Science Fiction eine Literatur für pubertierende Jungs ist (»the Golden Age of science fiction is twelve«), so hartnäckig?
DATH: Weil die besten Autorinnen und Autoren genau dieses Klischee als Tarnung brauchen und deshalb nicht viel Kraft darauf verschwenden, es zu brechen – man kann dann, solange das Kinder- und Schmuddel-Etikett haftet, ungestört von der Einmischung und dem Urteil der auf »Relevanz« und andere, für Kunst tödliche Langweiler- und Lehrerkriterien festgelegten Kritik einfach die Gedankenarbeit und den spekulativen Genuss suchen. Man fliegt unterm Radar der Leute mit dem ewigen Dünkel und der stumpfen Literaturpriesteraufmerksamkeit.
K.WEST: Sehen Sie sich als Apologet für gute Science Fiction, oder ist Ihnen der Ruf des Genres egal?
DATH: Wie gesagt, je schlechter der Ruf bei den Verwaltern und Türhütern des offiziellen Kulturmuffs ist, desto besser für das Genre.
K.WEST: Um die Schwierigkeiten bei der Rezeption von Science Fiction zu erklären, hat der Kritiker Marc Angenot den Ausdruck des »fehlenden Paradigmas« geprägt. Er meint damit die vielen Details einer Zukunftswelt, die sich der Leser aufgrund von Andeutungen und verstreuten Hinweisen gewissermaßen selbst zusammenreimen muss. Würden Sie zustimmen, dass es Ihr Roman den Lesern in dieser Hinsicht nicht gerade leicht macht? Wenn man das Glossar außen vor lässt, erschließt sich die Bedeutung vieler zentraler Erfindungen – vom »C-Feld« bis zum »Tlalok« – erst nach mehr als 100 Seiten.
DATH: Wenn Karl May über den Wilden Westen schreibt, Emilio Salgari über Malaysia, Umberto Eco über mittelalterliche Theologie, kurz: irgendwer über irgendeine Welt mit irgendwelchen Besonderheiten, dann muss man eben erst mal mitgehen, es klärt sich ja alles. Bei der Scientology-Sekte gibt es die Vorschrift: Nie ein Wort überlesen, nie aus dem Kontext erschließen, immer sofort zu lesen aufhören, wenn was Fremdes vorkommt, und alles nachschlagen. Ich bin kein Freund dieser Scientology-Auffassung vom menschlichen Hirn, ich finde, sie unterschätzt die Leserschaft, ihre Kreativität und Neugier.
K.WEST: Wie kommt es, dass literarische Science Fiction (Orwell, Huxley, Vonnegut, Ballard, Gibson, Chiang u.v.m.) fast ausschließlich aus dem englischsprachigen Raum stammt?
DATH: Hermann Hesse (»Glasperlenspiel«), Alfred Döblin (»Berge Meere und Giganten«), Paul Scheerbart, Kurd Laßwitz, Arno Schmidt, Carl Amery, Tobias O. Meißner, Wolfgang Jeschke, Myra Cakan, Christian Kracht (»Ich werde hier sein…«), Jörg Uwe Albig… diese Sachen werden hier zwar versteckt oder als Seltsamkeiten von Kritik und Uni beiseitegeschoben. Aber sie wachsen auf hiesigem Boden zu genau dem Prozentsatz wie überall sonst auch – andererseits: zwölf Jahre nationalsozialistisches Experimentierverbot in der Kunst, das hinterlässt natürlich Spuren und macht alles schlechter und öder, auch die Literatur.
K.WEST: Mit seinen wissenschaftlich und gesellschaftlich umwerfenden Folgen hat das Ereignis der Pulsarnacht in Ihrem Roman gewisse Ähnlichkeit mit der Sonnenfinsternis in Isaac Asimovs berühmter Kurzgeschichte »Nightfall«. Andere Inspirationsquellen, die Sie zitieren, sind Geschichten von Robert Heinlein und Joanna Russ. Welche Autoren würden Sie Lesern empfehlen, die sich mit »ernster« Science Fiction auseinander setzten wollen – und warum?
DATH: Wenn man Englisch lesen kann: Joanna Russ, Gene Wolfe, Harlan Ellison, Nicola Griffith, Samuel R. Delany – alles überragende Leute, vor allem literarisch, ästhetisch-technisch. Französisch: Maurice G. Dantec (und als Klassiker Raymond Roussel: »Locus Solus«). Deutsch: Anja Kümmel, »Träume digitaler Schläfer«. Warum? Weil das sehr gut geschriebene Bücher über Gedanken und Perspektiven sind, die man ohne die künstlerischen Verfahren des SF-Genres nicht behandeln kann.
Dietmar Dath: »Pulsarnacht«; Wilhelm Heyne Verlag, 431 Seiten, 13,99 Euro.
Lesung mit Dietmar Dath am 15. März im Literaturhaus Köln. www.litcologne.de